Experteninterview zur Teilhabe von Migrantinnen und Migranten am vereinsorganisierten Sport

Der Gießener Soziologe Professor Michael Mutz forscht seit Jahren zur Teilhabe von Migrantinnen und Migranten am vereinsorganisierten Sport. Im Interview mit dem HSB sucht Professor Michael Mutz nach Gründen, warum in der Vereinsführung häufig Deutsche unter sich sind.

Frank Molter Fotografie
Frank Molter Fotografie

Frage: Wie viele Menschen mit Migrationshintergrund sind im Ehrenamt bei deutschen Sportvereinen engagiert?

Professor Michael Mutz: Grundsätzlich kann man sagen, dass der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund auf formaler Ämterebene in den Sportvereinen sehr gering ist. In neun von zehn Vereinen gibt es keine Person mit Migrationshintergrund, die ein Amt übernommen hat. Auf informeller Ebene ist der Anteil der Engagierten größer – wenn es darum geht, mal am Wochenende eine Fahrt zu organisieren oder zu einem Spiel oder Wettkampf als Betreuer mitzufahren.

Wie ist die Forschungslage zum Thema?

Es gibt leider nicht allzu viele empirische Studien zum Thema. Aus den Freiwilligensurveys und den Sportentwicklungsberichten lässt sich aber ein zentrales Ergebnis herausfiltern: Beim freiwilligen Engagement sind Menschen mit Migrationshintergrund deutlich unterrepräsentiert, wobei es nochmal bedeutsame Unterschiede zwischen unterschiedlichen Einwanderergruppen gibt. Zum Beispiel sind deutlich weniger Mädchen und Frauen im Ehrenamt aktiv. Das gilt auch für Personen mit einem niedrigen sozialen Status und für jene, die aus weniger entwickelten Ländern nach Deutschland eingewandert sind.

Woran liegt das?

Grundsätzlich sind Menschen mit Migrationshintergrund in Sportvereinen ja schon als Mitglieder unterrepräsentiert. Hinzu kommt, dass auch die Mitglieder mit Migrationshintergrund vergleichsweise selten ein Ehrenamt übernehmen. Die Gründe dafür sind vielfältig und können in den individuellen Voraussetzungen der Einwanderer, aber auch in den Vereinsstrukturen, die mehr oder weniger offen sein können, gesehen werden.

Spielt die Lebenszeit in Deutschland keine Rolle?

Vergleicht man verschiedene Einwanderergenerationen, stellt man fest, dass es große Unterschiede gibt. Wir haben jetzt erstmals Forschungsergebnisse zur dritten Generation der Eingewanderten, also über die Enkel der so genannten „Gastarbeiter“. Da stellen wir praktisch keine Unterschiede mehr zur deutschen Bevölkerung ohne Migrationshintergrund fest. Mit jeder Generation werden die anfänglichen Unterschiede kleiner. Das bedeutet zunächst mal, dass Akkulturations- und Angleichungsprozesse de facto stattfinden. Allerdings vollziehen die sich nicht in ein paar Jahren, sondern über Generationen hinweg. Mit Bezug zur aktuellen Diskussion um die Integration von Geflüchteten bedeutet das auch, Geduld zu haben. Wir können nicht von Flüchtlingen erwarten, dass sie in fünf Jahren wie „die Deutschen“ leben.

Ergibt sich daraus nicht eine sehr positive Entwicklung für die Vereine, was den Migrationshintergrund im Ehrenamt betrifft?

Die Unterschiede in der dritten Generation verschwinden in vielen Bereichen: Nicht nur im Sport, sondern auch bei der Sprachkompetenz oder der Zusammensetzung des Freundeskreises.

Vermutlich also auch beim ehrenamtlichen Engagement. Bei den Menschen, die in der dritten Generation in Deutschland leben, ist die Frage der Herkunft auch viel weniger ein Thema – sicher auch bei der Vergabe von Ämtern im Sport.

Was können Vereine tun, um sich, wenn sie wollen, noch mehr interkulturell zu öffnen?

Da gibt es viele Ansatzpunkte und gerade im Programm „Integration durch Sport“ kennen wir viele gelungene Beispiele aus der Praxis. Vereine können versuchen, neuen Vereinsmitgliedern auch Perspektiven im Verein zur Mitbestimmung, Verantwortung und Teilhabe aufzuzeigen. Sie sollten aktiv für Engagement werben und die Menschen mit Migrationshintergrund motivieren und qualifizieren.

Zum anderen ist es aber auch wichtig, kritisch zu hinterfragen, wo im Verein Vorbehalte existieren und diese abzubauen. Im Grunde gibt es also zwei Blickwinkel: Welchen Qualifikationsbedarf haben die Migranten, um sich im Verein einbringen zu können? Aber auch: Wie rekrutieren Vereine ihre Funktionsträger? Der Weg in ein deutsches Ehrenamt setzt oft eine lange Vereinszugehörigkeit voraus; man muss sich kennen und vertrauen. Das sind keine idealen Voraussetzungen, um Migrantinnen und Migranten, die noch nicht lange dabei sind, zu gewinnen. Interkulturelle Öffnung heißt dann auch, solche Strukturen mal zu reflektieren und – mehr als das bislang oft geschieht – aufeinander zuzugehen.

Aber man kann Öffnungsprozesse, wie der HSB, über Weiterbildungen und finanzielle Zuwendungen auch anstoßen.

Neben der idealistischen Motivation, sich um Integration kümmern zu wollen, benötigt es gute Konzepte, deshalb sind Weiterbildungen sinnvoll. Und nützlich ist es natürlich auch, wenn man Vereinen Ressourcen für Projekte zur Verfügung stellen kann. Insofern geht Integration im Sport nicht zum Nulltarif.  

Wodurch kann man eigentlich für ein Ehrenamt motivieren?

Das ist eine sehr grundsätzliche Frage. Wir wissen aus Untersuchungen, dass Vereine es zunehmend als schwierig ansehen, ehrenamtliche Posten zu besetzen. Im Grunde müssen Menschen das Gefühl haben, sich in etwas einbringen zu können, das sie selbst als sinnvoll empfinden. Aber ein Ehrenamt muss auch biographisch passen. Ich halte es außerdem für zentral, die Engagierten für den entstandenen Aufwand über die Übungsleiterpauschale oder die Ehrenamtspauschale auch ein Stück weit zu entschädigen. Hinzu kommt, dass es auch Formen der Anerkennung auf einer symbolischen Ebene geben sollte. Aber hier ist der DOSB mit seinen Preisen und Auszeichnungen schon sehr aktiv. Speziell mit Blick auf Migrantinnen und Migranten würde ich davon ausgehen, dass es ähnliche Faktoren wie bei Deutschen ohne Migrationshintergrund sind, die wichtig sind.

Das ganze Interview lesen Sie hier.

 

Die Fragen stellte Frank Heike.


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