Gorodki - Pionierarbeit in Allermöhe

Ein russischer Importsport für coole Köpfe und starke Arme

Bevor man Vitali Rommel sieht, hört man ihn. Wer sich von der S-Bahn-Station Allermöhe dem Sportplatz des BFSV Atlantik 97 nähern will, kann nach Gehör gehen. Denn wo Gorodki gespielt wird, fehlt das Geräusch des aufprallenden Wurfstabes nicht. Gorodki? „Es ist wie Bowling“, sagt Rommel, der gerade ein paar Würfe zum Aufwärmen macht. Bowling trifft es, denn beim Gorodki wirft man über eine ähnliche Entfernung ebenfalls etwas um. Gorodki ähnelt auch dem beliebten „Wikingerspiel“ („Kubb“). Dort schmeißt man im Garten oder auf der Wiese mit Rundhölzern auf Klötzchen.

Gorodki ist in Russland, Weißrussland und den baltischen Staaten verwurzelt. In Hamburg spielen es Vitali Rommel und 15 Vereins-Kolleg*innen seit fünf Jahren zwei Mal die Woche. Die Bahnen haben sie selbst gebaut. In einem niedrigen Schuppen lagern die Stäbe, mit denen aus sechseinhalb oder 13 Metern Wurf-Entfernung verschiedene Holzfiguren vom Spielfeld geräumt werden müssen. Nach 40 Würfen werden die Punkte gezählt. „Bits“ nennt man die Wurfstäbe aus Kunststoff. „Gorodki“ die Holzklötze, die zu 16 verschiedenen Figuren aufgebaut werden. Die Bits wiegen maximal zwei Kilogramm und sind einen Meter lang. „Es gibt sie nicht bei Intersport“, sagt Vitali Rommel lachend. Marke Eigenbau also. Das richtige Rohr, die beste Füllung, der passende Schwerpunkt, der richtige Griff: eine Wissenschaft für sich.

Vitali Rommel ist der Vorsitzende der Fußballabteilung des Vereins und spielt dort.  Deswegen bleibt wenig Zeit zum Gorodki. Andere des Klubs gehören zu den zehn besten Spielern Deutschlands – Jakob Halle und Sergej Pervushin. Bei den Frauen hat der BFSV Atlantik noch mehr zu bieten: Tatjana Pervushin, Sergejs Frau, wurde 2017 erste deutsche Meisterin. Konzentrationsfähigkeit, Auge, Kraft und Ausdauer seien wichtig, sagt Vitali Rommel. In dieser Reihenfolge.

Es ist nicht so, dass tausende hierzulande diesen Importsport betreiben. Neben Atlantik sind das drei Klubs im Norden (Tostedt, Kiel, Schwerin) und drei im Süden. Wenn jährlich im Sommer die Meisterschaften ausgespielt werden, fahren alle Gorodkispieler*innen des BFSV mit. Im Juli findet die diesjährige Meisterschaft in Oberndorf statt. Acht bis neun Wettkämpfe im Jahr kommen zustande, und an einem Ranglistensystem wird gerade gefeilt.

Als Pionierarbeit bezeichnet Rommel den Einsatz der kleinen Abteilung: „Gorodki soll nicht aussterben.“ Immer mal wieder kommen Leute aus Allermöhe vorbei und probieren selbst, die Bits zu schmeißen, auch Kinder. „Jede und jeder ist willkommen, egal, welches Alter“, sagte Vitali Rommel. In zwei bis drei Jahren soll es eine Jugendabteilung geben, und deutsche Meisterschaften will der BFSV Atlantik bald ausrichten; 2020 könnte ein gutes Jahr dafür sein. Keineswegs möchten die Leute von Atlantik unter sich bleiben. Viele Vereinsmitglieder sind ja in den neunziger Jahren aus der Sowjetunion nach Hamburg gekommen. Zu wachsen ist schwierig, weiß Rommel: „In Russland war Gorodki mal Nationalsport. In den 90er Jahren ist es fast verschwunden. Jetzt wächst es wieder. Als ich zuletzt bei einem Turnier in Moskau war, fragte mich jemand, was wir da machen. Dabei bin ich doch selbst noch ein Neuling!“

Der BFSV Atlantik wirbt im Stadtteil für seinen Sport. Gorodki hat sich schon am zentralen Fleetplatz vorgestellt. Viele schauten zu, erzählt Rommel: „Wir haben schön Lärm gemacht.“ Auch Spieler seiner Atlantik-Fußballmannschaft, der U14, die er trainiert, probierten bei ihrem Sommerfest Gorodki aus – und staunten, wie anstrengend es ist.

 

Frank Heike