Großer Erfolg für Mahdi Ganji und Ahmed Tüfekci

Glindes Boxer gewinnen zwei Hamburger Meistertitel. Trainerin Nicole Timmann steht für den Aufschwung der Abteilung.

Kratzige Stimme, hohes Fieber und Gliederschmerzen: Der Kampfabend um die Hamburger Meistertitel im Boxen hat bei Nicole Timmann deutliche Spuren hinterlassen. „Seit Tagen steckte mir schon etwas in den Knochen. Nachdem die ganze Anspannung abgefallen ist, schlug – um im Boxerjargon zu bleiben – die Grippe gnadenlos zu“, erzählt die Trainerin des TSV Glinde dem Abendblatt und lacht. „Das hat aber meine euphorische Stimmung nicht beeinträchtigt.

Grund zur Freude gab es allemal: Bei den Titelkämpfen in der Sporthalle am Bramkamp feierte die vor sechs Jahren wiederbelebte Boxabteilung des Vereins gleich einen Doppelerfolg. Mahdi Ganji gewann im Mittelgewicht (bis 75 Kilogramm). Ahmed Tüfekci holte den Titel im Halbschwergewicht bis 81 Kilogramm.

Der Afghane Ganji, der sich im Finale gegen Sven Wiedemann vom FC St. Pauli durch technischen K.o. in der ersten Runde durchsetzte, führt zurzeit einen weiteren, weitaus wichtigeren Kampf um seine Zukunft. Die Aufenthaltsgenehmigung des 19 Jahre alten Flüchtlings läuft demnächst aus. Das Asylverfahren ergab einen negativen Bescheid. Dabei ist Ganji durchaus ein Vorbild für Integration. Viermal in der Woche nimmt der 19-Jährige Deutschunterricht. Durch seine offene Art schloss er in der Boxsparte des TSV Glinde schnell Freundschaften. Später möchte er als Altenpfleger sein Geld verdienen.

„Mahdi ist ein äußerst disziplinierter, von Grund auf ehrlicher und zuverlässiger Mensch, der einfach eine Chance verdient“, sagt Timmann. „Außerdem ist er ein sehr talentierter, technisch sauberer und fairer Sportler.“ In der Heimat bekamen die Familie, Freunde und Bekannte des jungen Afghanen seinen sportlichen Erfolg dank WhatsApp und Internet zeitnah mit. Auf einer Tafel in seiner ehemaligen Schule huldigten ihn ehemalige Klassenkameraden mit in Kreide fett geschriebenen Buchstaben: „Herzlichen Glückwunsch unserem Hamburger Meister Mahdi“.

Ahmed Tüfekci gilt ebenfalls als großes Talent. „Auf der einen Seite ist Ahmed ein Musterschüler, den sich jeder Trainer wünscht“, sagt die Trainerin und schmunzelt. „Auf der anderen Seite kann er auch ein liebenswerter Chaot sein, der nicht nur immer das letzte Wort hat, sondern auch seinen eigenen Kopf durchsetzt.“ Tüfekci – diesmal eher in der Rolle des Musterschülers – sagt mit einem Lächeln: „Den Titelgewinn verdanke ich zum großen Teil Nicole, die es als Trainerin in einer Männerdomäne nicht immer leicht hat.“ Das Finale gegen Brian Guski gewann Tüfekci mit 2:1 Richterstimmen.

Ausschlaggebend war dabei eine Serie von Wirkungstreffern in Runde zwei, nach denen der Ringrichter unterbrach und den Kämpfer vom SC Condor anzählte. Nicht nur sportlich, auch beruflich will Tüfekci vorankommen. Der 21-Jährige hat eine Ausbildung zum Baumaschinen-Mechatroniker abgeschlossen. Zurzeit absolviert er bei einem großen Flugzeughersteller eine Umschulung zum Strukturmechaniker.

Colin Zorn galt mit einem Kampfgewicht von 78,2 Kilogramm ebenfalls als Medaillenanwärter. Timmann hatte den 20-Jährigen entsprechend den Regeln für die Kämpfe im Halbschwergewicht angemeldet, der Hamburger Boxverband Zorn in seinen Unterlagen jedoch für das Mittelgewicht bis 75 Kilogramm notiert. Timmann: „Colin wäre auch eine Klasse tiefer gestartet. Das hat aber sein sechs Kilogramm leichterer Gegner verständlicherweise abgelehnt.“

Der Boxsport in Glinde blickt auf eine lange und phasenweise erfolgreiche Geschichte zurück. Anfang der 1990er-Jahre traten die Boxer des TSV vor bis zu 1000 Zuschauern sogar in der Zweiten Bundesliga an. Nach dem Abstieg und einigen Jahren in der Oberliga wurde die Sparte aus finanziellen Gründen aufgelöst. 2003 missglückte ein erster Versuch, die Abteilung wieder zum Leben zu erwecken. Vor acht Jahren folgte ein weiterer und weitaus erfolgreicherer Versuch.

Mittlerweile ist die Abteilung des Stützpunktvereins im Bundesprogramm "Integration durch Sport" auf knapp 70 Mitglieder angewachsen. Der Aufstieg in den vergangenen sechs Jahren ist eng mit dem Namen Timmann und ihrer Leidenschaft für den Boxsport verbunden. Die 41-Jährige kennt sich aus in Hamburgs Boxszene. Einige ihrer Stationen waren Vereine wie Bushido, Boxbunker, Boxschmiede oder Feuersports. Frauenboxen galt noch Anfang der 1990er-Jahre in Deutschland als nicht gesellschaftsfähig. Dass Timmann sich in einer reinen Männerdomäne durchgesetzt hat, verdankt sie auch ihrem ehemaligen Trainer Owen Reece. Der frühere Profiboxer brachte ihr alle Finessen des Boxsports bei.