„Wir wollen nicht missionieren!“

Zwei Menschen - zwei Vereine – Integration durch Sport - eine Geschichte. Stefan Schlegel und Martin Hildebrandt sind die Männer der ersten Stunde. Stefan Schlegel zunächst für den Eidelstedter Sportverein (ESV), Martin Hildebrandt für den Eisenbahn Turn- und Sportverein (ETSV), beide haben die Integration im Stadtteil auf Trab gebracht.

Stefan Schlegel (li.) war eine Person der ersten Stunde, die das Thema "Integration" im Stadtteil und Sportverein ins Laufen brachte
Stefan Schlegel (li.) war eine Person der ersten Stunde, die das Thema "Integration" im Stadtteil und Sportverein ins Laufen brachte

Zahlreiche Auszeichnungen sind der Dank:  Uwe-Seeler-Preis 1993, für eine hervorragende Breitenarbeit in der Fußballjugend. Eine Urkunde für „vorbildliche Integration von Aussiedlern“ überreicht von der damaligen Bundestagspräsidentin Dr. Rita Süßmuth (1998). Gewinn des Bundeswettbewerbs „Sport kennt keine Grenzen“ (1999).  2002 wurde der Fotowettbewerb des Hamburger Sportbundes zum Thema Sportler gegen Ausländerfeindlichkeit gewonnen.

Da kann man nach fast 30 Jahren schon mal aufgeregt sein.

Wir sitzen allerdings völlig unaufgeregt beisammen und plaudern über gestern und heute. Mit dabei ist Yumiko Haneda, sie arbeitet heute als Integrationsbeauftragte beim SV Eidelstedt. 

Ein Blick zurück: „Oh man, das ist schon alles solange her“, sagt Stefan Schlegel auf die Frage, wie denn nun alles angefangen hat. Zwar arbeiteten beide, Hildebrandt und Schlegel, noch jeder für einen anderen Verein, doch die Leidenschaft galt einem gemeinsamen Ziel: Menschen, die fremd in der Stadt waren, zu helfen. „Sportvereine haben da auch eine soziale Verantwortung und Sport spricht nun mal alle Sprachen“, erklärt Hildebrandt.

1990, als viele Aussiedler aus den Ostblockstaaten auch nach Hamburg kamen (siehe Artikel Seite 11) starteten auch die Eidelstedter Vereine vermehrt Aktionen.  „Den ersten Impuls haben wir in der Tat vom Hamburger Sportbund bekommen, dort gab es einen Ansprechpartner und finanzielle Fördermöglichkeiten“, erinnert sich Schlegel. „Wir sind auf die Wohnschiffe gegangen und haben gleich vor Ort Sport angeboten, über Deck, unter Deck, da wo halt Platz war. Wir haben mit dem Sportmobil  die Wohnunterkünfte besucht, haben Feste und Aktivitäten für Vereins- und Nichtvereinsmitglieder veranstaltet. Hildebrandt: “Dabei wollten wir nicht missionieren, sondern vertrauensbildende Maßnahmen schaffen, um die Hemmschwellen so gering wie möglich zu halten. Soziale Gemeinschaft durch Sport heißt für uns und viele andere Vereine immer auch Quartiersarbeit, ausgerichtet nach den Bedürfnissen der Menschen, die vor Ort leben“.

Ein Dauerbrenner über die Zeit ist das Ferienprogramm in der Sporthalle Dörpsweg. Dort wurden zunächst in den Herbstferien, mit eigener Finanzierung und über kurze Dienstwege, ein Bewegungsangebot für daheim gebliebene Kinder und Jugendliche, mit und ohne Migrationshintergrund geschaffen. Zwei Stunden vormittags, Badminton, Basketball, Tischtennis, Bewegungsgeräte in allen Formen und Farben, Angebote, die das Kinderherz begehrt. Schlegel: „Wir hatten bis zu 60 Kinder am Tag, das Programm wurde dann später auf die anderen Ferien ausgeweitet und mit Bezirkssondermitteln unterstützt.“

In den 30 Jahren haben sich die Eidelstedter immer wieder an die Gesellschaftsentwicklung angepasst. 2002 wird aus dem bundesweiten Projekt „Sport für Alle – Sport mit Aussiedlern“ das Programm „Integration durch Sport“. 2003 fusionieren beide Vereine zum SV Eidelstedt. Als Großverein entwickelten sich neue Möglichkeiten, neue Stellen können geschaffen werden.

 Einen weiteren Höhepunkt der Integrationsarbeit erlebte der Verein 2015, als viele Geflüchtete in der Hansestadt aufgenommen wurden. Ein leerstehender Praktiker-Markt wurde damals, sowie an vielen anderen Stellen im Stadtteil als Erstaufnahmeeinrichtung benutzt. „Da gab es kein „Ach je“. Wir haben einfach gehandelt“, sagt Schlegel. Erfahrung war ja genügend vorhanden. Die Schulsporthalle in der Nähe wurde kurzerhand für Sportangebote und Duschmöglichkeiten benutzt.

Yumiko Haneda hört interessiert zu. Sie teilt sich seit 2017 eine Stelle mit einer Kollegin, finanziert von der Hamburger Bürgerschaft. Als Integrationsbeaufragte ist die 40Jährige auf Umwegen zum SVE gekommen. Nach einem Jura- und PR-Studium arbeitete sie in der Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Roten Kreuz. „Im Rahmen dieser Arbeit bin ich durch die Erstaufnahmen gegangen. Das war ein tolles Jahr, aber auch sehr aufreibend.“ Um eine Auszeit zu nehmen wechselte sie als Sportkoordinatorin zum Hamburger Sportbund. So kam der Kontakt zum SVE zu Stande und die neue Aufgabe.

 „Das war mal ganz spannend zu hören, wie es früher war.“ Denn obwohl so viel Erfahrung in der Integrationsarbeit steckte, durfte sie „ihr eigenes Ding machen“. Die Philosophie ist gleichgeblieben. „Auch wir sind durch Unterkünfte gegangen und haben den Sport vor Ort angeboten oder weitere offene Sportangebote geschaffen. „Das ist gar nicht so einfach, wie man denkt. Man kann beispielsweise nicht mal eben Menschen verschiedener ethnischer Herkunft in eine Mannschaft stecken und denken das war`s jetzt.“ Da ist Feingefühl gefragt, die Menschen brauchen Ansprechpartner, um Sprachbarrieren und Ängste zu überwinden. Sowas braucht Monate, sogar Jahre.

Vielen alteingesessenen Vereinsmitgliedern war auch nicht klar, dass offene Sportangebote wirklich für ALLE sind – und nicht nur für bestimmte Zielgruppen. „Wir haben in der Ansprache ein bisschen die Taktik geändert, erzählt Yumiko Haneda. „Wir benutzen nicht nur den Begriff offenes Sportangebot, sondern einfach nur Sportangebot. Wir benutzen Fotos, die nicht nur Menschen mit erkennbaren Migrationshintergrund zeigen, sondern ganz bunt gemischte Gruppen.“

Inzwischen ist zwar kein Alltag eingekehrt, aber die Sonderstellung der geflüchteten Menschen verschwimmt zunehmend, viele Gruppen mischen sich ganz automatisch in einem multikulturellen Stadtteil wie Eidelstedt. „Unser nächstes Ziel ist es, diesen Menschen nicht nur Sportangebote anzubieten, sondern sie auch in die Vereine zu holen, damit sie dort Aufgaben übernehmen. Rund 15 ÜL, Trainer, Minijobber arbeiten inzwischen beim SV Eidelstedt. „Toll wäre auch, wenn ein einfacherer Zugang zu den Qualifizierungsmöglichkeiten, beispielsweise der Übungsleiter-C-Lizenz, geschaffen wird“, wünscht sich Haneda, „das Interesse ist da, aber die Anforderungen sind momentan noch zu hoch.“


  • Stefan Schlegel (li.) war eine Person der ersten Stunde, die das Thema "Integration" im Stadtteil und Sportverein ins Laufen brachte
    Stefan Schlegel (li.) war eine Person der ersten Stunde, die das Thema "Integration" im Stadtteil und Sportverein ins Laufen brachte