Integrationsmotor Sport

Das Thema Integration ist im Fokus der öffentlichen Diskussion. Der organisierte Sport in Nordrhein-Westfalen engagiert sich seit langem in diesem gesellschaftlich bedeutenden Bereich und begreift Integration als zentrale Aufgabe einer nachhaltigen Sportentwicklung. Neben vielen Erfolgen bleibt aber noch viel zu tun.

Emsal Ay lebt seit 30 Jahren in Deutschland. Für sie begann durch den Sport ein neuer Lebensabschnitt. „Ich bin durch meine Tätigkeit als Übungsleiterin endlich zum Sport gekommen“, erzählt die Gelsenkirchenerin: „Jetzt kann ich mir mein Leben ohne sportliches Engagement nicht mehr vorstellen.“

Franz-Josef Stahlschmidt, der 1. Vorsitzende des Boxclubs BC Vogelheim erzählt: „Von unseren rund 70 Mitgliedern sind 80 Prozent Menschen mit Zuwanderungsgeschichte.“ Integration ist in seinem Club selbstverständlich. „Es ist doch ganz gleich, wo jemand herkommt“, sagt er, „Hauptsache, er kann etwas.“

Zwei Beispiele erfolgreicher Integration durch Sport. Notwendige Beispiele, denn Nordrhein-Westfalen ist ein Migrationskernland. Hier leben mehr Menschen mit Zuwanderungsgeschichte - fast 25 Prozent der NRW-Bevölkerung, ungefähr 4,1 Mio. - als in jedem anderen Bundesland (der bundesweite Schnitt liegt bei rund 19 Prozent). In vielen Stadtteilen an Rhein und Ruhr beträgt der Zuwanderungsanteil mehr als 50 Prozent. Das Thema Integration steht also zu Recht auf der Tagesordnung.

Die Integrationskraft des Sports ist unbestritten. Sport verbindet, schafft soziale Kontakte. Trotz Zuwanderung droht den Sportvereinen im Zuge des demografischen Wandels jedoch, dass der Nachwuchs, Kinder und Jugendliche, ausbleibt. Für LSB-Präsident Walter Schneeloch ist klar: „Im Kern wird es darum gehen, künftig die Integration als zentrale Querschnittsaufgabe für die weitere Vereinsentwicklung zu begreifen. Dabei gilt es, die vielfältigen Stärken und Potentiale der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu erkennen, zu fördern und für die Weiterentwicklung des organisierten Sports zu nutzen.“

Integration als zentrale Querschnittsaufgabe für die Vereinsentwicklung

Dies wird kein Selbstläufer. Obwohl in keiner anderen freiwilligen Vereinigung so viele Menschen mit Zuwanderungsgeschichte organisiert sind wie in den Sportvereinen, haben dennoch lediglich rund zehn Prozent der Vereinsmitglieder eine Zuwanderungsgeschichte. Und: Nur etwa jedes siebte Mädchen aus einer Zuwandererfamilie ist Mitglied eines Sportvereins (dagegen ist jedes  zweite Mädchen ohne Zuwanderungsgeschichte im Sportverein organisiert).

Warum ist das so? Einerseits bedarf es im Vereinssport offensichtlich weiterer Bemühungen. Andererseits wies die Bielefelder Universitätsprofessorin Dr. Christa Kleindienst-Cachay bereits 2005 darauf hin, dass „ein maßgeblicher Grund ist, dass es durch das Sportengagement der Töchter in muslimischen Familien in der Regel zu erheblichen Konflikten mit zentralen Prinzipien traditioneller  Mädchenerziehung kommt, nämlich vor allem mit dem Gebot der Geschlechtertrennung, der Beaufsichtigung und der Körperverhüllung (Nacktheitstabu).“

Ebenfalls spielt das Bildungsniveau eine Rolle. 14 Prozent der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte haben keinen allgemeinen Schulabschluss (1,8 bei den anderen), 42,8 Prozent keinen beruflichen Abschluss (Quelle FAZ). Da sich bildungsferne Schichten unabhängig von nationaler Herkunft und Kultur generell weniger in Sportvereinen engagieren, tun sich diese Menschen besonders schwer mit der Integration.

Der organisierte Sport hat sich schon früh zur Aufgabe der Integration bekannt. Aktuelle Programme wie „Integration durch Sport“ und „spin - sport interkulturell“ sind zu Recht erfolgreiche Aushängeschilder.

"Integration durch Sport" ist ein Programm des Deutschen Olympischen Sportbundes und wird von den Landessportbünden eigenverantwortlich umgesetzt. Eine aktuelle bundesweite Evaluation der Universität Potsdam zeichnet eine außerordentlich positive Bilanz des Programms. Zum Beispiel „treiben in fast 90 Prozent der Sportgruppen Einheimische und Zuwanderer gemeinsam Sport. Betreut werden sie von Übungsleitern, die selbst zu nahezu 50 Prozent einen Migrationshintergrund haben.“  Erfreulich: „Analysen (...) belegen eindeutig, dass Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte im Programm vorwiegend ‘miteinander’ und nicht ‘nebeneinander’ sportlich aktiv sind.“

Zielgruppenorientierte Angebote sind richtungweisend

Das Modellprojekt „spin - sport interkulturell“ wird seit 2007 in den Städten Duisburg, Essen, Gelsenkirchen und Oberhausen durchgeführt, Städten mit hoher Zuwanderung. „spin“ ist ein Projekt der Stiftung Mercator und der Sportjugend NRW, unterstützt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und der Landesregierung NRW. Es bemüht sich um maßgeschneiderte Angebote vor allem für Mädchen und Frauen mit Zuwanderungsgeschichte.

Aber auch Vereine, die nicht Teil dieses Programms sind, leben Integration. Insbesondere Kampfsportarten und Fußball haben eine hohe Anziehungskraft für Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte. 

Integration ist dabei keine Einbahnstraße. Hier spricht der organisierte Sport in NRW eine klare Sprache: „Integration ist ein Prozess des wechselseitigen Aufeinanderzugehens und basiert auf den Prinzipien des gegenseitigen Respekts.“ Ein gesellschaftlicher Minimalkonsens auf der Basis des Grundgesetzes ist dabei unabdingbar. Dabei sind auch reine Migrantensportvereine willkommen. Walter Schneeloch: „Durch eine interkulturelle Öffnung unsers Sportsystems beziehen wir Migrantensportvereine partnerschaftlich und gleichberechtigt in die zukünftige Sportentwicklung in Nordrhein-Westfalen mit ein und bereichern diese.“

Integrationsmotor Sport? Die Erfahrungen der Integrationsprogramme zeigen, dass zielgruppenorientierte Angebote richtungweisend sind und Integration im Sport gelingt. Ein zukünftig immer wichtiger werdendes Feld liegt in der Zusammenarbeit Schule-Sportverein, Stichwort Ganztag.

Im Sporthelferprogramm engagieren sich schon viele junge muslimische Schülerinnen und Schüler im Team mit Jugendlichen ohne diesen Hintergrund. Ganz selbstverständlich. Hier liegt ebenfalls Potential für die Zukunft. Dennoch bleibt unter dem Strich Integration ein langfristiger Prozess, bei dem alle Gesellschaftsmitglieder gefordert sind. Der Sport wird dabei einen substanziellen Beitrag leisten.

"Es gibt im Sport keine Integrationsverweigerer" Interview mit H.-P. Schmitz, LSB-Integrationsbeauftragter: "Es gibt im Sport keine Integrationsverweigerer."