Radlernkurse für Frauen in Bremerhaven – auf zwei Rädern zu mehr Unabhängigkeit

Dass viele in Deutschland lebende Frauen mit Migrationsgeschichte noch nie auf einem Fahrrad saßen, ändert sich nur langsam – der Stützpunktverein TuSpo Surheide brachte in Bremerhaven jedoch einiges ins Rollen. Zwölf Mädchen und Frauen konnten in den Herbstferien neue Möglichkeiten für Mobilität, Sport und Unabhängigkeit im Alltag erfahren.

Die Abschlussfahrt in Herbstfarben
Die Abschlussfahrt in Herbstfarben

Dass ein großer Bedarf an Radlernangeboten besteht, stellte sich vor allem bei Gesprächen in Bremerhavener Integrations- und Sprachkursen heraus. In den Heimatländern einiger Frauen ist es nicht üblich oder sogar verboten aufs Rad zu steigen. Radfahren gilt in Saudi-Arabien oder im Iran beispielsweise als pure Männersache. In anderen Fällen erschweren fehlende Radwege, marode Straßen oder finanzielle Gründe den Zugang zum Rad. Teils wurde erlerntes Fahren auch nicht geübt und wieder verlernt. Trotz unterschiedlicher Voraussetzungen hatten die Teilnehmerinnen beim Start jedoch etwas gemeinsam, meint Sarah Ackermann: „Die anfängliche Angst vor dem freien Fahren, aber den Willen es trotzdem unbedingt zu schaffen!“

Sarah (23) und ihre Schwester Lisa (20) leiteten den einwöchigen Intensiv-Kurs auf dem Gelände der Surheider Schule. Gestartet wurde mit Tretrollern und Hütchen in der Halle. „Für viele klingt Rollerfahren erst mal nach einer leichten Aufgabe. Wenn man es als Kind nicht gelernt hat, ist aber auch ein Roller eine große Herausforderung!“ sagt Lisa. Sie und ihre Schwester waren einige Monate zuvor auf einer Trainerschulung zum Thema Radfahren vereint des Programms "Integration durch Sport" des LSB Niedersachsen in Celle. Sie haben sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und viel Arbeit in die Planung ihres ersten Radlernkurses gesteckt. Drei Tage wird Gleichgewicht, Sicherheit und das Fahrgefühl auf den Rollern gefestigt, dann geht es rauf aufs Rad. Nach Roller-Slalom durch die Halle, folgt das Aufsteigen, Bremsen und Lenken im Freien.

Schnell war zu beobachten, wie viel Spaß die Teilnehmerinnen an der neuen Art der Fortbewegung entwickelten, berichten Sarah und Lisa. Während Kopftücher unter den Fahrradhelmen im Fahrtwind flatterten, hörte man die Frauen meist laut miteinander lachen. „Man merkt auch, wie sich die Teilnehmerinnen freuen, mal neue Bekanntschaften zu machen.“ betont Sarah.

Für die meisten der Radfahrerinnen steht sonst Kindererziehung an erster Stelle. Um Terminplan und Kopf der Teilnehmerinnen für Radfahren und Verkehrsregeln freizubekommen, sind zwei altersangepasste sportliche Betreuungsprogramme beim TuSpo eingerichtet worden.

Als geplantes Highlight gab es eine große 14km-Abschlussfahrt nach Schiffdorf, auf der die Kinder mit den Betreuerinnen bei einem verabredeten Treffpunkt zur Tee Pause warteten. Nach der Tour konnten die Damen ihre Leihfahrräder im Gegensatz zum Start des Kurses eigenständig wieder zur AWO zurückbringen.

Einen Radlernkurs zu planen braucht ein außergewöhnliches Maß an Organisation und Engagement. Es ermöglicht aber auch vielen Menschen, etwas zu lernen, wozu sie sonst wohl kaum eine Gelegenheit gehabt hätten. Das meint auch die Teilnehmerin Mariam Sadak: „Ohne euch hätte ich es nicht geschafft, ich bin sehr glücklich!“ schrieb sie Lisa und Sarah. Sie war die erste Teilnehmerin, die Bilder vom eigenen Fahrrad-Familienausfug in die WhatsApp-Gruppe stellte. Häufig haben die Kinder bereits Radfahren in der Schule gelernt, die Mütter aber nicht.

Für Sarah und Lisa war dieser Kurs auf jeden Fall nicht der Letzte. Bei der Organisation haben sie gemeinsam mit Ruth Rywak etwas wirklich Beachtliches auf die Beine gestellt. „Ohne ein so gutes Netzwerk wäre es aber kaum möglich gewesen.“ betont Rywak. „Die Tretroller haben wir mithilfe von Demokratie leben! angeschafft und auch im Verein mussten wir ja erst einmal Übungsleiterinnen für die Betreuung finden. Die Fahrräder gab es als Leihgabe von der AWO und wir haben sie dann mithilfe unseres Platzwarts im Verein wieder fit gemacht.“ Im Gegensatz zu anderen Lernkursen, gab es keine Schul-Fahrräder mit extra niedrigem Rahmen. „Aus der Not ist aber eine Tugend geworden.“ sagt Rywak. „Es war beim Lernen kein großes Hindernis und inzwischen fahren die Damen auch privat teilweise auf Mountainbikes, was sie bei der Wahl des Rades unabhängiger macht.“

Unabhängigkeit ist auch das Wort der Stunde, wenn es darum geht, was die Teilnehmerinnen aus dem Kurs mitgenommen haben. Die Abhängigkeit von den öffentlichen Verkehrsmitteln oder vom Familienauto abgelegt zu haben, ist für sie ein befreiendes und schönes Gefühl.

Autor: Patrick Pavel, Landessportbund Bremen, Referent Bundesprogramm „Integration durch Sport“

Das Programm „Integration durch Sport“ wird aus Mitteln des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unterstützt.

 


  • Die Abschlussfahrt in Herbstfarben
  • Der Start: Rollern in der Halle
  • Erste Schritte auf dem Bürgersteig