Neue Erfahrungen beim Klettern

Geflüchtete lernen beim DAV Reutlingen, sich in einer neuen Sportart zu

überwinden. In einem offenen Kurs erfolgt weitere Integrationsarbeit.

 

Training an der Kletterwand
(Foto: Sven Jäger)
Training an der Kletterwand (Foto: Sven Jäger)

Der junge Mann hängt in vier Meter Höhe in der Kletterwand und sucht nach der nächsten Griffmöglichkeit. Behände umfasst er den roten Griff und zieht sich weiter nach oben. Als er am Ende der Toprope in zwölf Meter Höhe ankommt, ruft er lautstark „Yes“ und lässt sich ins Seil fallen. Sicher wird er von Judith Günther zurück auf den Boden abgeseilt. Dort klatscht er sich mit der Klettertrainerin ab. Das breite Grinsen in seinem Gesicht zeigt ohne viele Worte, wie viel Freude ihm die Route bereite hat.

Mamudu heißt der junge Mann und stammt aus Gambia. Bevor der 29-Jährige nach Deutschland geflüchtet war, kannte er nur kleine Hügel, aber keine höheren Berge. Als er jedoch vom Projekt „Klettern für Flüchtlinge“ des Amtes für Migration und Integration des Landratsamtes Reutlingen und des DAV Reutlingen gehört hatte, wollte er unbedingt mitmachen. „Mir macht's richtig Spaß“, sagt er, „manchmal träume ich sogar vom Klettern.“

Klettern fördert Gemeinsinn und Selbstbewusstsein

Marco Neher, verantwortlich für Integrationsprojekte beim Landratsamt, hatte die Idee, Menschen mit posttraumatischen Erlebnissen ein Kletterangebot zu unterbreiten. Sein Argument: Klettern fördert den Gemeinsinn und steigert das Selbstbewusstsein. Im DAV Reutlingen fand er einen kompetenten Partner mit einer passenden Trainingshalle.

Als der Kurs nach den Sommerferien im September startete, waren zehn Teilnehmer in der Kletterhalle. Mit dabei waren auch zwei Frauen aus dem Libanon und Tschetschenien. Sie wollten eigentlich nur schauen, ob dieses Angebot etwas für ihre Kinder sei. „Die fanden‘s so interessant, dass sie gleich dageblieben sind“, erzählt Trainerin Günther.

Sprachprobleme werden spielerisch überwunden

Wie Mamudu waren alle Teilnehmer bislang mit dem Klettern noch nie in Kontakt gekommen. Die Beweggründe mitzumachen waren sehr unterschiedlich. Zum einen waren es rein sportliche Ambitionen. „Den Sportlern konnte es nicht schwierig genug sein und nicht hoch genug gehen“, berichtet Günther. Andere gingen die neue Herausforderung vorsichtiger an, waren danach umso stolzer, dass sie ihre Ängste hatten überwinden können. Nur um sich danach mit wachsender Begeisterung an neue Touren zu machen. „Mittlerweile reizen alle die Halle aus“, sagt Günther. Die bietet immerhin Toure bis zu einer Höhe von 17 Metern.

Zum Klettern gehört jedoch nicht nur das Bezwingen bestimmter Routen, sondern auch das Absichern des Kameraden. Dazu sind einige sicherheitsrelevante Grundkenntnisse Voraussetzung. Wie etwa der 8er-Knoten. Mit etwas Improvisation wurde dabei das Sprachproblem gelöst. Ein junger Teilnehmer, der schon etwas deutsch beherrschte, übersetzte ins Arabische. Ansonsten haben sich die angehenden Kletterer gegenseitig bei den Knoten geholfen.

Teilweise kam es auch bei den Kommandos zu etwas Verwirrung. „Ab!“ ist das Kommando, das man dem Sichernden zuruft, wenn man am Seil nach unten gelassen werden möchte. Es klingt jedoch sehr ähnlich wie das englische „up!“ – und meint genau das Gegenteil. Aber auch diese Verwirrungen konnten schnell aufgelöst werden.

Durch den zweiten Lockdown wurde das Projekt „Klettern für Flüchtlinge“ aber unterbrochen – sehr zur Enttäuschung der Teilnehmer. Schließlich sollte der Kurs mit Beginn der Weihnachtsferien enden. Trainerin Judith Günther hat jedoch versprochen, die ausgefallenen Termine auf alle Fälle nachzuholen. Ermuntert durch den großen Erfolg plant DAV-Geschäftsführerin Sonja Langenbucher nicht nur einen zweiten Kurs, sondern eventuell sogar einen nur für Frauen. Gleichzeitig würde sie den Neu-Kletterern gerne einen offenen Treff anbieten, in dem sie gemeinsam mit den DAV-Mitgliedern ihr neues Hobby ausüben können. „Mit dem offenen Kurs würden wir einen Weg finden, dass die Migranten weiterhin klettern könnten, aber sie auch besser in die Gemeinschaft integriert würden“, sagt Langenbucher.

Sven Jäger vom Landratsamt hofft, dass sich daraus ein Netzwerk bildet, damit die Geflüchteten auch bei anderen Herausforderungen unterstützt werden. Bis dahin möchte Mamudu einfach nur klettern.

Klaus-Eckhard Jost / WLSB


  • Training an der Kletterwand
(Foto: Sven Jäger)
    Training an der Kletterwand (Foto: Sven Jäger)
  • Trainerin Judith Günther (ganz rechts) zusammen mit Ihrer Klettergruppe.
(Foto: Sven Jäger)
    Trainerin Judith Günther (ganz rechts) zusammen mit Ihrer Klettergruppe. (Foto: Sven Jäger)