Berlin - Rassismus in unseren Köpfen und was die deutsche Kolonialgeschichte damit zu tun hat

Woher kommen die kollektiven, rassistischen Vorurteile gegenüber Schwarzen Menschen und wie haben sie sich derartig fest in unseren Köpfen verankert? Um die Entstehung und Wirkungsweisen von Rassismus zu verstehen, ist die Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte notwendig.

Ab dem 19. Jahrhundert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts führte das Streben des Deutschen Reiches nach Hegemonie zu Aneignung, Ausbeutung, Gewalt und Raub.

 

Die Auswirkungen der Kolonialzeit sind auch heute noch spürbar: Weiße Menschen profitieren noch immer vom Reichtum der damaligen Zeit und dem wirtschaftlichen Aufschwung des Deutschen Reichs (u.a. in Form von Wohlstand, Lebensstandards, Perspektiven, Privilegien). Schwarze Menschen hingegen müssen sich ihren Platz in der Gesellschaft noch immer hart erkämpfen, sind ständigen Alltagsrassismen ausgesetzt und sehen sich gezwungen, ihren Wunsch nach Gleichberechtigung nicht nur behaupten, sondern zum Teil auch rechtfertigen zu müssen.

Beispielhaft dafür ist der jahrelange, öffentliche Streit über die gestohlenen Kulturgüter. Regierungen verschiedener ehemaliger deutscher Kolonien sowie diverse Nicht-Regierungsorganisationen (sog. NGOs), fordern seit Jahrzehnten die Rückgabe geraubter, nationalen Kultureigentümer. Genauso lange verweigern sich renommierte deutsche Institutionen wie Museen und Hochschulen, in deren Gewahrsam sich die Kulturschätze aktuell befinden. Die diplomatischen Beziehungen sind angespannt und der Ton offenbart den bis heute bevormundenden Umgang mit den ehemaligen Kolonien. Doch tatsächlich ist vielen Deutschen gar nicht bewusst, dass auch das damalige Deutsche Reich bis ins 20. Jahrhundert hinein Kolonialmacht in allen Himmelsrichtungen des afrikanischen Kontinents südlich der Sahara war. Zur Veranschaulichung eine Auflistung deutscher Kolonien nach heutigem, international anerkanntem Völkerrecht: Burundi, Ruanda, Tansania, Namibia, Kamerun, Gabun, Republik Kongo, Zentralafrikanische Republik, Tschad, Nigeria, Togo, Ghana, Neuguinea, Kiautschou, Nauru, Papua-Neuguinea, Marshall-Inseln, Mikronesien, Nördliche Marianeninseln, Palau und West-Samoa.

Deutsche Kolonialgeschichte – der ersehnte „Platz an der Sonne“

Ab 1683 beanspruchen deutsche Fürsten und Handelsleute Grund und Boden im heutigen Ghana. Die kurbrandenburgische Kolonie entstand mit dem Ziel vom „natürlichen Reichtum des Landes zu profitieren“. Die Ausbeutung umfasst Sklaven, Gold, Gewürze und Elfenbein – in dieser Zeit wurde auch die Formulierung Elfenbeinküste geprägt. Auf verschiedenen Routen werden diese Waren im transatlantischen Dreieckshandel oder direkt nach Deutschland verschifft. Nach diesem Vorbild entstanden zahlreiche weitere „Handelsstützpunkte“. Diese Infrastruktur ermöglichte die Landnahme, die später folgte.

1847 demonstriert das Deutsche Reich mit der „Denkschrift über die Erhebung Preußens zu einer See-, Kolonial- und Weltmacht ersten Ranges“ vor dem Vereinigten Landtag in Preußen seinen Herrschaftsanspruch. In den 50er und 60er Jahren des 19. Jahrhunderts werden erste Handelshäuser in Togo und Kamerun errichtet. Der damalige deutsche Zeitgeist war geprägt von der Befürchtung vor hohen Zöllen, falls alle westafrikanischen Gebiete in britische oder französische Hand fielen. Aus diesem Grund stellte Otto von Bismarck Anfang der 1880er Jahre die Besitztümer deutscher Handelsleute unter den Schutz des Deutschen Reiches. 1884 wurden die Kolonien Togo und Deutsch-Südwest-Afrika (heutige Republik Namibia) errichtet.

Vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 fand in Berlin die „Kongokonferenz“ statt (international auch als Berliner Konferenz bekannt). Während dieser Zeit wurde nahezu der gesamte afrikanische Kontinent unter den damaligen europäischen Mächten Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Portugal und Spanien fein säuberlich aufgeteilt. Dabei entstanden auch kerzengerade Grenzlinien, die vielerorts noch bis heute Bestand haben. Bereits vor Ende der Verhandlungen wurden 1884 mehrere Kolonien entlang der afrikanischen Atlantikküste gegründet. Ab dem Ende dieser Konferenz bildete Deutsch-Ost-Afrika (heutiges Burundi, Ruanda und Tansania) einen dritten großen, deutschen Kolonialbereich in Afrika.
Die Formulierungen „Kolonien gründen“ oder „bilden“ verharmlosen die Realität, mit der diese Landnahme stattfand. Parallel zu den Verhandlungen in Berlin reisten Gesandte in die Überseegebiete. Ihre Mission: Den Herrschenden vor Ort diplomatisch ihren Grund und Boden abspenstig zu machen. Ihr Gepäck und gleichzeitig ihre Verhandlungsmasse bestand überwiegend aus: gläsernem Schmuck, einigen Waffen, Tabakwaren und v.a. Alkohol. Dank dieser vermeintlich großzügigen Gaben und auch unter Einfluss der geschenkten Alkoholika wurden deutschsprachige Verträge (ohne entsprechende Übersetzung) unterzeichnet. Diese Verträge erlaubten beispielsweise der „Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft“ uneingeschränkt auf das Zoll-, Steuer-, Verwaltungs- und Justizrecht zuzugreifen. Dadurch besaßen das Deutsche Reich als Staat, die deutschen Handelshäuser und ihre Vertreter weitreichende Handlungsrechte in Form von absoluten Ansprüchen auf bestimmte Waren und Rechtsgüter vor Ort. Dieser Zustand wurde von der lokalen Bevölkerung nicht lange friedlich hingenommen. 1888 erhoben sich Bewohner*innen Ostafrikas: Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft erbat und erhielt militärische Unterstützung durch das Deutsche Reich. Tausende Menschen fielen dem Kampf um die Rechte in und an ihrem eigenen Land zum Opfer. Bis 1890 gründen sich die „Deutsche Kolonialgesellschaft (DKG)“ und eine Kolonial-Abteilung innerhalb des Auswärtigen Amtes.
Am 6. Dezember 1897 prägte der damalige Staatssekretär des Äußeren Bernhard von Bülow nachhaltig den Sprachgebrauch, indem er in einer Reichstagsdebatte sagte: „Wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne.“

Auswirkungen des deutschen Kolonialismus vor Ort

Der Aufstand in Ostafrika blieb bei Weitem nicht der Einzige. Eines der schlimmsten Verbrechen gegen die Menschen Afrikas stellt der Kampf gegen die Herero und Nama ab 1904 dar.
Die native Bevölkerung wurde gezwungen, ihr Land den Siedlern zu überlassen. Das bedrohte die Lebensgrundlage des halbnomadischen Hirtenvolkes, der Herero. Die deutschen Verwaltungen drängten die Herero gewaltsam in Reservate zurück, die vor allem aus schwer bestellbarem Land bestanden. Der geringe Ertrag führte zur Hungersnot. Die Hungersnot führte zu Aufständen gegen die Geißel der Kolonialmacht und gipfelte in einer geschichtsträchtigen Revolution. Am 11.08.1904 kam es zur finalen Schlacht zwischen deutschen Truppen und den Herero. An deren Ende wurden die verbleibenden Herero in die Wüste getrieben und hatten dort keinen Zugang zu Wasser. Am 2. Oktober erließ Lothar von Trotha in der später als Vernichtungsbefehl bekannten Anordnung u.a.: „Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück, oder lasse auf sie schießen.“ Bis 1906 starben insgesamt schätzungsweise 75.000 Herero – ein Völkermord!
Auch die Nama, im Süden Afrikas, starteten eine Rebellion, welche mit aller Härte niedergeschlagen wurde. Dadurch starb bis Ende des Kriegs 1907 die Hälfte aller Nama. Weitere Aufstände (Bsp.: Der Maji-Maji-Aufstand) zogen zigtausend Tote nach sich. Dabei kam auch die Strategie der „verbrannten Erde“ zum Einsatz – eine wirksame und perfide Machtdemonstration der Feldherren des deutschen Reichs. Das Brandschatzen zerstörte Lebensräume, Ackerland und sonstige Infrastruktur der aufständischen Völker, die dadurch dazu verdammt waren, qualvoll zu verhungern und zu verdursteten.

Rassismus als Legitimationszweck – Kolonialisierung des Geistes

Wie konnten sich abwertende Vorurteile gegenüber Schwarzen Menschen und der daraus resultierende Rassismus im ausgehenden 19. Jahrhundert überhaupt flächendeckend und tiefgreifend in Deutschland (und im Rest Europas) verbreiten?

Das Herzstück der sorgfältigen Propaganda waren die „Völkerschauen“. 1874 veranstaltete der Hamburger Zoodirektor Carl Hagenbeck die erste große Völkerschau für eine breite deutsche Öffentlichkeit. Bereits zuvor konnten auserlesene Gäste in kaiserlichen und fürstlichen Menagerien „wilde Ureinwohner“ und exotische Tiere aus den Überseegebieten bestaunen. Diese Kuriositätenschauen dienten als Demonstration der Erfolge und des Profits der Kolonialisierung in den afrikanischen Ländern. Ein wesentlicher Zweck war die Verbreitung und Verfestigung der Überlegenheitsvorstellungen gegenüber den verschiedenen afrikanischen Volksgruppen. Vertreter*innen dieser Völker wurden mit falschen Versprechungen oder gegen ihren Willen nach Deutschland geholt und anschließend auf Augenhöhe mit Tieren präsentiert. Dabei waren sie oft von der langen Reise unter widrigen Bedingungen geschwächt und wurden auch nach ihrer Ankunft menschenunwürdig untergebracht und verpflegt. Diese Zurschaustellungen spiegelten bereits vorhandene Stereotype wider, welche zuvor in der Werbung durch Plakate, Postkarten usw. allgemein verbreitet wurden. So rundeten die Völkerschauen in den Augen der Betrachter*innen lediglich Klischees ab, indem die Inszenierungen bereits vorhandene Vorstellungen bestätigten. Beispielsweise fiel Südafrikaner*innen und Namibier*innen um 1900 das Bild des „Urmenschen“ zu, dessen Kultur nicht über die eines Steinzeitmenschen herausreichte. Aus diesem Grund wurden sie nie in Verbindung mit gesellschaftlichen Strukturen und meist nackt gezeigt. Afrikaner*innen galten als Wilde. Diese Vorstellungen wurden unterstrichen durch Abbildungen Schwarzer Menschen mit Waffen, kämpfend und in Verbindung mit wilden Tieren. Auch sah man sie nie arbeiten.

Völkerschauen und Menschenzoos befeuerten die Vorurteile und Klischees. Die Auswirkungen davon spüren wir bis heute. Die letzte offizielle Völkerschau in Europa fand 1958 in Brüssel statt.

Anne Dreesbach erläutert die Funktion einer Kolonialausstellung in Hinblick auf die Ausbildung von Klischees und Vorurteilen sehr deutlich in ihrem Artikel „Kolonialausstellungen, Völkerschauen und die Zurschaustellung des „Fremden““ (veröffentlicht in der EGO – Europäische Geschichte Online), einen Link zum Artikel finden Sie hier: "Kolonialausstellungen, Völkerschauen und die Zurschaustellung des "Fremden"".

Umgang mit dem Wissen um Vorurteile

Müssen wir unsere kollektiven und oft unterbewussten Vorurteile, die auf kolonialen Vorstellungen beruhen einfach so hinnehmen? Nein! Glücklicherweise befinden wir uns in der privilegierten Position, diese Denkmuster tagtäglich reflektieren zu können. Diese kritische Aufarbeitung ermöglicht uns einen nachhaltigen Abbau traditioneller Sichtweisen.

Denn Vorurteile sind nichts weiter als generalisierte Annahmen, die wir gegenüber anderen Menschen treffen, beVOR wir sie überhaupt kennengelernt haben. Dabei möchte doch eigentlich keine*r von uns aufgrund unseres Äußeren oder unserer Sprache verurteil werden. Wir alle haben den Wunsch, aufgrund dessen wer und wie wir sind, aufgrund unserer Gefühle und Charaktereigenschaften wertgeschätzt zu werden.

Letztlich formt unsere Prägung unser Weltbild. Das bedeutet unsere individuellen Erfahrungen in den Familien, im Bildungssystem, in der Freizeit (z.B. beim Sport) bilden die Basis für unsere Haltung und Einstellungen. Eltern und Kinder bilden hierbei ein Kreislauf in beide Richtungen. Aus Kindern werden irgendwann Eltern. Aber genauso wie Kinder von ihren Eltern lernen, können Eltern umgekehrt auch von ihren Kindern lernen. Es ist unsere generationsübergreifende Verantwortung, die Fähigkeit zu nutzen, unser Verhalten, Denken und Fühlen zu reflektieren und uns so selbst und gegenseitig zu ermächtigen, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Auf diese Weise kann die Weitergabe kolonial geprägter Weltbilder schrittweise dekonstruiert werden. Es bedarf „lediglich“ unseren Willen und Mut, uns uns selbst und ggf. auch unserem Umfeld entgegenzustellen. Gemeinsam – und dafür steht auch das Programm „Integration durch Sport“ – werden wir das schaffen und Vielfalt als das annehmen, was sie ist: eine Bereicherung für uns alle!!!!

 

Quellen und Links zum Weiter- und Nachlesen:

Geraubtes Erbe- Prof. Dr. Bénédicte Savoy

Chronologie zur Deutschen Kolonialgeschichte | bpb

"Ein Platz an der afrikanischen Sonne" | bpb

Deutsche Kolonien – Wikipedia

Anne Dreesbach:„Kolonialausstellungen, Völkerschauen und die Zurschaustellung des „Fremden““

Friederike Habermann „Der unsichtbare Tropenhelm – Wie koloniales Denken noch immer unsere Köpfe beherrscht.“ (2013, erschienen im Drachen Verlag)

Völkerschau – Wikipedia