„Meine Tochter findet mich altmodisch“

Die Integrationskraft des Sports ist unbestritten. Bevor jedoch der Sport seine Segnungen entfalten kann, müssen passgenaue Sportangebote bereitgestellt werden - eine nicht immer leichte Aufgabe.

(Quelle: LSB NRW/Bowinkelmann)
(Quelle: LSB NRW/Bowinkelmann)

Denn die Menschen mit ihren verschieden kulturellen Hintergründen bringen ihre eigenen Vorstellungen von Miteinander mit, gerade im Sport, wo naturgemäß der Körper im Mittelpunkt allen Tuns steht. Besonders offensichtlich wird dies beim Schwimmen für Frauen muslimischen Glaubens.

„Unsere Hallen dürfen nicht einsehbar sein, die Frauen müssen unter sich bleiben können“, erklärt Claudia Borno vom Interkulturellen Familiensport und Freizeitverein e.V. in Aachen. „Die Kleidung muss angemessen sein, Badeanzug ist in Ordnung, die Beine müssen aber bis zum Knie bedeckt sein.“ Die meisten Frauen, die Claudia Borno als spezielle Schwimm-Ausbilderin für Muslime betreut, kommen bei ihr zum ersten Mal mit Wasser in Berührung. Denn für traditionelle Muslima ist das Schwimmen in öffentlichen Anlagen nicht möglich. Junge Mädchen allerdings müssen am Schulschwimmen teilnehmen, auch wenn sie aus einer traditionellen Familie stammen. Dann tragen sie einen Burkini. Übungsleiterin Claudia Borno ist selbst Konvertitin und berichtet, dass auch sie den geschützten Raum eines nicht-einsehbaren Bades braucht: „Wir Übungsleiter müssen uns fit halten, aber versuchen Sie mal im Burkini zu trainieren!“ Ihren weiblichen Mitgliedern einen geschützten Raum zu bieten, in dem sie im Rahmen ihrer kulturellen Identität Sport treiben können, genau das bedeutet für sie Integration: „Unsere Definition: Einer bestimmten Bevölkerungsschicht die gleichen Angebote zu machen wie allen anderen auch.“ Und: „Müssten wir auf deutsche Weise schwimmen, wäre das keine Integration, sondern Assimilation!“

„Ich fühle mich hier freier“

Mit gesundem Pragmatismus betrachtet Margot Willing von der Herner Sportgemeinschaft Friedrich der Große e.V. ihre Damen. „Wenn wir die Leute schon hierherholen und dann arbeiten sie hier und verdienen hier ihr Geld – warum sollte man ihnen nicht ein Angebot machen, das ihnen ein Stück ihrer Kultur lässt?“ Entschlossen steht die Schwimmabteilungsleiterin in der charmanten 50er Jahre-Schwimmhalle in Herne-Eickel und lässt ihren Blick über die 20 schwimmenden Frauen wandern. Ältere Damen mit geblümten Badekappen halten gemütliche Schwätzchen, während sie bedächtig ihre Bahnen ziehen. Frauen mittleren Alters arbeiten konzentriert an ihrer Schwimmtechnik. Zwei junge Mädels in Bikinis sind heute zum ersten Mal dabei, sie quatschen rum und fühlen sich sichtlich pudelwohl. Und ein neunjähriges Mädchen, das schon Erfahrungen aus einem Schwimmverein mitbringt, taucht ausdauernd nach seinem Tauchring. Viele verschiedene Herkünfte kommen hier zusammen, derzeit sind alle Frauen muslimischen Glaubens. Sie alle lieben „ihre“ zwei Stunden, manche kommen extra aus Nachbarstädten nach Herne, viele sind schon mehre Jahre dabei. Dass das Schwimmangebot in einem geschützten, männerfreiem Raum stattfindet, freut die Frauen – gar nicht unbedingt nur aus religiösen Gründen.

Zitouni Kouria (46) mag ihn nicht, den männlichen Blick, genauer: den marrokanischen männlichen Blick. Da wird anzüglich geguckt, pikiert geguckt, geredet. In ihrer Heimat schwimmt sie in Radlerhose. Ihre Tochter findet sie deshalb altmodisch – sie selbst ist jedoch froh, in Herne einen Ort gefunden zu haben, wo sie auf die Hose verzichten kann. Mit einer ähnlichen Motivation betreibt Fatma Irmak das Schwimmen. „Ich liebe Sport! Ich schwimme, fahre Fahrrad, laufe und möchte am liebsten noch Fitness machen. Aber ich habe noch kein Fitnessstudio für Frauen gefunden“, bedauert die 35jährige. Für sie ist es ganz klar: „Ich lebe in Deutschland, ich will alles mitmachen, ich will Integration.“ Geschlechtertrennung und Integration: Ist das nicht ein Gegensatz? Nein, erklärt Fatma Simsek (42). „In unserer Heimat haben sich die Türken weiterentwickelt, in Deutschland nicht. Hier versuchen wir, unsere Kultur zu schützen.“ Das hat für sie rein gar nichts mit Integrationsunwillen zu tun, sondern mit der eigenen Identität.

„Warum findet Selbstethnisierung statt?“

Das sieht Bilge Colak anders. Er ist 1. Vorsitzender des Düsseldorfer Boxsport-Athletic e.V. und arbeitet im Hauptberuf beim Jugendmigrationsdienst Essen, hat also eine sportliche und eine – identische – fachliche Meinung: „Wir leben im 21. Jahrhundert und kämpfen täglich im Genderprozess. Eine Geschlechtertrennung lässt sich nicht mit kulturellen oder religiösen Hintergründen begründen!“ In seiner Beratungstätigkeit für junge Menschen hört er oft „ich bin Muslima“ als Grund für eine Abspaltung aus gesellschaftlichen Zusammenhängen. „Quatsch“, sagt er nachdrücklich, „Religion kann kein Selektionskriterium sein.“

Jörn Derißen kommt aus „einer anderen Ecke“, aus dem Behindertensport nämlich. Er wendet die Grundsätze der Inklusion gleichermaßen auf Fragen der Integration an. „Egal wer Du bist, wir wollen Spaß miteinander haben!“ Selbstverständlich nimmt sein Verein, der Behindertensport Oberhausen e.V. kulturelle Hintergründe sehr ernst, selbstverständlich werden kleine kulturelle Eigenschaften akzeptiert – jeder soll den anderen bereichern können. Eine Parallelgesellschaft mit eigenen Regeln sollen die Oberhausener Kurse jedoch nicht sein. „Unser erstes Damenschwimmen fand mit neun Damen mit Migrationshintergrund statt. Wir konnten ihnen den Wunsch nach einem Ganzkörperbadeanzug nicht erfüllen, aus hygienischen Gründen. Wir konnten ihnen den Wunsch nach einem bademeisterfreien Bad nicht erfüllen, aus Sicherheitsgründen. Die Damen kamen alle wieder.“

(Text: Nicole Jakobs/Landessportbund NRW)


  • (Quelle: LSB NRW/Bowinkelmann)
    (Quelle: LSB NRW/Bowinkelmann)