Kampf mit dem Kopftuch

Der NDR zeigte am 16.01.2019 im Schleswig-Holstein Magazin mit der Frauen-Boxgruppe vom Boxclub Lübeck ein aktuell gefördertes Projekt des Programm-Stützpunktvereins: www.ndr.de/fernsehen/sendungen/schleswig-holstein_magazin/Eine-Boxgruppe-fuer-muslimische-Frauen,shmag59920.html

Annemarie Stark trainiert Muslima im BC Lübeck. Boxen ist für die Deutsche Meisterin dabei die Brücke, "um den Frauen ein breites Kreuz zu verschaffen".

Hintergrund: Der Boxclub Lübeck wurde 1976 gegründet, hat gut 200 Mitglieder. Vorsitzender ist Tolga Tanriverdi. das Aushängeschild: Aram Piloyan ist Deutscher U19-Meister im Superschwergewicht. Der Verein hat seit 15 Jahren eine Frauen-Sparte, bietet in der Woche ein bis zweimal ein Training nur für Frauen an. "So sprechen wir das Thema Sensibilisierung an", sagt Tanriverdi, der sich mit dem Club auch im Bereich Integration engagiert - von der Arbeit mit Flüchtlingen und Hausaufgaben-Betreuung bis hin zu Ausbildungsplätzen und Praktika. Tanriverdi:"Das Paket ist groß."

Katharinenstraße in Lübeck, die kleine Halle im Hinterhof. Es ist das Domizil des BC Lübeck. "Hepp!", "Hepp!". ist aus der Halle zu hören. "Auf Kommando nur ein Schlag!" Eine weibliche Stimme gibt den Takt vor. Doch das hinter verschlossenen Türen. Zutritt für Männer verboten!", erklärt Annemarie Stark freundlich, aber bestimmt, "meine Samstag-Frauen sind da!" Seit mehr als einem Jahr trainiert die 34-Jährige ihre Gruppe. Es sind Muslima, die sich hier unbeobachtet von Männer-Blicken frei bewegen, auch ohne Kopftuch. Stark: " Die Mädels haben sonst keine Chance, Sport zu machen. In unserer Wohlfühlgruppe schon."

Stark: "Will Mädels aus Ihren Zwängen befreien"

Kapitänleutnant a.D., mehrfache Deutsche Box-Meisterin, Trainerin, Hobby-Fußballerin, Psychologie-Studentin - bei Annemarie Stark ist der Name Programm. Von ihren "Samstag-Frauen" hält sie sogar ein Kreuzband- und Muskelfaserriss nicht ab. "Ich lasse mich da hinfahren. Das ist mir wichtig." Nebenbei trainiert sie im Minijob auch noch bei den Johannitern mit geflüchteteten Männern. "Bei den ersten Einheiten war ich für viele das kleine Mädchen", sagt die gerade mal 1,60 Meter große Boxerin und lacht. "Dann habe ich losgelegt und das Eis war schnell gebrochen."

Auch bei den "Samstag-Frauen" in ihrem Verein. Hüseyin Ertugrul, Trainer im Boxclub wie sie, hat sie darauf gebracht, auch dafür geworben. Und die Idee kam an. "Zur ersten Einheit standen 57 Frauen in der Halle", erzählt Stark. Ich dachte: Oh mein Gott, wie geht das?" Es ging. Jetzt sind es noch gut 20, die jüngste ist 13, die älteste 48, eine Lehrerin. "Und meine Ladys haben Power und Spaß. Wir albern, wir lachen." Es wird geboxt, sich ausgepowert am Sandsack "und am Ende gibt es immer 15 Minuten Bauch, Beine, Po". Doch viel wichtiger als das Sporttreiben ist ihr, "dass ich es so schaffe, die Mädels aus ihren Zwängen zu befreien. Ich will ihnen ein breites Kreuz verschaffen, dass sie einen Fuß in unsere Welt bekommen." Boxen ist dabei für sie die Brücke. deshalb ist es für Stark auch ein Erfolgserlebnis, dass sie viele "Mädels" für das öffentliche Frauen-Training begeistern konnte, "vier trainieren sogar mit Männern".

Zeyneb Ertugrul (16) und Miriam Hamdoun (15) sind zwei von den ehemaligen Samstag-Mädels. "Es war was Neues, ich habe es einfach probiert", erzählt Zeyneb. Zuvor hat sie sechs Jahre Handball gespielt."Doch das hat keinen Spaß mehr gemacht." Für Miriam war es eine völlig neue Erfahrung. Ob nun mit oder ohne Kopftuch - das sei ihr nicht wichtig gewesen. Dass sie mit Mädels trainieren konnte, schon. "Da hat sich keiner geschämt. Wir haben ja alle bei null angefangen."

"Wir sind selbstbewußter geworden und fitter"

Die Schülerinnen boxen jetzt seit gut 15 Monaten. "Es macht Riesenspaß, und wir haben es auf keinen Fall bereut." Auch, weil sie sich fitter fühlen. "Ich habe mich früher auch nicht sonderlich gesund ernährt", verrät Zeyneb. Miriam ergänzt: "Wir sind auch selbstbewußter geworden, haben auf der Straße keine Angst mehr." Und sie haben Lust auf mehr, waren schon bei landesweiten Sparringeinheiten dabei. "Verschiedene Stile, neue Leute kennenzulernen, war toll", erzählen sie. Die Teenager haben auch kein Problem, wenn ihnen jetzt Männer beim Training zuschauen. Miriam boxt mit Kopftuch, Zeyneb ohne. "Ich bin noch nicht so weit, eins zu tragen". erklärt sie. Doch verbietet der Koran Muslima nicht eigentlich Sport zu treiben? "Nein, er ist sogar dafür", wehren beide ab, "wir sollen nur keine Menschen verletzen." Und was sagt die Familie? "Mein Vater hat garnichts gesagt, einer meiner Brüder, der selbst boxt, gibt mir sogar Tipps", verrät Miriam. Einen Wettkampf würde sie schon ganz gern bestreiten, "viel wichtiger ist mir aber mein Abi."

Das Frauen-Projekt, für Tolga Tanriverdi, den Vereinsvorsitzenden (und Ansprechpartner des Programms IdS in Lübeck, Anm. Red.), ist es ein Erfolg. "Die Mädels sind viel lockerer, selbstbewußter geworden. Viele, die auch hier geboren sind, wären sonst nie zum Sport gekommen." Dass das Gros jetzt im normalen Training eingegliedert sei, ist für ihn "ein schönes Gefühl". Sagt es und holt Miriam und Zeyneb zum Pratzen-Training. Jetzt ist genug geredet.