Sport geht überall

Marxloh, Altenessen, Dorstfeld: Manche Stadtteile im Ruhrgebiet leiden unter einem schwierigen Image als NO-GO-Gebiete. Zu Unrecht, wie Aktive vor Ort finden. Die Viertel nutzen ihre Potenziale, Sportvereine leisten dazu einen wertvollen Beitrag.

Sport geht überall. Foto: LSB NRW
Sport geht überall. Foto: LSB NRW

Von wegen „Ganz in Weiß“. Ob in zartem rot oder smaragdgrün, mit und ohne Spitzen, schmal geschnitten oder ausladend: Die Auswahl an Brautkleidern auf der Weseler Straße in Duisburg- Marxloh ist einfach umwerfend. Wer hier nichts Schickes findet, dem ist nicht zu helfen. Haus an Haus reihen sich die Brautmodengeschäfte: Nicht umsonst heißt die Straße „Hochzeitsmeile“.

Ausgerechnet Duisburg-Marxloh. „NO-GO-Area“, „rechtsfreier Raum“, „Bandenkriminalität“: Schlagzeilen wie diese haben das Image des Stadtteils bundesweit geprägt. Auf der Hochzeitsmeile ist davon nichts zu bemerken. Die Straße ist ganz klar eine GO-Area: Lebendiges Treiben mit exotischem Touch. Kein Wunder bei einem Ausländeranteil von rund 60 Prozent. Nur zwei Streifenbeamte an der Kreuzung geben dem Bild einen Kontrapunkt.

Nach Vorfällen in der Vergangenheit fährt die Polizei eine Null-Toleranz-Strategie und die Zahl der Beamten wurde erhöht.


Klares Bekenntnis

Erkan Üstünay leugnet nicht die Herausforderungen, die sich dem Quartier stellen, selbst wenn er die Presseberichte für überzeichnet hält: „Wir haben hier soziale Probleme, viele Arbeitslose, Alleinerziehende und Harz IV-Empfänger “, zählt er nüchtern auf. Aber dass man sich nicht über die Straße traue, sei Unsinn.

Üstünay ist Vorsitzender des SV Genc Osman Duisburg, einem Sportverein an der Grenze von Marxloh. „Wir machen in erster Linie Kinder- und Jugendarbeit“, betont Üstünay. „Vor zehn Jahren haben wir angeregt, in den Kellerräumen der Moschee Genc Osman einen Jugendtreff einzurichten, der offen für Alle ist, unabhängig von Religion oder Nationalität.“ Nicht ganz einfach, aber es gelang.

Zwei Jahre später folgte dann die Gründung des SV Genc Osman. „Gemeinsam mit Freunden, Top-Fußballern, haben wir eine erfolgreiche Seniorenmannschaft aufgebaut, als Anreiz für die Jugendlichen. Der Sport, insbesondere der Fußball, ist eine Stütze unserer Jugendarbeit“, erläutert Üstünay. „Er gibt Struktur und wird als Anlaufstelle wahrgenommen. Ohne ihn wären wir nicht so weit gekommen.“

Mittlerweile ist der Verein mit seinem Jugendtreff vielfach ausgezeichnet, ist anerkannter freier Träger der Jugendarbeit und Ordnungspartner der Duisburger Polizei. Präventionsarbeit zu den Themen Gesundheit, Drogen, Gewalt oder Medien gehören zum Programm. Mit entsprechender Ausstrahlung in das Quartier. Und Erkan Üstünay ist selber Vorsitzender des Moscheevereins. Für seinen Verein sieht er noch Luft nach oben: „Wir sind erst bei 75 Prozent.“


Grenzen für Sportvereine

Jugendarbeit und Bildung sind die Anliegen des SV Rhenania Hamborn, einem weiteren ausgezeichnetem Sportverein im Viertel. Cafer Kaya 1. Vorsitzender und Träger des Bundesverdienstkreuzes, fasst die Intention des Vereins zusammen: „Wir wollen die Jugendlichen stärken, dass sie eine gute Ausbildung erhalten und beruflich etwas erreichen. Dass sie im Viertel Vorbild sind und aktiv werden, ganz gleich in welchem Bereich.“ Eine Philosophie mit Nachhaltigkeit. So gehören Schulungen wie die Gruppenhelfer-Ausbildung und Präventionsarbeit zur Basis der Vereinsarbeit. Durch Kooperationen mit Kindergärten und Fußball-Mädchen-AGs an Grundschulen ist man ins Viertel vernetzt.

Dabei legt Kaya ein klares Bekenntnis ab: Obwohl der Verein überwiegend türkischstämmige Mitglieder hat, „haben wir bewusst den Traditionsnamen Rhenania Hamborn beibehalten, um zu verdeutlichen, dass wir Teil des Stadtteils sind.“ Allerdings macht er sich Sorgen um das Viertel. „Die Immobilienpreise sinken“, beobachtet er. Umso mehr freut er sich über den Erfolg der Hochzeitsmeile. „Ich kann mich noch an die Leerstände in der Straße erinnern“, sagt er. Gut, dass sich Zeiten ändern können...

Zeitenwechsel auch in Essen? Gerade in Stadtteilen nördlich des „Wohlstandsäquators“, wie die A 40 in Essen genannt wird, ringt man mit ähnlichen Problemen wie in Duisburg. Vor allem Massenschlägereien libanesischer Großfamilien in Altenessen haben für negative Aufmerksamkeit gesorgt.

Selbst der Sport blieb dort nicht verschont. Tumulte bei Fußballspielen ließen bundesweit aufhorchen. Thomas Rüth, Koordinator des Aktionsbündnisses Altenessen relativiert: „Es gibt keine rechtsfreien Räume in Essen. Noch ist keine Grenze überschritten.“ An der Lösung von Problemen wirkt ein Bündnis, ein Netzwerk aus Sozialarbeitern, Polizei, Religionsvertretern, Sportvereinen und Stadtteilinitiativen mit. Die Mittel der Wahl seien „Repression, Sanktion und Hilfen aus einer Hand. Ein sensibler Aushandlungsprozess zwischen notwendiger und überflüssiger Kontrolle, der situativ gesteuert werden muss“.


Alternative zum kriminellen Umfeld

Insbesondere Jugendlichen biete der Sport Möglichkeiten. „Wir haben im Netzwerk die Sportvereine, aber ebenso nicht vereinsgebundene, niedrigschwellige Angebote.“ Eingebettet in das Netzwerk „haben die Vereine eine wichtige Funktion, zum Beispiel als Alternative in einem  kriminalitätsbelasteten Umfeld“, so Rüth, aber: „Wenn es um die knallharten Problemgruppen geht, gibt es Grenzen. Sportvereine sind keine professionellen Helfer. Wir dürfen sie auch nicht mit unerfüllbaren Integrationsleistungen überfordern.“ Mit Problemgruppen anderer Art ist Dorstfeld konfrontiert. Als „Hauptquartier der Neonazi- Szene“, betitelte 2012 der Berliner Tagesspiegel den Vorort Dortmunds. Die Lage scheint sich entspannt zu haben. „Als normaler Bürger nehmen sie diese Gruppe im Alltag praktisch nicht wahr“, sagt Reinhold Klüh, seit 2005 Vorsitzender der DJK Fortuna Karlsglück Eintracht Dorstfeld 1920/27, „für ihren öffentlichen Auftritt nutzen sie eher Vor-Ort-Veranstaltungen, die sich für Vielfalt und Menschlichkeit einsetzen, um zu stören.“


Runder Tisch Vielfalt

Dennoch hat die Thematik die Vereinsphilosophie der DJK geprägt. Früh bezog der Verein Stellung gegen Rassismus und für Toleranz und Demokratie. Ein Meilenstein wurde 2011 das Projekt „Integration bewegt uns“. Sichtbare Zeichen waren Bekenntnisse auf T-Shirts, Banner an der Sportstätte, sogar ein Film mit BVB-Star Ilkay Gündogan wurde gedreht. „Unsichtbareres“ Zeichen ist der Bewusstseinswandel im Verein. „Die Haltung hat sich geändert“, bilanziert Klüh, „in jedem Bereich schwingt das Thema jetzt automatisch mit.“ Und Vereinsmitglieder beziehen auch außerhalb des Vereins Position. Zudem ist der Verein durch Reinhold Klüh am Runden Tisch für mehr Vielfalt, Toleranz und Demokratie in Dorstfeld vertreten. Das Netzwerk wird von der Stadt koordiniert: Die DJK ist somit Bestandteil der großen Anstrengungen Dortmunds gegen den Rechtsextremismus.

Quelle: Wir im Sport 02.2016


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