Al-Sultan: "Ich habe einen Extra-Input"

Spitzentriathlet Faris Al-Sultan kennt sich mit Wohnzimmern in den USA und Integration in Abu Dhabi aus. Und er glaubt an die Macht der (Vor-)Bilder.

Der Triathlet mit irakischen Wurzeln, Faris Al-Sultan, trainiert mehrere Monate pro Jahr in Abu Dhabi. (Foto: Abu Dhabi Triathlon Team)
Der Triathlet mit irakischen Wurzeln, Faris Al-Sultan, trainiert mehrere Monate pro Jahr in Abu Dhabi. (Foto: Abu Dhabi Triathlon Team)

>> Sie sind ein internationaler Mensch, Herr Al-Sultan. Sie sind in München geboren, leben auch in Abu Dhabi, trainieren viel in anderen Ländern und reisen überhaupt ständig. Schärft das die Wahrnehmung für kulturelle Unterschiede oder schleift es sie ab?

Darauf antworte ich herzhaft mit: beides. Das viele Reisen ist ein Geschenk, und dadurch dass wir viel mit dem Rad unterwegs sind und unser Sport nicht so kommerziell ist wie etwa Tennis, kommen wir nah an die Leute ran und nehmen Unterschiede stark wahr. Wir sind ja bei Wettkämpfen nicht immer im Hotel untergebracht, sondern nicht selten privat, gerade in den USA. Da sitzt man dann mit jemand völlig fremdem im Wohnzimmer – wobei uns die amerikanische Kultur natürlich nicht besonders fern liegt. Andererseits ist da die spezielle Triathlon-Kultur: Alle Athleten müssen sehr viel und auf der ganzen Welt trainieren, haben dieselben Laufschuh und  Fahrräder. Sie pflegen also einen ähnlichen Lebensstil.

Eisenmann mit Bambi

Der Triathlon-Profi Faris Al-Sultan wurde 1978 in München geboren, als Sohn eines gebürtigen Irakers und einer Bayerin. Mit 19 bestritt er seinen ersten Ironman, 2005 erreichte er als dritter Deutscher das Ziel jedes Langdistanz-Spezialisten: Sieg auf Hawaii, Weltmeister – und anschließend Bambi-Gewinner in der Kategorie Sport. 2011 gewann er erstmals den Ironman in Frankfurt, die Europameisterschaft. Al-Sultan lebt drei bis vier Monate im Jahr in Al-Ain in Abu Dhabi, sechs Wochen in den USA (Hawaii-Vorbereitung) und generell „aus der Tasche“.

>> Sie sind Halbiraker und Abu Dhabi ist ein arabisches, überwiegend muslimisches Land. Fühlen Sie sich als Mittler zwischen Kulturen?

In Abu Dhabi trainiere ich seit zwölf Jahren, weil die Bedingungen da hervorragend sind. Aber ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, meine Großeltern mütterlicherseits, mit denen ich viel Zeit verbracht habe, sind Deutsche, genauso 90 Prozent meiner Freunde, ich war bei der Bundeswehr. Ich bin also eindeutig Deutscher – aber mit einem anderen Hintergrund als die meisten. Das erweitert vielleicht das Verständnis für andere Menschen und  Kulturen. Man hat noch einen Extra-Input, wenn Sie so wollen.

>> Beeinflusst das Ihren Blick auf die deutsche Integrationsdebatte? 

Natürlich verfolge ich die deutsche Diskussion intensiv. Das andere ist, dass es in den Emiraten eine Riesen-Integrationsdebatte gibt. In Deutschland reden wir über vielleicht 8 Prozent Ausländeranteil und gut 20 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund – in den Emiraten leben 80 Prozent Ausländer! Die Lingua Franca ist nicht Arabisch, sondern Englisch und mit Paschtu und Urdu kommen sie weiter als mit Arabisch, weil die meisten Menschen auf der Straße Pakistani oder Inder sind. Da bekommt Integration einen ganz anderen Akzent. 

>> Nämlich?

In den Emiraten möchte man keine Integration. Was große Probleme schafft, weil viele Menschen dort geboren sind, als Kinder von Syrern, Irakern, Palästinensern, Ägyptern. Die waren noch nie in ihrem Heimatland außer vielleicht im Sommerurlaub, und fühlen sich als Menschen aus Dubai oder Abu Dhabi.

>> In der Bundesrepublik war Staatsbürgerschaft auch lange über Abstammung definiert und ist es in Teilen noch. 

Es gab mal die Kampagne mit dem Schwarzen, der in einem weißen T-Shirt steckte, auf dem stand: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“. Das fand ich geil. Wir müssen davon wegkommen, nur diejenigen als Deutsche zu sehen, deren Familien seit Generationen hier leben, und diejenigen auszuschließen, die sich in Name, Hautfarbe oder Religion von ihnen unterscheiden. Da hat eine Zeit lang auch die Politik geschlafen, um gerade Muslimen, bei denen der kulturelle Graben tiefer ist als bei Franzosen oder Griechen, deutlich zu sagen: Du bist hier geboren, du lebst hier, du heißt vielleicht Özgür, aber wenn du möchtest, gehörst du zu uns. Wir erwarten, dass Du ein Grundgerüst an Werten akzeptieren, aber ob Du Muslim bist oder nicht, ist Deine Privatsache. 

>> Es ist häufig die Rede vom Beispiel Mesüt Özil und der Symbolkraft einer multikulturellen Fußball-Nationalmannschaft. Kann Leistungssport, können Vorbilder die Wirkung der Basisarbeit steigern, wie sie der DFB oder das DOSB-Programm „Integration durch Sport“ leisten?

Ich denke schon. Vor allem kann es Signalwirkung haben, wenn einer – wie Mesut Özil das ja tut – sagt: „Meine Eltern sind Türken und ich habe eine Verbindung zu diesem Land, aber ich bin deutscher Fußballspieler, trage das DFB-Trikot und das zählt.“ Niedersachsens Ministerpräsident heißt schließlich auch McAllister und unser Wirtschaftsminister schaut aus wie eine Asiate. Das ist ganz normal. 

>> Funktioniert das auch in anderen Sportarten? Haben Sie das Gefühl, Ihre Erfolge nehmen irgendwie Einfluss auf das Verhältnis zwischen der Mehrheitsgesellschaft und Menschen mit Migrationshintergrund?

Ich glaube an eine Vorbildwirkung insofern, als es wichtig ist, diesen Menschen zu zeigen: Hey, Du hast eine Chance, egal wo Du oder Deine Eltern herkommen. Viele Migranten stehen ja wirtschaftlich nicht so gut da. Für deren Selbstwertgefühl ist es wichtig, sich mit jemandem identifizieren zu können, der vermeintlich oder tatsächlich aus ihrer sozialen Schicht kommt und Erfolg hat, in welcher Form auch immer. Triathlon ist vergleichsweise exotisch, im Fußball ist das sicher noch häufiger ein Antrieb: Zu wissen, Dein Vater steht am Fließband, aber Du hast alle Chancen. Wie realistisch das auch sein mag.

>> Es geht um Symbolik?

Es ist ja nichts Tatsächliches, nicht jeder kann ein Topathlet werden. Aber es ist etwas Mentales, ein Bild. Das ist, glaube ich, sehr wichtig für den Einzelnen.

>> Wie werden Sie und Ihre Siege in Abu Dhabi respektive dem Irak wahrgenommen? Kennt man Sie da?

Dort kennen sicher mehr Leute Mesut Özil, weil Fußball viel populärer ist als Triathlon. Mich kennt das Fachpublikum, wie überall auf der Welt. Im Irak wissen natürlich auch meine Verwandten, was ich mache. Lustigerweise kam da sogar mein Frankfurt-Sieg (bei der Ironman-EM 2011, d. Red.) im Fernsehen. Leider mehr oder weniger ohne Kommentar – die Leute erfuhren also nicht, dass der da vorn Sohn eines Irakers ist.


  • Der Triathlet mit irakischen Wurzeln, Faris Al-Sultan, trainiert mehrere Monate pro Jahr in Abu Dhabi. (Foto: Abu Dhabi Triathlon Team)
    Der Triathlet mit irakischen Wurzeln, Faris Al-Sultan, trainiert mehrere Monate pro Jahr in Abu Dhabi. (Foto: Abu Dhabi Triathlon Team)