Allyship – Verbündete*r sein

In diesem Artikel wird das wichtige Konzept „Allyship“ vorgestellt. Er enthält Definitionen, Erklärungen und Vorschläge für das eigene Verhalten. Er richtet sich an all jene, die mehr darüber wissen wollen und / oder die die Kraft und Ressourcen besitzen, ihre eigenen Privilegien für das Wohl und den Schutz marginalisierter Gruppen einzusetzen.

Anmerkung des Teams „Integration durch Sport“:Diesen Artikel haben nicht wir selbst verfasst. Es handelt sich hierbei um ein wichtiges Thema, das wir gern von einer Person verfasst sehen wollten, die es nicht nur versteht, sondern auch in ihrer täglichen Arbeit mit unseren Zielgruppen lebt. Julia Brasch, Kiezkoordinatorin und Trainerin im IdS-Stützpunktverein ATV Berlin, führt regelmäßig Selbstverteidigungskurse für FLINTA* und Mädchen* durch und ist Hauptansprechpartnerin für das Thema „Antidiskriminierung“ in ihrem Verein. Seit diesem Jahr ist sie zusätzlich auch als Referentin für unser programmeigenes Fortbildungsangebot „Fit für die Vielfalt“ tätig und eine große Unterstützung. Hier wollen wir sie zu Wort kommen lassen.

 

Allyship bedeutet, eine Gruppe oder mehrere Gruppen, die unfair behandelt oder diskriminiert werden, aktiv zu unterstützen – und das auch, oder gerade dann, wenn man nicht selbst Teil dieser Gruppe ist. Aber was heißt das genau?

Wörtlich übersetzt, bedeutet „Ally“ Verbündete*r. „Allyship“ lässt sich als „Verbündetenarbeit“ verstehen. Doch, wie werde ich tatsächlich zu einem*r Verbündeten? Und wie kann ich dazu beitragen, dass diskriminierende und unterdrückende Strukturen nicht weiterhin bestehen bleiben?

Allyship erfordert mehr als nur Sympathie oder Mitgefühl. Es geht darum, bewusst Verantwortung zu übernehmenund gegen Ungerechtigkeiten vorzugehen, indem eigene Privilegien genutzt werden, um den Stimmen der Betroffenen Gehör zu verschaffen. Dabei ist es wichtig, nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Raum Haltung zu zeigen und Diskriminierung konsequent entgegenzutreten. Entscheidend ist, sich kontinuierlich weiterzubilden und das eigene Verhalten kritisch zu reflektieren, um langfristig Veränderungen zu bewirken.

Ein wesentlicher Aspekt von Allyship ist außerdem, das Bewusstsein für Intersektionalität – also die Tatsache, dass viele Menschen aufgrund mehrerer Faktoren gleichzeitig diskriminiert werden, etwa aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, Geschlechtsidentität oder Sexualität - zu schärfen. Um als Verbündete*r wirksam zu sein, muss man verstehen, dass verschiedene Formen von Unterdrückung oft miteinander verwoben sind.

Allyship ist keine kurzfristige Aktion, sondern ein andauernder Prozess des Lernens, Zuhörens und Handelns, um aktiv zur Veränderung beizutragen.

Zunächst sollten wir uns bewusst machen, dass Allyship und das Verbündet-Sein aktive Prozesse sind – eine gelebte Praxis. Es geht dabei um mehr als bloßes Helfen oder Solidarität zeigen. Auch Zivilcourage allein reicht nicht aus. Vielmehr geht es darum, Verantwortung zu übernehmen und aktiv gegen Diskriminierung sowie ungerechte Strukturen im eigenen Umfeld vorzugehen. Dabei ist es entscheidend, die Erfahrungen der Betroffenen nicht für sich zu vereinnahmen, sondern ihnen Raum zu geben.

Ein erster oder vielleicht der erste Schritt ist, dass ich mir meiner Privilegien und meiner Macht in diesem System bewusst bin und ich mir auch meine eigenen Vorurteile vor Augen führe. Privilegien sind z.B. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung oder soziale Klasse. Weiterbilden und aktives Zuhören, um ein tieferes Verständnis für systemische Unterdrückung und deren Mechanismen zu erlangen, ist ein weiterer wichtiger Schritt des/der Verbündeten. Ich kann meine Stellung in der Gesellschaft nutzen, um die Stimmen, die überhört und unterdrückt werden, zu verstärken und dafür sorgen, dass sie gehört werden.

Dafür muss ich Betroffenen zuhören und die Perspektiven und Erfahrungen anerkennen und respektieren, ohne sie infrage zu stellen. Das bedeutet auch, das eigene Ego hintenanzustellen. Aktives Eintreten gegen Ungerechtigkeit und Diskriminierung kann auf vielfältige Weise erfolgen – sei es im Alltag, durch Proteste, in politischen Diskussionen oder durch finanzielle Unterstützung von Organisationen, die sich für marginalisierte Gruppen einsetzen. Es bedeutet auch, den Mut aufzubringen, laut zu werden und Stellung zu beziehen, selbst wenn es unangenehm wird.

Ein Beispiel: Eine weiblich gelesene Person wurde auf offener Straße von einem Paar auf abfällige und diskriminierende Weise beschimpft, weil sie angeblich falsch eingeparkt habe. Ich griff höflich, aber bestimmt ein und machte deutlich, dass es inakzeptabel ist, so mit einem Menschen zu sprechen. Selbst dann, wenn man verärgert ist. Daraufhin richtete sich die gesamte Wut des Paares gegen mich. Die Situation endete erst, als ich meinen Hauseingang erreichte und die Tür hinter mir schloss. Hierbei ging es nicht um mich, sondern um die respektlose und diskriminierende Art, mit der die betroffene Person angegangen wurde. Ich hätte mir gewünscht, dass eine*r der Passant*innen mir beisteht, als die Aggression auf mich überging, aber ich habe es nicht erwartet. In diesem Moment war es mir wichtig, Verantwortung zu übernehmen, damit ein solches Verhalten – im besten Fall – nicht erneut vorkommt.

 

Allyship bedeutet, Haltung zu zeigen und Verantwortung zu übernehmen, gerade weil man selbst nicht betroffen ist. Wegsehen, schweigen und nicht handeln, trägt dazu bei, dass das bestehende System von Diskriminierung weiter fortbesteht. Diese Passivität bedeutet, dass ich letztlich damit leben muss, dass sich nichts ändert.

Es ist jedoch auch wichtig, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten. Manchmal hat man nicht die emotionalen oder physischen Ressourcen, um selbst aktiv zu werden. Dann, oder auch in Situationen, in denen ein Mensch sich potentieller Gefahr aussetzen würde, kann es hilfreich sein, jemand anderen um Unterstützung zu bitten, anstatt allein handeln zu müssen. Das Beispiel verdeutlicht, dass das aktive Eintreten gegen Diskriminierung nicht immer angenehm ist und mit persönlichen oder sogar beruflichen Konsequenzen verbunden sein kann. Wer für seine Überzeugungen einsteht, riskiert, anzuecken. Dann wiederum gibt es Situationen, in denen die betroffene Person gar nicht möchte, dass man für sie Partei ergreift.

Im Idealfall wird durch Zuhören und offene Gespräche klar, wie und wann (m)eine Position sinnvoll genutzt werden kann, um Unterstützung zu leisten.Wenn Unsicherheit besteht, kann es hilfreich sein, die betroffene Person nach der Situation um ihre Einschätzung zu bitten: war das Eingreifen angemessen oder hätte sie sich etwas anderes gewünscht oder gebraucht. Ein zentraler Aspekt von Allyship ist die Bereitschaft, Fehler zu machen und daraus zu lernen. Kritik anzunehmen und sich weiterzuentwickeln, gehört ebenso dazu, wie das Eingreifen selbst. Allyship ist ein kontinuierlicher, nie endender Lernprozess.

Es ist wichtig, dass ich mir meiner eigenen Grenzen bewusst bleibe. Ich werde nicht immer alles richtig machen, und manchmal sind meine eigenen Ressourcen begrenzt. Entscheidend ist, dranzubleiben, sich immer wieder zu hinterfragen und weiterhin Verantwortung zu übernehmen, wo es möglich ist. Natürlich kann Allyship anstrengend sein und oft an den Kräften zehren. Veränderungen brauchen Zeit und Ausdauer. Wenn ich wirklich etwas bewirken möchte, darf Allyship keine vorübergehende Aktion sein, die ich nur eine Weile „mitmache“, wie eine Modeerscheinung. Es muss ein dauerhaftes, reflektiertes Engagement sein, das nicht nur im öffentlichen Raum, sondern auch im privaten Umfeld sichtbar wird. 

Wichtig ist, klarzustellen: Öffentliches Engagement ist essenziell und es ist wichtig, Betroffene aktiv zu unterstützen. Wenn mein Handeln jedoch lediglich darauf abzielt, gut dazustehen oder meinen eigenen Ruf zu verbessern, ohne wirklich strukturelle Veränderungen anzustreben und meine Privilegien zugunsten marginalisierter Gruppen einzusetzen, verfehle ich den Kern von Allyship. Im schlimmsten Fall kann ich damit sogar jenen schaden, die tatsächlich Unterstützung brauchen.

Ein Beispiel für fehlgeleitete Unterstützung, das sogenannte performative Allyship, zeigt sich jedes Jahr rund um den Christopher Street Day und den Pride Month. Firmen und Unternehmen ändern pünktlich zu dieser Zeit ihre Logos in Regenbogenfarben und hissen die Pride-Flagge, um ihre Solidarität mit der LSBTQ+ Community zu demonstrieren. Was auf den ersten Blick wie eine zu begrüßende Haltung wirkt, entpuppt sich oft als bloße Imagepflege, wenn dieses Engagement nur an bestimmten Anlässen gezeigt wird, um sich selbst ins gute Licht zu rücken. Häufig fehlen jedoch tiefgreifende interne Maßnahmen, um Vielfalt nachhaltig zu fördern oder Diskriminierung am Arbeitsplatz effektiv zu bekämpfen, während LSBTQ+-Mitarbeitende weiterhin marginalisiert bleiben. Die Unterstützung beschränkt sich also auf punktuelle Aktionen, anstatt langfristige Veränderungen in den Arbeitsbedingungen für marginalisierte Gruppen oder eine inklusive Unternehmenskultur voranzutreiben. Da nach außen hin jedoch der Eindruck entsteht, das Unternehmen tue bereits genug, bleiben die eigentlichen Probleme oft ungelöst und die strukturellen Ungerechtigkeiten bestehen fort.

Ein weiterer zentraler Aspekt, den Verbündete verstehen müssen, ist, wie bereits beschrieben, die Intersektionalität. Das bedeutet, dass viele Menschen nicht nur einer Form von Diskriminierung ausgesetzt sind, sondern mehreren gleichzeitig. So kann eine Person beispielsweise sowohl aufgrund ihrer ethnischen Herkunft als auch ihrer Sexualität diskriminiert werden. Als weiße, lesbische Cis-Frau kann ich diese Art der Mehrfachdiskriminierung nicht vollständig nachvollziehen. Verbündeten muss stets bewusst sein, dass Diskriminierung in vielfältigen Formen auftritt und oft miteinander verknüpft ist. Das Verständnis von Intersektionalität ist entscheidend, um die eigene Rolle als Verbündete*r richtig einzuordnen und effektiv gegen Ungerechtigkeit vorzugehen.

Ein konkreter Schritt, um die Vielfalt von Identitäten in der Gesellschaft sichtbar zu machen, ist die Verwendung von Pronomen bei der eigenen Vorstellung – sei es in der E-Mail-Signatur oder beim persönlichen Kennenlernen. Auf diese Weise lassen sich oft unangenehme Situationen vermeiden und der Umgang mit verschiedenen Geschlechtsidentitäten wird allmählich normalisiert.

*Dieser Artikel erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und kann nur einen kleinen Teil dessen aufzeigen, was Allyship bedeutet. Während der Recherche und Arbeit an diesem Text kam mir immer wieder der Gedanke auf, dem Anspruch dieses wichtigen Themas nicht gerecht werden zu können – weil mir bewusst wurde, wie wenig ich noch über Allyship, systemische Diskriminierung und Unterdrückung weiß. Doch genau diese Erkenntnis half mir, weiterzumachen. Niemand kann alles wissen oder perfekt machen. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns zusammenschließen, uns gegenseitig zuhören, gemeinsam arbeiten, Fehler machen und zu diesen stehen, ohne uns entmutigen zu lassen. Aus Fehlern zu lernen und weiterzugehen, ist ein zentraler Bestandteil dieses Prozesses.

Allyship ist Aktivismus. Es reicht nicht, einfach ein Shirt mit der Aufschrift „Allyship“ zu tragen und es dabei zu belassen. Wir müssen diesem Wort durch unsere Taten und Handlungen Leben einhauchen – und das jeden Tag.