„Auch ältere Migranten sollten durch Sport angesprochen werden“

Ein Interview mit Ute Blessing-Kapelke, stellvertretende Ressortleiterin für Chancengleichheit und Diversity im DOSB

 

"Der Sport der Älteren ist eine sehr wichtige Aufgabe für die Zukunft" - Blessing-Kapelke (Quelle: Integration durch Sport)
"Der Sport der Älteren ist eine sehr wichtige Aufgabe für die Zukunft" - Blessing-Kapelke (Quelle: Integration durch Sport)

Die Zahl der 80-Jährigen und Älteren wird sich bis zum Jahr 2050 bis auf zehn Millionen fast verdreifacht haben, während gleichzeitig die Gesamtbevölkerung in Deutschland zurückgehen wird. Damit sieht sich auch der organisierte Sport vor große Aufgaben gestellt. Ute Blessing-Kapelke, im DOSB zuständig für den Bereich „Sport der Generationen“, spricht im Interview über die zunehmende Bedeutung des Seniorensports und darüber, wie es gelingen könnte, auch mehr ältere Migranten für den Vereinssport zu gewinnen.

Frau Blessing-Kapelke, die Bevölkerung in Deutschland wird immer älter und in Zukunft immer länger arbeiten müssen. Gewinnt der Seniorensport angesichts dieser Tatsachen an Bedeutung?

Auf jeden Fall. Die Zielgruppe der Älteren wird immer größer. Für sie müssen wir etwas tun. Es gibt klare wissenschaftliche Erkenntnisse, dass Sporttreiben die einzige Möglichkeit bietet, sich länger jung zu halten. Über Bewegung und Sport können viele Erkrankungsrisiken stark vermindert werden. Sogar die geistige Leistungsfähigkeit steigt durch sportliche Aktivität. Die Wahrscheinlichkeit an Demenz zu erkranken, kann durch Bewegung gesenkt werden. Auch die Erhaltung der Selbstständigkeit und die Vermeidung von Pflegedürftigkeit spielt eine große Rolle. Der Sport der Älteren ist eine sehr wichtige Aufgabe für die Zukunft.

Werden die aktuellen Angebote dieser Entwicklung schon gerecht?

1990 hatten wir über 1,3 Millionen Mitglieder im organisierten Sport, die über 60 Jahre alt waren. Mittlerweile sind es 3,7 Millionen. Das ist eine immense Steigerung. Bei den Frauen dieser Altersklasse ist der Organisationsgrad von fünf Prozent auf über zwölf Prozent gewachsen. Damit ist dieser Bevölkerungsteil aber immer noch unterrepräsentiert. Wir sind dabei zu analysieren, wie man diese Zahlen noch steigern kann und wie wir Vereinsangebote für diese Zielgruppe noch attraktiver gestalten können.

Welche Bevölkerungsteile gehören zur Zielgruppe der Älteren?

Wenn wir von den Älteren sprechen, dann sind das die 50- bis etwa 100-Jährigen. Das umfasst drei unterschiedliche Personengruppen. Da sind zunächst einmal die jüngeren Älteren der 50-plus-Generation. Die sind aktiv, stehen mitten im Leben und wollen sich oft nicht als Ältere bezeichnen lassen.

Die nächste Gruppe sind die ab 65-Jährigen. Die Menschen, die schon im Ruhestand sind oder sich bald dorthin begeben. In dieser Alterstufe haben wir es mit ersten gesundheitlichen Einschränkungen zu tun, auf die Rücksicht genommen werden muss.

Die dritte Gruppe ist die der Hochaltrigen. Diese Menschen haben ganz konkrete gesundheitliche Einschränkungen und sind oft auch pflegebedürftig. Hier geht es in den Sportangeboten zum Beispiel um Sturzprävention oder darum, die Kraft zu erhalten. Ich kenne tolle Beispiele, dass selbst 90-Jährige, die anfangen, Kraftübungen zu machen, wieder ganz locker alleine aus dem Stuhl herauskommen oder wieder Treppen steigen können.

Begrüßen Sie es, dass das Programm „Integration durch Sport“ im Rahmen seiner Zielgruppenerweiterung, sich stärker auf die Älteren fokussieren will?

Das tun wir. Auch ältere Migranten sollten durch Sport angesprochen werden. Zu welcher Zielgruppe jemand gehört – ob jung oder alt, männlich oder weiblich, ob mit oder ohne Migrationshintergrund – hängt immer von der Betrachtungsweise ab. So wurden durch das Programm „Integration durch Sport“ viele Erkenntnisse gewonnen, auf die wir gerne zurückgreifen, wenn wir auf ältere Migranten zugehen. Bei der Zielgruppe der älteren Migranten überschneiden sich unsere Aufgabenbereiche natürlich. Da es einen regen Austausch innerhalb des Ressorts gibt, können wir von unseren speziellen Kenntnissen und Ressourcen gegenseitig profitieren.

Welche Schwierigkeiten tun sich auf, wenn man ältere Menschen mit Migrationshintergrund in den organisierten Sport integrieren möchte?

Viele ältere Menschen mit Migrationshintergrund kennen die Strukturen unserer Sportvereine und die Möglichkeiten, die dieser Bereich bietet, nicht. Dazu kommen teilweise  sprachliche Barrieren. Diese Migranten haben es schwerer, Zugang zu Sportangeboten zu bekommen.

Bei den über 60-Jährigen ist der Gesundheitssport ganz oben angesiedelt, doch Gesundheitssport ist eine Frauendomäne. Das ist auch bei den Migrantinnen so. Deswegen fällt es uns auch so schwer, Männer mit Migrationshintergrund für den Gesundheitssport zu werben. Hier wird es spannend sein zu sehen, wie wir eine gute Prävention machen können, zumal Migranten anders mit gesundheitlichen Problemen umgehen als Einheimische.

Wie kann es gelingen mehr Menschen mit Migrationshintergrund zu erreichen?

Wir gehen von der Annahme aus, dass wir ältere Menschen mit Migrationshintergrund nur erreichen, wenn wir dahin gehen, wo diese sich aufhalten. Dafür müssen wir mit kommunalen Partnern, Migrantenorganisationen und -vereinen kooperieren.

Darüber hinaus müssen wir lernen, was die Bedürfnisse der älteren Migranten sind und unsere Angebote danach ausrichten. Bleiben die Leute dabei? Haben sie Spaß und gibt es irgendetwas worauf wir achten müssen? Wie zum Beispiel, dass an Ramadan keine Sportangebote stattfinden sollten. Gibt es Barrieren, von denen wir noch gar nichts wissen? Müssen wir die Angebote geschlechtermäßig trennen oder können wir sie gerade gemischt machen? All dies herauszufinden, kann uns dabei helfen, die Zielgruppe der älteren Migranten für den Sport zu gewinnen.


  • "Der Sport der Älteren ist eine sehr wichtige Aufgabe für die Zukunft" - Blessing-Kapelke (Quelle: Integration durch Sport)
    "Der Sport der Älteren ist eine sehr wichtige Aufgabe für die Zukunft" - Blessing-Kapelke (Quelle: Integration durch Sport)