„Basketball war meine Rebellion“

Dmitrij Kapitelman (31) spielte Basketball, um den Schlägen der Nazis in seinem Kiez zu entkommen. Heute ist der deutsch-ukrainische Schriftsteller dankbar dafür, dass ihn die Jugend im Leipziger Plattenviertel nicht verbittert hat.

DOSB-DJS-Aktionsstempel
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Heute schon ein paar Körbe geworfen, Herr Kapitelman?

Wenn ich ausgenüchtert bin, gehe ich heute vielleicht noch ein bisschen shooten. Die letzten Tage war ich oft auf dem Platz am Tempelhofer Feld in Berlin. Da ist immer was los.

Warum spielen Sie Basketball?

An der Art, wie ich Basketball spiele, merke ich, wie ich mich fühle. Es ist schön, schnell die Konsequenz seiner Entscheidung zu sehen. Vor allem bei einem verkopften Beruf wie meinem. Außerdem will ich nicht dick werden.

Als Sohn eines jüdisch-ukrainischen Vaters sind Sie in Leipzig-Grünau aufgewachsen, einem Plattenviertel. Auf dem Weg zum monatlichen Nacht-Basketball wurden sie von Nazis verprügelt. War es das wert?

Das war die coolste Party des Monats. Ich hätte es nicht ausgehalten, wenn die ohne mich stattfindet. Als junger Mensch wollte ich allen beweisen, wie gut ich Basketball spiele und dass ich fast ein Erwachsener bin.

Der DOSB hat die 55. Lehrredaktion der Deutschen Journalistenschule in München (DJS) gebeten, sich Gedanken über den Zusammenhang von Sport und Integration zu machen – frei und unabhängig von Vorgaben, gemäß dem journalistischen Kodex. Herausgekommen ist ein multimediales Projekt, das mit einer Webreportage über einen charismatischen Münchener Crickettrainer startet und in den darauffolgenden Tagen mit Interviews, persönlichen Erlebnissen und Statements von prominenten und weniger prominenten Menschen online und in den Sozialen Medien (Twitter: @DOSB_Integra) fortgeführt wird. Zum Abschluss der Kooperation am 8. Juni wechseln die DJS-Schüler in den Printbereich und erzählen ihre Geschichten zu Integration durch Sport in der Beilage einer großen deutschen Tageszeitung weiter. Lassen Sie sich überraschen.

Aber die meisten Kids im Viertel haben sicher Fußball gespielt.

Ich zuerst auch. Aber der beste Spieler in meinem Verein war ein Nazi. Talentierte Nazis, das ist eine fiese Konstellation in einem hierarchischen Verein. Benito, ein Afrodeutscher, der war für alle der Bimbo. Und ich war eben der Russenjunge.

Warum sind Sie geblieben?

Lange dachte ich: Wenn ich gut genug Fußball spiele, werde ich schon irgendwann akzeptiert. Aber so war es nicht. Meine Rebellion kam erst mit 13 oder 14. Da bin ich vom Kick mit  fiesen Nazis zum coolen Ami-Hip-Hop-Basketball gewechselt.

Wie kam es dazu?

Im Fernsehen spielten damals noch Detlef Schrempf und Michael Jordan. Außerdem hat mich die Ästhetik des Sports fasziniert. Wer Basketball spielt, hört dabei laut Hip Hop, alle tragen coole Trikots.

Nicht gerade der Look der späten 90er in Leipzig, oder?


Gerade in meinem Viertel, Leipzig-Grünau, war das ein Kontrast. Basketball hatte nichts mit dem strengen, kleinbürgerlichen, DDR-geprägten Leben zu tun. Das war toll für einen angehenden Rebellen wie mich.

Auf welcher Position spielten Sie?

Ich war Aufbauspieler und habe die Leute ständig mit Vorlagen versorgt. Als Jugendlicher, der noch nicht so viel rafft, lernte ich viel über soziale Zusammenhänge. Es hat mir Sicherheit gegeben, auch wenn der Platz umkämpft war.

Wer waren Ihre Mitspieler?

Jungs, die zum Beuteschema der Nazis gehörten. Wer bei uns Basketball gespielt hat, gab ein politisches Bekenntnis ab. Mit uns auf dem Platz waren Leute, die weite Klamotten trugen und Gras rauchten. Vom Studentenwohnheim gegenüber kamen Chinesen vorbei, später auch ein paar Marokkaner. Wir haben den Platz mit der Zeit internationaler gemacht und zurückerobert.

Und das haben die Fußballer so hingenommen?


Die Basketballkörbe und Fußballtore waren auf ein- und demselben Platz. Das Schlimmste, was man machen kann, um einen Konflikt heraufzubeschwören. Aber irgendwann hatten wir genug Leute am Start und den Sieg über den Fußball errungen. Leider haben die Nazis irgendwann die Netze abgerissen, die Körbe angefackelt und das Gummi auf dem Platz angezündet.

Können Sie heute verstehen, warum die Nazis so grausam waren?

Was soll ich daran verstehen?

Aber woher kam der Zorn?


Viele, die sich damals Springerstiefel angezogen haben, kamen vielleicht aus schwierigen Familienverhältnissen. Es war spürbar, dass sie mit dem Systemwechsel nicht zurechtkamen. Dass sie sich als Verlierer fühlten und ihr Wertekodex nicht mehr gegriffen hat. Aber die Gewalt und Menschenverachtung, das verstehe ich auch heute nicht.

Was hatten die Neonazis gegen Basketball?


Für sie war es „Neger-Handball“. Weiße sollten kein Basketball spielen. Ihnen gefiel unsere Kultur nicht, die Hip-Hop-Musik und die tiefhängenden Hosen. Aber auch deutsche Freunde, die in engen Jeans rumliefen, wurden verprügelt. Wenn den Nazis langweilig war, haben sie gejagt und gequält, wer ihnen in die Finger kam.

War Basketball nazifrei?


Einer von uns hat viel mit den Nazis rumgehangen. Aber mit uns spielte er Basketball. Seinen „Hook-Shot“, ein ziemlich spezieller Wurf, haben wir im Spaß „Reichs-Ruck“ genannt.

Und auf welcher Seite stand er, wenn es ernst wurde?

Wenn er mal mitbekommen hat, dass uns die Nazis verprügeln wollten, hat er gesagt: Geht lieber am Freitag um 14 Uhr nicht auf den Platz.

Vermissen Sie Leipzig-Grünau?


Keine zehn Pferde bringen mich wieder in einen Plattenbau zurück. Die Nazis haben mir Zigaretten am Arm ausgedrückt und mir in den Bauch getreten. Aber es war lehrreich, in diesem rauen Umfeld aufzuwachsen.

Warum?

Ich habe gelernt, dass ich mir keine Angst einjagen lasse, wenn ich Basketball spielen will. Wer in so einem Umfeld positiv bleibt, bleibt überall positiv. Ich habe die Entscheidung getroffen, nicht verbittert zu werden und niemanden vorzuverurteilen. Aber ich weiß auch, zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig sind.

Einer der Nazis in Ihrem Viertel hat seine Schläger zurückgehalten – vermutlich nur deshalb, weil er Ihren Vater, ein Hundehalter wie er selbst, vom Gassigehen her kannte. Macht das Hoffnung?

Dieser Pakt zwischen meinem jüdisch-ukrainischen Vater und dem Nazi ist ein kleines Plattenbau-Wunder. Ein Signal, dass dieser extremistische Kram erlernt ist und dass es Sinn macht, miteinander zu reden. Vielleicht braucht es dafür Hunde.

Dmitrij Kapitelman, 1986 in Kiew geboren, kam im Alter von acht Jahren als „Kontingentflüchtling“ mit seiner Familie nach Deutschland. In seinem Roman „Das Lächeln meines unbekannten Vaters“ schreibt er über die gemeinsame Reise mit seinem jüdischen Vater nach Israel. Derzeit arbeitet Kapitelman als freier Journalist in Berlin und veröffentlicht Musik unter dem Künstlernamen „Dheema“.

Gespräch: Marcel Laskus (DJS)


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