Michael Kappeler ist Cheffotograf bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa), sein Kernbereich ist die Politik. Ein Thema wie „Integration“, gelingende wie nicht gelingende, spielt dort bekanntermaßen eine große Rolle. Kappeler, gehörte wie der Schauspieler Adnan Maral und die beiden Olympioniken Selin und Timur Oruz zur Jury beim DOSB-Fotowettbewerb „Mein Leben im Verein“.
Das Gespräch mit dem Profifotografen bildet den Abschluss der Interviewreihe mit der Jurorin und den Juroren und zieht inhaltlich den Rahmen über den Fotowettbewerb hinaus. Es geht um die Bedeutung von Fotos im digitalen Zeitalter, politische Inszenierung und das Aussterben der Straßenfotografie.
Interview: Marcus Meyer
Herr Kappeler, Sie begleiten seit Monaten die Sondierungsgespräche der Bundestagsparteien, auch die gescheiterten. Ist Ihnen ein Bild davon haften geblieben?
Ich habe während der Jamaika-Sondierungen ein klassisches Paparazzi-Foto gemacht, die Kanzlerin, als sie nach einer Nachtsitzung morgens um fünf ins Auto steigt. Es regnet in Strömen, die Autoscheibe ist voller Tropfen und Angela Merkel sitzt zusammengesunken im Fond. Man sah ihrem Gesicht die totale Erschöpfung an. Das Foto ist für mich eine Zusammenfassung dieser langen und erschöpfenden, letztlich vergeblichen Sondierungsgespräche. Und natürlich Christian Lindner, wie er fast theatralisch von Sonntag auf Montag seinen Abgang zelebriert hat. Auch das hatte eine gewisse Dramatik.
Und der berühmte Balkon?
Die Inszenierung der Politiker auf dem Balkon der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft ist das eigentliche Synonym für das Scheitern. Auch wenn die Politiker tatsächlich nur selten auf dem Balkon zu sehen waren - Angela Merkel war in den sieben Wochen achtmal auf dem Balkon, und das nie länger als eine Minute -, blieb für Betrachter die Schlussfolgerung: Die haben nicht verhandelt, sondern nur gewinkt. Dies zwingt in den neuen Sondierungen mit der SPD zum umgekehrten Handeln. Es soll keine Bilder geben und ich habe bewusst Fotos von zugezogenen Vorhängen gemacht. So gesehen sind „keine Bilder“ auch wieder eine Art Inszenierung.
Politiker sind gewohnt, in der Öffentlichkeit zu stehen und auf ihre Wirkung vor der Kamera zu achten. Gibt es Siegerposen von Politkern, analog zu denen im Sport?
Es gibt das klassische Winken nach gewonnenen Wahlen. Sie erinnern sich vielleicht: Gerhard Schröder mit den erhobenen Armen und den beiden Händen, die er zu einer Faust zusammenführte. Insgesamt inszenieren sich Politiker aber nicht so stark.
Die dpa bestimmt in einem gewissen Maße mit, welche Bilder auf den Markt kommen und welche Geschichten erzählt werden.
So drastisch würde ich es nicht formulieren. Bei uns herrscht das Vieraugenprinzip: der Fotograf, der durch die Nähe zum Geschehen voreingenommener ist, und der Redakteur am Tisch als neutraler Beobachter. Er bestimmt letztlich die Auswahl der Fotos, die den Medien zur Verfügung gestellt wird.
Und dann kommt so was zustande wie bei der abtrünnigen niedersächsischen Grünen-Politikerin Elke Twesten, die von einem dpa-Fotografen auf eine Art fotografiert wurde, fast diabolisch, dass es wunderbar zu ihrem „Verrat“ an der Grünen-Partei passte.
Ja, Elke Twesten ist auf gewisse Weise wild und teuflisch fotografiert worden. Aber grundsätzlich stellen wir gemäß dem beschriebenen Prinzip der Neutralität ein so großes Angebot an Bildern zur Verfügung, dass die Kunden selbst entscheiden können, was und wie sie jemanden im Sinne ihrer Berichterstattung und ihres Mediums dargestellt haben möchten. Wir verstehen uns als Fotogroßhändler und ich weiß, dass wir zu Elke Twesten andere Fotos im Angebot hatten, die neutral waren. Nur haben die Medien diese nicht genutzt.
Man spricht immer von der Authentizität der Fotos, aber zugleich können Bilder digital so leicht manipuliert werden wie noch nie. Wie geht Ihre Agentur damit um?
Ein wichtiges Thema. Wir arbeiten grundsätzlich mit Partnern zusammen, die den gleichen journalistischen Grundsätzen wie wir folgen. Wir wissen, dass das Vertrauen in unsere Fotos der wichtigste Wert, dass es die Basis unseres Geschäftes ist. Die Kunden verlassen sich darauf, dass es so passiert ist, wie die Fotos es nahelegen.
International ist das aber nicht immer leicht umzusetzen, vor allem bei Bildern aus Social-Media-Quellen?
Das ist in der Tat schwierig. Wenn wir die geringsten Zweifel an einem Foto haben, wird ein mehrstufiger Prozess der Verifizierung in Gang gesetzt. Der ist technischer und organisatorischer Art, wir können das Bild tracken und so seine Herkunft nachverfolgen. Das kann durchaus ein paar Minuten länger dauern. Wenn wir uns nicht hundertprozentig sicher sind, dass das Foto authentisch ist, verschicken wir es nicht. Aber trotz der vielen Vorkehrungen sind wir natürlich nicht davor gefeit, dass man uns ein falsches Bild unterjubelt.
Die dpa bekommt aus der ganzen Welt Bilder geliefert. Sind in der Art der Aufnahmen kulturelle Unterschiede zu erkennen?
Es gibt Stilunterschiede, die zum Teil aber mit dem generellen Zeitgeist zu tun haben. Und man kann beobachten, dass in manchen Staaten mehr Distanz gewahrt wird, gerade im asiatischen Raum und vor allem bei freien Journalisten. Die Fotos aus der Nähe sind oft sehr kontrolliert und stammen von sogenannten regierungsnahen, offiziellen Fotografen. In Europa und den USA bekommen Journalisten einen direkteren Zugang, sodass viel mehr Nahaufnahmen gemacht werden können. Ansonsten sind die internationalen Standards sehr ähnlich.
Ein Kollege von Ihnen sagte mal, dass Fotos ans Ende der Wahrnehmungskette gerutscht seien.
Das sehe ich nicht. Es ist doch eher so: Wenn etwas passiert ist und es gibt kein Foto davon, dann glaubt man mittlerweile nicht mehr, dass es stattgefunden hat. Durch die Bilderflut ist es oftmals so, dass es mehrere oder viele Fotos von einem Ereignis gibt. Aus Agentursicht ist das gut, weil es dann nicht nur eine Aufnahme gibt, die den Sachverhalt dokumentiert. Das steigert die Authentizität der abgebildeten Situation.
Was zeichnet für Sie ein gutes Foto zum Thema „Sport und Integration“ aus?
Ich versuche, das Thema möglichst abseits von Klischees zu denken. Das macht es schwierig, auf den ersten Blick augenfällig zu werden. Ist es für einen Beitrag zum Thema „Integration“ notwendig, dass ein farbiger und ein weißer Mensch auf einem Bild fröhlich lächelnd zusammenstehen? Ich würde sagen: nein. Man sollte solche Klischees sogar eher vermeiden. Trotzdem gilt: Jedes gute Foto muss man verstehen können, ohne die Bildunterschrift zu lesen.
Was hat Ihnen an den Amateurfotos besonders gefallen?
Die Begeisterung in den Vereinen, dieses Thema umzusetzen. Sie ist einem bei fast jedem Bild ins Auge gesprungen. Egal, ob man fotografisch die richtigen Mittel dazu hatte. Das stützt meine These, dass ein gutes Bild nicht zwingend ein technisch gutes Bild sein muss. Der einzigartige Moment ist der Schlüssel für ehrliche, emotionale und bleibende Bilder.
Gibt es von Ihnen Selfies?
Nein! (lacht) Beruflich auf jeden Fall nicht. Ich versuche, nie Teil des Geschehens zu sein.
Und privat?
Sicher, aber ich schätze es schon, lieber hinter statt vor der Kamera zu stehen.
Und wenn Sie privat Fotos machen, eher mit dem Handy oder eher mit der Kamera?
Es ist wie bei allen Menschen: Die beste Kamera ist die, die man dabei hat. Aber in der Regel gehe ich nie ohne meine komplette Ausrüstung aus dem Haus. Im Nachrichtengeschäft weiß man ja nie, wann etwas passieren könnte - da will ich nicht erst zu Hause die Kamera abholen müssen. Obwohl man mit dem Handy gute Fotos machen kann - wenn man weiß, wie es funktioniert.
Sind Ihre Kinder besonders sensibilisiert in Bezug auf die Bilderverwendung im Social-Media-Bereich?
Ich bin da ambivalent. Mein Sohn ist ein begeisterter Fotograf. Er hat ein Gefühl dafür entwickelt, wie man einen Sachverhalt dokumentieren kann, und das Wichtigste: Er weiß, dass man mit schönen Fotos jedem Menschen Freude bereiten kann. Ein tolles ausgedrucktes Foto an Freunde oder die Oma geschickt, sorgt immer wieder für Entzücken. Auch im Social-Media-Bereich bin ich nicht so sperrig, dass ich ihm das Publizieren verbieten würde. Ich sehe die Nöte, die wir Berufsfotografen haben, wenn wir Alltagssituationen abbilden wollen, in denen Kinder zu sehen sind. So viele Eltern haben davor heutzutage wahnsinnige Angst, oftmals, ohne genau sagen zu können, wovor eigentlich. Die klassische Straßenfotografie, wie wir sie aus dem vergangenen Jahrhundert schätzen und im Museum anschauen, ist dadurch eigentlich nicht mehr möglich.
Zum Schluss: Ihr schönstes politisches Foto?
Das von Angela Merkel und Barack Obama beim G-8-Gipfel in Elmau 2016. Sie steht mit ausgebreiteten Armen vor dem Bergpanorama, während er auf der Bank sitzt und ihr zuhört. Das Bild hat eine wahnsinnige weltweite Publizität erfahren, vor allem aber bildet es für mich den Höhepunkt des politischen Wirkens von Merkel ab, bevor ihre Popularität und ihre Macht ins Rutschen gerieten.