"Cricket ist mein Leben und alles für mich."

Hierzulande ist es Nischensport, weltweit eine der beliebtesten Sportarten überhaupt. Die Rede ist natürlich von Cricket. Speziell vielen geflüchteten Menschen gibt der Sport ein Stück (alte) Heimat und etwas, das man auf Anhieb versteht. Zum Neustart der Cricket Saison interviewte Finn Stark, Sportlotse beim Stützpunkt SG Findorff, den Star-Batsman seines Vereins.

Aziz auf der Bezirkssportanlage bei der SG Findorff
Aziz auf der Bezirkssportanlage bei der SG Findorff

F: Könntest du dich zu Beginn kurz vorstellen und vielleicht ein wenig über dich erzählen?

A: Klar. Ich bin Aziz Dawodzy, bin 22 Jahre alt, komme aus Afghanistan und bin seit fünf Jahren alleine in Deutschland. Ich habe hier in Bremen meinen Abschluss nachgeholt und hatte auch bereits eine Ausbildung als Pflegehelfer begonnen. Ich werde im Oktober allerdings eine Ausbildung zum Krankenpfleger in der Notaufnahme beginnen. In meiner Freizeit liebe ich es Cricket zu spielen, gehe Schwimmen und lese Bücher, vor allem über die afghanische Geschichte.

F: Gibt es besondere Erfahrungen oder Erlebnisse die dir im Gedächtnis geblieben sind?

A: Ja, da gibt es einige. Ich war in Afghanistan in der U14 Cricket-Nationalmannschaft und dachte eigentlich bei meiner Flucht, ich würde nie wieder Cricket spielen. 2015 bin ich dann zu SG Findorff gekommen und war 2017 in der U19 Nationalmannschaft. In dem selben Jahr bin ich auch Kapitän der Nationalmannschaft geworden. Außerdem darf ich hier in Findorff die Frauen- und Kindermannschaft trainieren. Das ist für mich auch ein ganz besonderes und schönes Erlebnis.

F: Am Thema Cricket geht ja kaum etwas vorbei, was bedeutet Cricket für dich persönlich?

A: Cricket ist mein Leben und alles für mich. Die Mannschaft der SG Findorff ist wie eine Familie. Ich bin unglaublich glücklich. Das Training macht sehr viel Spaß.

F: Und wie geht es dir bei uns im Verein?

A: Der Vorstand ist sehr freundlich und immer hilfsbereit, genauso wie die Spieler. Ich verstehe mich auch sehr gut mit den Trainern und mache viel mit ihnen. Alle sind sehr tolle Menschen. Wir sind hier wirklich alle wie eine große Familie.

F: Wie war deine Reise in den letzten Jahren für dich?

A: Ich konnte viel lernen. Ich habe hier in Bremen sehr viel von den Menschen gelernt. Die Leute hier sind sehr freundlich, respektvoll und hilfsbereit. Als ich hier kurz nach meiner Flucht noch zur Schule ging, war meine Lehrerin sehr zuvorkommend und hat mir bei vielen Dingen geholfen. Die Zeit in der Schule war anstrengend, aber auch sehr wichtig. Ich konnte sie zum Glück sogar mit einem 2er Durchschnitt beenden. Ich habe in Deutschland auch schon vor Corona im Job viel über Hygiene und Sauberkeit gelernt. Im Sport lerne ich vor allem sehr viel über Respekt.

F: Gab es in der Zeit auch Rückschläge für dich?

A: Aufgrund von persönlichen Problemen musste ich leider meine Ausbildung abbrechen. Zum Glück kann ich nun allerdings eine Neue beginnen. Außerdem hatte ich eine Leisten- und Rückenverletzung. Ich konnte deshalb ein Jahr lang gar keinen Sport machen und bin leider auch noch nicht wieder komplett fit. Ich kann zwar spielen, allerdings häufig noch mit Schmerzen und teilweise brauche ich noch Pausen.

F: Hast du in Bremen bisher Formen der Diskriminierung erlebt?

A: Nein, gar nicht. Bremen war sehr offen und hat mich gut aufgenommen. Ich kann ganz klar sagen, dass ich vollkommen zufrieden mit Bremen und der SG Findorff bin.

F: So etwas ist nicht selbstverständlich, aber freut mich sehr! Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, Aziz.

 

Auf seiner Flucht wusste Aziz Dawodzy noch nicht, wo es überhaupt hingehen würde. Seine Reise zog sich am Ende über sieben Monate, von denen er häufig über 10 Stunden täglich zu Fuß unterwegs war.

In den letzten Jahren wuchs die Begeisterung für den Cricketsport auch durch die vorübergehend erhöhte Zahl an geflüchteten Menschen deutschlandweit an. In den letzten fünf Jahren hat sich die Zahl der im Verein organisierten Cricketspieler*innen auf rund 6000 vervierfacht.

Der Stützpunkt SG Findorff hat sich 2013 dem damals neuen Projekt Cricket angenommen. Nach einer Schul-AG und frischem Trainerschein setzten sich Nisar Tahir und ihr Mann Muhammad mit der SG Findorff zusammen. Mit jeder Menge Motivation und gegenseitigem Vertrauen stemmte man mit Starthilfe des Programms "Integration durch Sport" in Bremen das Projekt.

Speziell nach den Jahren um 2015 fanden im Team nebst Indern auch viele Afghanen und Pakistani ein verbindendes sportliches Zuhause. Nebst dem gemeinsamen Spaß am Sport stellte sich aber auch schnell der sportliche Erfolg ein. Nach dem Norddeutschen Meistertitel folgte 2016 überraschend die deutsche Meisterschaft. Im Jahr 2019 konnte sogar in Europa ganz oben mitgemischt werden. Beim letztjährigen European Cricket League Finale (T10) in Spanien gewann die Mannschaft gegen die Profis aus Rotterdam Silber. Die Geschichte von Cricket bei der SG Findorff ist damit ein markantes Beispiel dafür, was durch Teamgeist, Verständigung und freiwilliges Engagement möglich sein kann.

Wer den Weg der SG Findorff zur europäischen Cricket Liga noch einmal hautnah miterleben möchte, hat in der NDR Sportclub Geschichte "Cricket: Ein Stück Heimat in der Fremde" die Gelegenheit dazu.

 

Zur Sportart: Das Spielprinzip von Cricket in Kurzform

Cricket ist ein Schlagballspiel mit jeweils elf aktiven Spielern pro Team. Es basiert nicht auf Zeit, sondern wie Baseball auf Innings (Runden). Im Spiel dreht sich alles um das Duell zwischen dem Bowler (Werfer*in) und dem Batsman (Schläger*in). Der Bowler versucht durch trickreiche Würfe, den Batsman zu einem schlechten Schlag zu bewegen, damit dieser ausscheidet. Der Batsman versucht, den Ball soweit es geht wegzuschlagen, um dann Runs (Punkte) zu erzielen. Für einen Schlag über das Spielfeld gibt es 6, für einen Schlag an die Spielfeldgrenze 4 Punkte, ansonsten einen Punkt pro Run. Der Bowler wird durch die weiteren Feldspieler unterstützt, die versuchen den Ball schnellstmöglich zurückzubringen.

Normalerweise besitzt das Feld eine Grundfläche von 120x120m und damit fast doppelt so groß wie ein reguläres Fußballfeld – den Luxus eines Original-Felds besitzen jedoch nur die wenigsten Teams. Dementsprechend häufig werden hierzulande Fußballplätze als Trainings- und Austragungsorte genutzt, was eine gute abteilungsübergreifende Kommunikation und Solidarität vonnöten macht.


  • Aziz auf der Bezirkssportanlage bei der SG Findorff
  • Finale der European Cricket League
  • Interview mit der SportClub Story des NDR
  • Das gesamte Team