Die Anschieberin

Aydan Özoguz, Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, über die Funktion des Sports für gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Unterschied zwischen Deutschland früher und Deutschland heute.

 

Aydan Özoguz ist Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Foto: picture-alliance
Aydan Özoguz ist Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Foto: picture-alliance

Frau Staatsministerin Özoguz, die Hamburger haben bekanntlich die Olympiabewerbung abgelehnt. Hätte Ihnen dieser Event für Ihre Arbeit als Integrationsbeauftragte geholfen?

Ich war, wie viele Hamburgerinnen und Hamburger, sehr enttäuscht, dass die Olympiabewerbung gescheitert ist. Ich bin überzeugt davon, dass die Spiele eine große Chance für die Stadt gewesen wären. Auch für die Integration von Einwanderern und insbesondere der Flüchtlinge. Der Sport hat ja schon immer eine große integrative Kraft gehabt. Viele Vereine würden ohne junge Mitglieder mit familiären Einwanderungsgeschichten nicht mehr existieren können. Und Olympia hatte schon immer die Fähigkeit, Menschen aus aller Welt zusammenzubringen.

Wie wichtig sind prominente Spitzenathleten mit Migrationshintergrund für Deutschland?

Der Sport hat viele Vorbilder hervorgebracht, die zeigen, dass Erfolg in unserer Gesellschaft nicht von der Einwanderungsgeschichte eines Menschen abhängt. Sondern von seinem Engagement und seiner Leistung. Aber auch davon, dass man die Chance bekommt, sein Können zu zeigen. Die Boxerin Susi Kentikian und der Boxer Arthur Abraham, beide armenischer Herkunft, oder die ukrainisch-deutsche Eiskunstläuferin Aljona Savchenko und ihr Ex-Partner Robin Szolkowy, dessen Vater aus Tansania kommt, sind dafür nur einige Beispiele.

Wo ist der Sport Vorbild bei der Integration?

Er bringt Menschen über kulturelle Unterschiede hinweg sehr unverkrampft zusammen und kann so den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken. Er folgt meist den gleichen Regeln, fördert die Begegnung, schafft Verständigung und baut wechselseitige Vorurteile im gemeinsamen Erleben ab. Kein Team hat Erfolg ohne Zusammenhalt. Gerade das Programm  „Integration durch Sport“ macht seit mehr als 25 Jahren deutlich, dass der Sport nicht nur das Ankommen der Neuzuwanderer erleichtern kann, sondern auch bei länger in Deutschland lebenden Einwanderern und sogar bei deren in Deutschland geborenen Kindern nichts von seiner integrativen Kraft einbüßt.

Es scheint, als habe der Sport durch die aktuelle Flüchtlingssituation noch einmal an Bedeutung gewonnen bei der Integration von Menschen.

Wir sehen ja, wie viele Sportvereine bei der Integration der Flüchtlinge helfen. Dabei profitieren sie von ihrem kulturellen Reichtum: ein Trainer, der Farsi spricht, eine Athletin aus Afghanistan oder der türkische Jugendbetreuer. Die Vereine organisieren Turniere, offene Bewegungs- und Freizeitangebote oder Sachspenden für Flüchtlinge. Dafür bin ich sehr dankbar. Um die Sportvereine und -verbände in ihrem Engagement für Flüchtlinge zu unterstützen, fördere ich als Integrationsbeauftragte vier Sportprogramme für Flüchtlinge mit insgesamt 2,25 Millionen Euro.

Bei Menschen mit Behinderung spricht man inzwischen von „Inklusion“, bei der Annäherung der Kulturen verwendet man den Begriff „Integration“. Passt die Unterscheidung in Ihren Augen noch?

Ich tue mich etwas schwer mit dem Begriff „Integration“, weil jeder darunter etwas anderes verstehen möchte. Im Grunde genommen geht es doch darum, die gleiche Teilhabe aller Menschen in Deutschland zu sichern und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.

Und was halten Sie von dem Begriff „Migrationshintergrund“? Gerade Zugewanderte der zweiten Generation lehnen ihn ja eher ab.

Diesen Begriff finde ich – offen gestanden – furchtbar und unbrauchbar. Es ist doch vollkommen irreführend, über Generationen hinweg vom Migrationshintergrund zu sprechen. Zumal in der Statistik nur die nach 1950 Eingewanderten und ihre Kinder erfasst werden.

Sie sind Tochter türkischer Zuwanderer, haben selbst diesen „Migrationshintergrund“. Beim Vergleich zwischen früher und heute: Was hat sich verändert?

Ich habe selbst erlebt, wie meine Eltern und viele andere Einwanderinnen und Einwanderer beispielsweise auf den Behörden und Ämtern abschätzig behandelt wurden – allein, weil sie sich sprachlich nicht immer wehren konnten und höflich blieben. Mit der damaligen Zeit der Gastarbeiterzuwanderung ist Deutschland heute überhaupt nicht mehr vergleichbar. Inzwischen fordern hier Geborene Teilhabe und Chancengleichheit ein.

Stört es Sie, dass Sie qua Funktion immer auf Ihre Herkunft gestoßen werden?

Als zweite Generation waren wir die Ersten, die hier aufgewachsen und zur Schule gegangen sind. Da ist es „normal“, wenn meine Biografie immer wieder ein Thema ist. Aber natürlich würde ich mich freuen, wenn unsere Kinder und Enkel ganz selbstverständlich Teil dieser Gesellschaft sind. Als erstes Kabinettsmitglied, das von Einwanderern abstammt, kann ich hoffentlich dazu beitragen.

Seit Dezember 2013 steht die SPD-Politikerin Aydan Özoguz im Range einer Staatsministerin der Bundeskanzlerin und Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Die politische Laufbahn der 1967 geborenen Hanseatin begann 2001, als sie Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft wurde; 2009 zog sie in den Bundestag ein, 2011 wurde sie zur stellvertretenden Vorsitzenden ihrer Partei gewählt. Erfahrung in der Integrationsarbeit erwarb die Tochter türkischer Eltern, die 1989 deutsche Staatsbürgerin wurde, in 15 Jahren Tätigkeit für die Körber-Stiftung – unter anderem koordinierte sie dort Projekte des deutsch-türkischen Jugend- und Wissenschaftsaustauschs. Im Zuge der Flüchtlingskrise fördert die Staatsministerin verstärkt Sport-Initiativen, konkret: „Willkommen im Sport“ des DOSB, „Orientierung durch Sport“ der Deutschen Sportjugend, „1:0 für ein Willkommen“ der DFB-Stiftung Egidius Braun sowie „Willkommen im Fußball“ der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung in Kooperation mit der Bundesliga-Stiftung.

(Quelle: Sportdeutschland - Das Magazin 1/2016)


  • Aydan Özoguz ist Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Foto: picture-alliance
    Aydan Özoguz ist Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Foto: picture-alliance