Die selbstbewusstere Zivilgesellschaft

Antrittsbesuch beim Sport: Jutta Cordt, seit Anfang Februar 2017 neue Präsidentin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und seither auch verantwortlich für das seit vielen Jahren bewährte Bundesprogramm „Integration durch Sport“, hat die DOSB-Zentrale in Frankfurt besucht. Eine gute Gelegenheit, um den engen Terminkalender der BAMF-Chefin zu strapazieren, und ein paar Fragen zum Thema Integration an sie einzuschieben. Ebenfalls Zeit genommen hat sich Walter Schneeloch. Der DOSB-Vizepräsident Breitensport ist durch sein großes Integrationsengagement zu einer Art Außenminister für das Bundesprogramm geworden.

v.li: Walter Schneeloch, Dr. Karin Fehres (DOSB-Vorstand Sportentwicklung), Jutta Cordt, Dr. Michael Vesper (DOSB-Vorstandsvorsitzender); Foto: DOSB
v.li: Walter Schneeloch, Dr. Karin Fehres (DOSB-Vorstand Sportentwicklung), Jutta Cordt, Dr. Michael Vesper (DOSB-Vorstandsvorsitzender); Foto: DOSB

Frau Cordt, Sie kommen von der Bundesagentur für Arbeit, wie sah Ihr bisheriger Kontakt mit der „Integration“ aus?

Ich habe bereits bei der Bundesagentur für Arbeit für Menschen und Ihre Lebensperspektiven gearbeitet. Insofern ist das Themenfeld der Integration für mich nicht neu. Die Eingliederung in den Arbeits- und/oder Ausbildungsmarkt ist ein ganz zentraler Aspekt der Integration, aber nicht der einzige. Die Integrationsarbeit des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge setzt dementsprechend auch an mehreren Handlungsfeldern an - zwei wichtige sind: Sprache und gesellschaftlichen Teilhabe. Bei der gesellschaftlichen Teilhabe geht es unter anderem um Fragen, wie sich Menschen in der Gesellschaft einfinden, wie sie in soziale Netzwerke integriert sind und ob und wie sie sich im Wertesystem zurechtfinden.

Wie sehen Sie die grundsätzliche Rolle von IdS im Zusammenhang mit dem Thema Integration? 

Trotz der großen Bedeutung des Sports für die Integration, sind Menschen mit Migrationshintergrund im organisierten Sport nach wie vor unterrepräsentiert. Das Programm Integration durch Sport nimmt hier eine ganz wichtige Brückenfunktion ein. So ist die interkulturelle Öffnung von Vereinen ein bedeutender Aspekt des Programms. Durch Schulungen und Weiterbildungen in diesem Bereich können Hürden abgebaut werden, die Menschen mit Migrationshintergrund gegebenenfalls an der Teilnahme am vereinsorganisierten Sport gehindert haben. Integration durch Sport schafft so für Menschen mit Migrationshintergrund einen leichteren Zugang zum Sport im Verein.

Wie das funktionieren kann, zeigt das Beispiel Beteiligung von Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund im vereinsorganisierten Sport. Die erste Evaluation des Programms brachte zutage, dass diese Gruppe in den Angeboten unterrepräsentiert war. Durch gezielte Ansprache und Schaffung adäquater Rahmenbedingungen wie beispielsweise Kinderbetreuung oder Sportangebote in geschützten Räumen, können Mädchen und Frauen nun besser angesprochen werden. 2016 hatten bereits 20 Prozent aller Sportgruppenteilnehmerinnen in den Stützpunktvereinen einen Migrationshintergrund.

Und welche Bedeutung hat das Bundesprogramm für die Arbeit des BAMF?

Integration durch Sport ist unser größtes Förderprogramm im Projektbereich und damit eine der wichtigsten flankierenden Maßnahmen zu unseren gesetzlichen Angeboten der Integrationskurse und der Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer. Das Besondere ist: Integration wird in diesem Programm vor allem auch durch den persönlichen Kontakt zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund wirksam. Die Kontakte entstehen und festigen sich während gemeinsamer sportlicher Aktivitäten.  

Sie sind passionierte Läuferin; laufen Sie eher allein oder als Mitglied in einem Sportverein?

Sport ist ein optimaler Ausgleich. Ich laufe regelmäßig. Durch die zahlreichen dienstlichen Termine, auch am Abend und an vielen unterschiedlichen Orten laufe ich allein - da ich so von Zeit und Ort unabhängig bin. Durch die Bewegung kann ich neue Kraft schöpfen, Gedanken sortieren und zu mir kommen. Aber ich war lange Jahre in unterschiedlichen Sportvereinen aktiv. Mir hat dort – neben der sportlichen Aktivität – immer das ungezwungene Miteinander gefallen. Durch das Interesse am Sport ist immer ausreichend Gesprächsstoff vorhanden. Diese Gemeinsamkeit verbindet.

Fragen an Walter Schneeloch

Herr Schneeloch, ist der Sport für interkulturelle Anliegen besonders geeignet?

Der Sport im Verein ist leicht zugänglich und anschlussoffen für beide Geschlechter und alle Altersgruppen. Er bietet neben den zentralen Integrationsbereichen Wohnen, Sprache, Bildung und Arbeit den unerlässlichen Raum für zwischenmenschliche Begegnungen, ein friedliches Miteinander und damit die Bedingungen für eine interkulturelle Begegnung vor Ort. Das direkte und unverkrampfte Miteinander trägt maßgeblich dazu bei, dass Vorurteile abgebaut werden.

Welche Rolle räumen Sie dem Bundesprogramm „Integration durch Sport“ im Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingssituation ein?

Die langjährigen Aktivitäten im Bundesprogramm „Integration durch Sport“ und die dadurch geschaffenen Strukturen tragen nunmehr „Früchte“. Sie waren eine große Hilfestellung und boten Orientierung in unübersichtlichen Zeiten. Auf dieser Grundlage konnte der organisierte Sport bundesweit schnell und professionell auf die Herausforderungen durch die Flüchtlingskrise reagieren und viele weitere Vereine für eine Mitarbeit gewinnen.

Und wie wirkt die Unterstützung in den organisierten Sport zurück?

Meiner Meinung nach haben in den vergangenen Jahren viele Vereine lernen müssen, was es heißt, eine Willkommenskultur zu leben und zu gestalten – und wie man Öffnungsprozesse im Verein angeht und dabei die Potenziale der Geflüchteten nutzt. Für die Vereinsmitglieder ist ebenso deutlich geworden, dass sie sich klarer politisch positionieren müssen. Das hilft, die Demokratie zu stärken und so etwas wie Weltoffenheit zu fördern.

Was hat sich gesamtgesellschaftlich geändert?

Politik und Verwaltung waren durch die Flüchtlingssituation überrascht und zum Teil überfordert. Dass es trotzdem einigermaßen funktioniert hat, ist tatsächlich den vielen Ehrenamtlichen zu verdanken – nicht nur im Sport. Dieser Einsatz ist nicht hoch genug zu bewerten. Meiner Ansicht nach hat das zivilgesellschaftliche Engagement deutlich an Stellenwert gewonnen, und es zeigt sich selbstbewusster. 


  • v.li: Walter Schneeloch, Dr. Karin Fehres (DOSB-Vorstand Sportentwicklung), Jutta Cordt, Dr. Michael Vesper (DOSB-Vorstandsvorsitzender); Foto: DOSB
    v.li: Walter Schneeloch, Dr. Karin Fehres (DOSB-Vorstand Sportentwicklung), Jutta Cordt, Dr. Michael Vesper (DOSB-Vorstandsvorsitzender); Foto: DOSB