„Ein Glücksfall für den Verein“

Der WTSV Concordia hat mit seiner Teilnahme am Programm „Integration durch Sport“ eine Erfolgsgeschichte geschrieben – und vielen Menschen mit Einwanderungsgeschichte die sportliche Teilhabe in Hamburg ermöglicht. Einen großen Beitrag geleistet hat dabei die Integrationsbeauftragte Aleksandra Paluch.

Foto: HSB
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Hamburg – „Dreimal hat mich der WTSV Concordia gefragt, ob ich seine Integrationsbeauftragte werden will“, erzählt die 31-Jährige Aleksandra Paluch mit einem Lächeln. „Damals hatte ich Angst, dieser Aufgabe nicht gerecht zu werden. Heute bin ich dem Verein unendlich dankbar dafür.“

Damals, das ist in Paluchs Fall das Jahr 2016. Ihr damaliger Freund und heutiger Mann, der Baseballspieler Przemyslaw Paluch, wechselte von den Arrows Ostrava zu den Hamburg Stealers. Die im polnischen Zory geborene Paluch begleitete ihn – und stand in Deutschland vor einem kompletten Neuanfang. In Polen hatte sie in der ersten Liga als Halbprofi Handball gespielt und hatte viele Freunde. In Deutschland war alles neu für sie. „Ich kannte zunächst keinen Menschen und konnte kein Deutsch. So selbstbewusst wie heute war ich auch noch nicht“, erinnert Paluch sich zurück.

Doch sie handelte. Sie spielte weiter Handball (in der dritten Liga), schloss ihr Studium der Sportwissenschaften ab und übernahm einen Fitnesskurs für Frauen beim WTSV Concordia. Der 2000 Mitglieder starke Verein passte gleich auf mehreren Ebenen zu Paluch: Symbolisch, weil der Club selbst eine Geschichte der Veränderung und Neugestaltung in sich trägt: 2013 fusionierten die Traditionsvereine SC Concordia, TSV Wandsbek-Jenfeld v. 1881 und Wandsbek 72 zum heutigen Verein Wandsbeker TSV Concordia. Und praktisch, weil Paluch die Liebe zum Sport mit den vielen selbst zugewanderten Menschen, die im Hamburger Stadtteil Wandsbek leben, teilen wollte. Ihr Engagement war und ist ganz besonders für diesen Stadtteil ein Segen, denn der Verein ist Einzugsgebiet für soziale Brennpunkte mit unterschiedlichen Problemlagen. Viele Familien und auch Einzelpersonen haben geringe Einkommen oder sind auf staatliche Transferleistungen angewiesen  ̶  mehr als der Hamburger Durchschnitt. Zudem ist der Stadtteil von Vielfalt geprägt: Viele Menschen aus Osteuropa, aus afrikanischen Ländern, Syrien, Afghanistan, Irak, Iran und der Türkei leben dort. Seit 2015 auch immer mehr Geflüchtete, die zum Teil noch in staatlichen Unterkünften untergebracht sind. 70 Prozent der Vereinsmitglieder blicken per Definition auf eine Einwanderungsgeschichte zurück. „Definition hin oder her. Wir machen da keinen Unterschied. Jeder und jede ist uns willkommen, ganz besonders auch im freiwilligen Engagement. Viele unserer Trainer und Trainerinnen haben nicht deutsch klingende Namen.“, sagt Tobias Bott, Geschäftsführer des WTSV, und fügt hinzu: „Wir möchten für alle offen sein.“

Paluch, die von allen nur Ola genannt wird, nimmt sich derjenigen Menschen an, die mehr Unterstützung benötigen und den Weg zum Verein alleine nicht finden würden.

Sie machte Werbung für ihren Kurs in Flüchtlingsunterkünften in Wandsbek und hielt auch direkt vor Ort einen Fitnesskurs ab. Aber auch über die Sportkurse hinaus engagiert sie sich.

Sie etablierte zum Beispiel in der Geflüchtetenunterkunft Elfsaal wie auch in der Grunewaldstraße eine eigene Sprechstunde und bietet bis heute den Bewohnern und Bewohnerinnen mit ihren unterschiedlichen Anliegen ein offenes Ohr.

Und dieses Ohr wird auch gebraucht: „Die Menschen haben mir ihre Geschichten erzählt. Es waren leider auch traurige dabei. Dinge, die wir uns nicht vorstellen können, wie die mehrmonatige Flucht einer schwangeren Frau mit nicht einmal dem Nötigsten bei sich“, sagt Paluch und fährt fort: „Mit der Zeit sind viele der Kursmitglieder zu Freunden geworden. Wir aßen öfter etwas zusammen, redeten viel, lernten gemeinsam Deutsch. Viele“, erzählt Paluch schmunzelnd, „bringen mir noch heute zu jedem Kurs etwas zu essen mit.“

Paluchs außergewöhnliches Engagement blieb dem Geschäftsführer des WTSV Concordia nicht lange verborgen. Da sich der heute 42-Jährige Bott schon während der Flüchtlingskrise 2015 im Rahmen des Programms „Integration durch Sport“ des Deutschen Olympischen Sportbundes (in Hamburg umgesetzt durch den Hamburger Sportbund) für Geflüchtete engagierte, bot er ihr die Stelle als Integrationsbeauftragte an – eine durch das Programm geförderte Stelle, um die Integrationsarbeit im Verein zu koordinieren. Das Thema lag Bott von Anfang an am Herzen, denn Vielfalt ist im Verein tief verankert: In den 18 Abteilungen treffen sich die unterschiedlichsten Menschen zum Badminton, Schwimmen, Volleyball, Jiu Jitsu und vielem mehr, und sogar an alle junggebliebenen Sportler und Sportlerinnen ab 55 ist gedacht: Für sie gibt es die 1995 gegründete Abteilung „New Generation“. Dem Verein fehlte nur noch eine engagierte Person, die die Integrationsarbeit des Vereins professionalisieren und weit über Einzelmaßnahmen und Mikroprojekte hinaus gestalten sollte.   

„Aleksandra Paluch fiel mir damals als unsere Übungsleiterin durch ihre große Kompetenz als Sportwissenschaftlerin, ihre offene Art und ihr herzliches Wesen auf. Deshalb wollte ich unbedingt, dass sie unsere Integrationsbeauftragte wird“, sagt Bott. Er blieb hartnäckig, fragte dreimal nach. Und nach ihrer Zusage konnte der Verein den nächsten Schritt in der Integrationsarbeit gehen: Der WTSV Concordia wurde 2017 zum Stützpunktverein im Programm „Integration durch Sport“. „Aleksandra wurde ein Glücksfall für unseren weltoffenen Verein“, sieht sich Bott heute bestätigt.

Ein Grund dafür ist Paluchs Neugier, ihr Interesse an anderen Menschen. „Ich habe so viele Fortbildungen (Anm.: Fit für die Vielfalt) im Rahmen dieses Programms gemacht, dass ich sie kaum noch zählen kann“, sagt Paluch lächelnd. „Der HSB war aber auch in praktischen Dingen eine Unterstützung: Bei der Frage zum Beispiel, wie welche Zielgruppe auf Flyern oder Ähnlichem am besten angesprochen werden kann, haben mir die Programmmitarbeiter*innen immer gute Tipps gegeben.“

Von der Stützpunktvereinsarbeit des WTSV haben viele hundert Menschen profitiert. „Ständig“, so Bott, „sprühte Ola vor Ideen für neue Kurse.“ Unter anderem wurden für die Zielgruppe Menschen mit Einwanderungsgeschichte ein Karatekurs für Senior*innen und ein Kurs zum Fahrradfahren Lernen für Frauen ins Leben gerufen. Auch ein Fahrradkurs für Kinder, ein Judokurs und ein Jiu-Jitsu-Kurs. Die einzelnen Abteilungen unterstützten mit Trainer*innen, Material und Hallenzeiten/Sportplätzen. Aber nicht nur einzelne Sportangebote wurden auf die Beine gestellt, sondern auch interkulturelle Sportfeste gefeiert und für Kinder ein kostenloses Fußball-Camp in Kooperation mit der Arche initiiert.

Integration, so findet Paluch, beginne immer damit, sich zunächst nicht ausgeschlossen zu fühlen. „Für den Anfang“, betont sie, „ist es gut, wenn die Leute ähnliche Erfahrungen haben wie du. Dann klappt es viel besser, sich gemeinsam in der neuen Umgebung einzufinden.“ Viele ihrer Teilnehmer*innen hätten die deutsche Sprache gelernt, seien viel selbstbewusster geworden. Viele von ihnen hätten auch vor der Flucht ein gutes Leben gehabt, Beruf, Freunde und Familie. Hier in Hamburg in einer Gemeinschaft aktiv Sport zu machen, habe ihnen ein kleines bisschen Heimat zurückgegeben.

„Wir haben die Förderung durch das Programm „Integration durch Sport“ jedes Jahr gut genutzt und für die Belange der Menschen hier, die kostenfrei an unseren Kursen teilnehmen können, eingesetzt. Als Verein freut uns natürlich besonders, dass wir über diese Angebote zirka 50 neue Vereinsmitglieder gewinnen konnten,“ sagt Bott und fährt fort: „Ich kann jedem Verein nur raten sich an den HSB zu wenden und an diesem ja nun schon über 30 Jahre alten und bewährten Programm teilzunehmen. Mithilfe dieses Programms kann man vielen Menschen eine sportliche Heimat bieten.“

Ein Beispiel dafür ist Aleksandra Paluch, die hauptberuflich mittlerweile in einer Kita arbeitet. Sie und ihr Mann wollen dauerhaft in Hamburg bleiben. „Ich fühle mich mittlerweile total wohl und angekommen in Deutschland“, sagt sie. Und die Angst, es als Integrationsbeauftragte nicht zu schaffen? „Die ist weg“, sagt Paluch und strahlt. „Ganz und gar weg.“

(misch)


  • Foto: HSB
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