„Es geht nicht um Almosen“

Nihat Sorgeç kennt Arbeitgeberwelt und Integrationsdebatte. Der Leiter des BildungsWerks in Kreuzberg sieht Unternehmen nicht in der Pflicht, sich für Vielfalt zu engagieren. Aber er rät es ihnen.

Ausbildungsvermittlung und Ilamkonferenz: Nihat Sorgeç engagiert sich auf vielen Ebenen für gesellschaftliche Integration. (Foto: privat)
Ausbildungsvermittlung und Ilamkonferenz: Nihat Sorgeç engagiert sich auf vielen Ebenen für gesellschaftliche Integration. (Foto: privat)

Herr Sorgeç, woran denken Sie, wenn Sie „Integration durch Sport“ hören?

Ich denke vor allem an die Zeit, als ich nach Deutschland gekommen bin. Das war Anfang der 70er Jahre, ich war 14 und hatte kaum Kontakt zur Bevölkerung. Deutschland war ja nicht vorbereitet auf die Familienangehörigen der Zuwanderer, im schulpflichtigen Alter wurde man einfach in sogenannte Ausländerklassen reingesetzt. Für mich war es ein Glück, dass ich durch einen Freund in einen Fußballverein eingetreten bin. Da waren wir nur zwei, drei Ausländer und ich musste auf Deutsch kommunizieren. Ich konnte in sportlich-ungezwungenem Rahmen mit Gleichaltrigen reden, ohne Hemmung, ohne perfekt sein zu müssen. Wir hatten ein gemeinsames Ziel, das Spiel zu gewinnen. Dafür war fehlerfreies Sprechen irrelevant.

Das BildungsWerk Kreuzberg, das sie seit 1997 leiten,arbeitet auf die Vermittlung sozial Benachteiligter und speziell von Menschen mit Migrationshintergrund in den Arbeitsmarkt hin. Ist das leichter geworden in den vergangenen Jahren?

Viele Unternehmen haben erkannt, dass der Migrationshintergrund eines Mitarbeiters weniger Belastung als eine Bereicherung sein kann, auf allen Ebenen. Interkulturalität bringt sowohl für exportorientierte Unternehmen Vorteile als auch für Firmen, die sich hiesigen Konsumenten mit Migrationshintergrund als Konsumenten öffnen. Dass diese Erkenntnis schon hier und da verbreitet ist, hat mit diversen wissenschaftlichen Arbeiten und auch der Politik zu tun. Wo ich großen Bedarf sehe, ist bei kleinen und mittelständischen Betrieben. Die haben gegenüber Bewerbern mit Migrationshintergrund noch Vorbehalte, vor allem in Bereichen, in denen die Sprache sehr relevant ist, wie im Vertrieb.

Kreuzbergs Hans Dampf

Nihat Sorgeç, 1958 im südtürkischen Antakya geboren, war nach seinen Maschinenbau-Examen zunächst in der Wirtschaft tätig. Seit 1988 arbeitet er für das BildungsWerk in Kreuzberg (BWK), das er seit 1997 als geschäftsführender Gesellschafter leitet. Das BWK, Bildungsdienstleister mit Integrationsschwerpunkt, beschäftigt an vier Berliner Standorten etwa 60 Menschen. Sorgeç engagierte sich in führender Position unter anderem bei der Türkisch-Deutschen Unternehmervereinigung Berlin-Brandenburg, der Türkisch-Deutschen IHK und dem Lions-Club. Er gehört der IHK Berlin an und nahm an der Islamkonferenz sowie dem jüngsten Integrationsgipfel Teil. Der bestens vernetzte Mitbegründer interkultureller Initiativen berät Politiker in Fragen der Integration und des deutsch-türkischen Wirtschaftsaustauschs. Sein soziales Engagement trug ihm, neben anderen Auszeichnungen, 2008 das Bundesverdienstkreuz ein.


Sie wirkten und wirken in diversen Organisationen und -initiativen mit, von der IHK Berlin bis zur Islamkonferenz, und kennen also beide Perspektiven: die abstrakte, übergeordnete und die konkrete Ihres Arbeitsalltags. Entspricht das eine dem anderen, besteht auf den zwei Ebenen eine ähnliche Dynamik?

Wenn man sich die Prognosen zur demografischen Entwicklung anschaut, ist die übergeordnete Dynamik noch nicht ausreichend. Wir haben jetzt 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, hier in Berlin ist es jede vierte Person, bei Jugendlichen sind es über 40 Prozent. Wir müssen die Integrationsprozesse dieser Menschen beschleunigen, damit Deutschland wirtschaftlich führend bleibt.

Unter den etwa 100 Kooperationspartnern des BWK finden sich viel weniger Unternehmen als etwa soziale Träger. Woran liegt das?

Da sind schon ein paar Unternehmen dabei, auch große wie die Commerzbank. Und mit Metro arbeiten wir in der bilingualen Ausbildung zusammen. Unsere Lehrgangsteilnehmer bei den Metro-Töchtern Saturn und Mediamarkt haben vor zwei Jahren auch Praktika in der Türkei gemacht – heute setzt Metro diesen bilingualen Ansatz mit den eigenen Azubis um. Zur Commerzbank muss man sagen, dass der Anteil von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund bei Banken besonders gering ist. Die Commerzbank hat uns dazu gesagt, dass es wenige solcher Bewerber gebe – und diese wenigen fielen durch die Eignungstests, weil ihnen die Soft Skills fehlten, die es im Dienstleistungssektor braucht. Daraufhin haben wir mit diesen Bewerbern die Prüfungsvorbereitung gemacht. Das war sehr erfolgreich.

Können Sie nachvollziehen, dass sich große Integrationsprojekte im Sport, jedenfalls im Breitensport, nicht leicht tun, Wirtschaftspartner zu gewinnen?

Ehrlich gesagt kann ich das nicht. Ich war ja von Anfang an beim Projekt „Charta der Vielfalt“ dabei, das große Unternehmen ins Leben gerufen haben. Diese Charta ist inzwischen von ungefähr 2000 Unternehmen unterschrieben worden.

Ist doch nicht neu: Viele unterschreiben, viel weniger handeln. Außerdem geht es bei der Charta um firmeninterne Vielfalt. Ein Projekt zu Integration durch Sport - durch Breitensport zumal – zu fördern, liegt einem Unternehmen doch viel ferner.

In der Tat müssen Unternehmen wirtschaftlich handeln. Wir sollten ihnen deshalb stärker vermitteln, dass sich ein Engagement, egal in welchem Umfeld, lohnen kann und nicht allein gesellschaftliche Aufgabe ist. Denn sonst werden sie immer vorsichtiger, weil sie sich fragen, warum sie so viel Substanz einsetzen sollen, wo es doch keinen unternehmerischen Gewinn zu geben scheint.

Fehlt dem Stichwort kulturelle Integration aus Firmensicht vielleicht auch die Faszination anderer Verantwortungsthemen? Wenn ich mich für die Umwelt, die Inklusion von Menschen mit Behinderung oder Gesundheit engagiere, ist das doch ein Selbstläufer, das finden alle gut. Fragen von kultureller Vielfalt sind politischer, heikler.

Ja, da ist noch einiges zu tun. Migranten haben nicht die Lobby, um Unternehmen zu  überzeugen, da ist man bei anderen Themen viel weiter. Wobei es wie angedeutet um eine Lobby geht, die die Unumgänglichkeit von Integration betont, auf positive Beispiele abhebt und den Eindruck vermeidet, ein Unternehmensengagement sei soziale Pflicht und damit eine Belastung. Integration muss als überzeugende wirtschaftliche Notwendigkeit gesehen werden. Es geht nicht um Almosen für arme Migranten.

„Menschen mit Migrationshintergrund“ und „sozial benachteiligt“, das taucht nicht nur bei ihnen in Kombination auf. Klingt „sozial benachteiligt“ nicht eben nach „arme Migranten“, nach unattraktiver Zielgruppe, nach wenig Geld, sozialer Konkurrenz - nach Problem irgendwie?

Das stimmt schon. Aber es geht ja wirklich um soziale Benachteiligung. Im beruflichen Kontext heißt das, dass bestimmte Menschen in gehobenen Positionen unterrepräsentiert sind - viele Akademiker in Deutschland sind arbeitslos, aber unter den Akademikern mit Migrationshintergrund ist der Anteil doppelt so hoch. Und trotzdem denken wir an Abwerbung von Fachkräften im Ausland. Dabei wäre es viel günstiger und naheliegender, Migranten anzustellen, die hier studiert und deutsche Abschlüsse gemacht haben und jetzt Taxi fahren. Sie haben vielleicht nicht die Netzwerke und die Sozialisation, um gleich voller Souveränität aufzutreten; in ihrem Umfeld gibt es ja wenige Vorbilder. Aber wenn man ein bisschen Vertrauen hat, dann funktioniert das, und die Interkulturalität wird eine Bereicherung sein. Ich sehe das bei unseren eigenen Mitarbeitern.

„Man muss in Integration investieren“, haben Sie mal gesagt. Verfängt das bei Wirtschaftsentscheidern?

Wir als Bildungswerk können die Aussage leicht belegen. Wir haben insgesamt mehr als 8000 sozial benachteiligte Menschen qualifiziert und ausgebildet, die eine vernünftige Anstellung gefunden haben oder erfolgreiche Unternehmer geworden sind. Was die Entscheider angeht, ist das sicher eine Frage der Zeit. Viele machen sich nicht klar, wie Deutschland in 10, 20 und 50 Jahren aussehen wird und dass es ein großer Wettbewerbsvorteil sein kann, wenn man sich um Mehrsprachigkeit und Interkulturalität der Mitarbeiter kümmert – und zwar jetzt. Alles über 40 hatte ja auch selbst wenig Kontakt zu interkulturellen Milieus, das war vor ihrer Zeit. Sie gehen gerne zum Italiener oder Türken essen, aber sie sehen weiter die Gastarbeiter, die Ausländer statt der neuen Bürgerinnen und Bürger Deutschlands.

(Quelle: DOSB / Das Interview führte Nicolas Richter)


  • Ausbildungsvermittlung und Ilamkonferenz: Nihat Sorgeç engagiert sich auf vielen Ebenen für gesellschaftliche Integration. (Foto: privat)
    Ausbildungsvermittlung und Ilamkonferenz: Nihat Sorgeç engagiert sich auf vielen Ebenen für gesellschaftliche Integration. (Foto: privat)