Von Frank Heike (Text) und Frank Molter (Fotos)
Das Datum liegt schon etwas zurück – „vor Corona“, sagt Fadime Karakus – aber die Übungseinheit an diesem Abend ist ihr noch sehr präsent: „Ich habe geguckt und gesehen, dass wir mehr Mädchen als Jungen waren“, sagt sie und ballt die Faust: „Da habe ich gedacht: ,Yes! Wir sind auf einem super Weg!‘“ Sogar nachgezählt hat sie damals (und die Zahlen noch parat): 17:5 für die Mädchen.
Fadime Karakus, 44 Jahre alt, ist an diesem frühen Abend in der Turnhalle an der Cuxhavener Straße die Frau für alles. Wo soll dies hin, was ist damit, hat sie den Schlüssel für die Halle?, und dann möchte ihre 19-jährige Tochter auch noch etwas von ihr – nicht zu vergessen die Männer im Rentneralter, die darauf beharren, dass ihr Seniorensport pünktlich beginnt.
Das alte Gemäuer war eben noch Trainingsstätte von 60 jugendlichen Boxer*innen. Welch ein Trubel für ein Vereinssportangebot an einem Montagnachmittag! Nun ist für einen Moment Ruhe.
Im rasant wachsenden Fischbek-Neugraben fehlen (wie überall in Hamburg) Hallen, dem TV Fischbek ganz konkret diejenige der Grundschule Ohrnsweg. Sie diente dem TVF lange Jahre als Ort verschiedener integrativer Angebote. In der Umbauphase des Jahres 2024 fällt sie aus – auch so erklärt sich die stattliche Teilnehmer*innenzahl zum Wochenbeginn: vieles drängt sich nun in dieser zugigen Schulturnhalle nahe der S-Bahn Neugraben.
Wobei Fadime Karakus sagt: „Wir waren schonmal mehr!“ Sie arbeitet auf 540-Euro-Basis als Abteilungsleiterin Boxen bei den Fischbekern. Coach der Kinder und Jugendlichen ist in der Montagsgruppe der 40 Jahre alte Vitali Dill. Er sagt: „Wir sind eine bunte Mischung. Mit der Sprache haben wir kein Problem.“ Während er selbst gern auch mal nach Talenten späht und mit der etwas laschen Einstellung an diesem Nachmittag unzufrieden war, sieht Fadime Karakus das große, Ganze: „Mir ist egal, ob jemand Talent hat oder nicht. Hauptsache, sie haben Lust. Wir sind lockerer als andere Gruppen.“ Insgesamt fünf gibt es. Davon, dass zwei Mädchen mit Kopftuch trainieren, nimmt Fadime Karakus keine Notiz.
Viele Teilnehmende kommen aus den Mietshäusern im Sandbekviertel und den Wohnunterkünften Plaggenmoor. Das seien Quartiere unterschiedlicher kultureller und sozialer Herkunft, berichtet Angelika Czaplinski (67), die sich seit Langem beim TVF in integrativen Projekten engagiert: „Wir sind weltoffen und bunt. Die Menschen, woher auch immer, sollen sich bei uns wohlfühlen und aktiv sein. Weiter oben drüber steht auch Lebenshilfe“, sagt sie über den langjährigen Stützpunktverein im Programm „Integration durch Sport“ des Hamburger Sportbundes (HSB).
Sie hat schon mit Fadime Karakus‘ Tochter gearbeitet, als die ein kleines Mädchen war; so lange kennen sich die beiden. Nun ist Czaplinski die Mentorin von Karakus – wobei sie das so nicht nennen würde, viel zu hochgestochen. Doch ihr Anliegen liegt ihr am Herzen und sie treibt es mit sanftem Druck voran: Fadime Karakus soll als zukünftige Integrationsbeauftragte mehr und mehr von Czaplinskis Aufgaben übernehmen. Der Schritt hin zur Box-Abteilungsleiterin soll ein erster sein. Karakus lacht. Sie ist eine zupackende Frau, die nicht viele Worte verliert, aber klare Vorstellungen hat. Sie sagt: „Andere Trainer wollen unbedingt Kämpfer, bei mir sollen sie Spaß am Sport haben!“
Seit sie als Trainerin und Abteilungsleiterin arbeitet, ist der Mädchen- und Frauenanteil gestiegen. „Ich habe oft gehört: ,oh, das ist ja eine Frau!‘ Und ich sage dann: ,Ja, eine Frau kann auch boxen und Boxtrainerin sein!‘“
Beim Hamburger Boxverband hat sie sich ausbilden lassen und beim HSB die C-Lizenz Breitensport absolviert. Beides war wichtig, um sich für die neue Rolle in einer Männerdomäne zu wappnen. Angelika Czaplinski sagt: „Fadime kennt die Leute ganz anders als ich und redet anders mit ihnen. In ihr erkennen viele Mädchen und Frauen, die hierherkommen, eine von ihnen.“
Rausgehen, auf sich aufmerksam machen, den Sozialraum bespielen: Auf Stadteilfesten repräsentiert Fadime Karakus die Boxabteilung des TVF; gern hat sie Boxhandschuhe und Boxbirne dabei. Auch an das Gymnasium Süderelbe geht sie, um Boxen vorzustellen. Im Dezember 2023 kamen so und durch den Web-Auftritt fast 40 Neueintritte zustande.
Sie sei da so reingestolpert, man könnte auch sagen: mit den Aufgaben und der Verantwortung gewachsen, erzählt Fadime Karakus, die zwei Kinder hat. Inzwischen beantragt sie Fördermittel selbst, ist firm geworden in Sachen Vereinsbürokratie, hat den Gesamtverein im Blick auch über die Belange der Boxabteilung hinaus. Dass ihr Herz aber dort und an den jungen Boxerinnen hängt, steht außer Frage: „Ich wünsche mir, dass noch viel mehr Mädchen und Frauen zum Boxen kommen!“