„Ich bin doch das beste Beispiel“

Sozial und leistungsorientiert: Geht das zusammen? Ja, meint Marvin Willoughby. Der Ex-Basketballer leitet in Hamburg-Wilhelmsburg ein Projekt, das den Kiez verändern könnte.

Marvin Willoughby spielte mehrere Jahre für die deutsche Basketball-Nationalmannschaft. (Foto: picture-alliance)
Marvin Willoughby spielte mehrere Jahre für die deutsche Basketball-Nationalmannschaft. (Foto: picture-alliance)

Sie sagen, der Film „The Iran Job“ (sieheThema des Monats) erinnere Sie an die aufregendste Ihrer Basketballreisen: 1999 waren Sie zwei Wochen mit der Nationalmannschaft im Iran. Hat so ein Erlebnis irgendwas mit der sozialen Arbeit zu tun, die Sie mit dem Verein „Sport ohne Grenzen“ machen?

Damals im Iran hat mich der Unterschied zwischen der Einschüchterung durch die offizielle Seite und dem Verhalten der Menschen beeindruckt. Die waren so lustig, interessiert und entspannt, vor allem wenn die Türen zu waren. Es ist gut, wenn man selbst in so einem Land war und gespürt hat, dass es dort genauso nette und doofe Menschen gibt wie in Deutschland oder sonstwo. Ich bin dem Sport wirklich dankbar für solche Erfahrungen. Ich glaube, neben meiner Kindheit in Wilhelmsburg ist das der Grund dafür, dass ich jetzt mache, was ich mache.

Wie können Sie diese Erfahrung weitergeben? Erklären reicht ja nicht.

Ich weiß nicht, ob man Leuten den Unsinn von Vorurteilen erklären muss. Ich sehe darin jedenfalls nicht meine Aufgabe.

Worin sehen Sie sie?

Ich will mit den Jugendlichen in Wilhelmsburg arbeiten, die diese Vorurteile erleben. Ein Zwölfjähriger kriegt ja seine Umfeld mit, und wir (Sport ohne Grenzen, d. Red.) wollen ihm Perspektiven aufzeigen, damit klarzukommen. Ich glaube, für  Jugendliche aus schwierigen sozial-ökonomischen Verhältnissen ist es das Wichtigste, motiviert zu werden, ihr Tun zu reflektieren. Sie sollen überlegen statt irgendeinen Blödsinn zu machen, weil sie glauben, es sei sowieso egal. Dafür braucht es Charakter, und der entsteht meiner Meinung nach aus Perspektive. Meine Perspektive war der Sport: Ich wusste, wenn ich auf der Straße Mist baue oder mich in der Schule daneben benehmen, darf ich nicht zum Auswahltraining.

Solche Perspektive braucht großes Talent. Was machen die anderen?

Es geht uns natürlich nicht nur um sportliche Perspektive. Wir haben bei Sport ohne Grenzen mit einem Projekt „Workshop-Tage“ angefangen: Wir sind in Schulen gegangen und haben zum Beispiel alle achten Klassen aufgefordert, ein Streetball-Turnier zu organisieren. Zuerst haben wir gesagt: Wir brauchen Jungs und Mädels, die spielen wollen; das war etwa die Hälfte. Dann haben wir gesagt, okay: Wir brauchen auch eine Turnierleitung. Und eine Pressegruppe. Und eine Gruppe für das Rahmenprogramm. Und so weiter. Der Kern unserer Arbeit ist immer der Sport, aber wir wollen auch das Mädel motivieren, das Jerseys für die Teams designen kann. Jeder muss halt etwas tun für seine Perspektive. Das Mädel soll dann auch Shirts produzieren. 

Immer Basketball, wieder Wilhelmsburg

Marvin Willoughby, Jahrgang 1978, wuchs in Hamburg-Wilhelmsburg auf. Als Basketballer wurde er beim SC Rist-Wedel groß, bevor er nach Würzburg wechselte: in die Bundesliga und zu Dirk Nowitzki, mit dem er ab 2000 auch in der Nationalmannschaft spielte. Willoughby bestritt 35 Länderspiele, bevor er 2005 wegen Verletzung zurücktrat. Im Jahr darauf gründete er mit Sportwissenschaftlern und Sozialpädagogen den Verein Sport ohne Grenzen (SOG), der in Wilhelmsburg diverse Integrationsprojekte angeschoben hat, aber auch Leistungsbasketball anbietet. SOG, Stützpunktverein des Programms „Integration durch Sport“, kooperiert unter anderem mit der Dirk-Nowitzki-Stiftung und hat auf Basis einer Partnerschaft mit Internationaler Bauaustellung und Internationaler Gartenschau 2013 das Konzept der „InselAkademie“ entwickelt.


Vermittelt Perspektive per se Selbstwert – unabhängig von Erfolgserlebnissen?

Da draußen ist eine Gesellschaft, davor können wir die Jugendlichen nicht schützen. Die Botschaft ist: Wir bieten Dir eine Chance, die Du selber nutzen musst.

Das heißt?

Du musst Dich trauen, vor die Zuschauer zu treten und zu sagen, ich bin Emine, ich trage ein Kopftuch und habe diese Shirts entwickelt. Klar: Wenn dann 600 Leute applaudieren, sprengt dieses Feedback alles für sie und motiviert sie weiterzumachen – sie wird nicht nach ihrem Kopftuch beurteilt, sondern nach ihrer guten Arbeit. Aber es kann sein, dass sie keinen Erfolg hat. Dann muss sie härter arbeiten oder ihre Stärke woanders suchen. Aber wenn ich mich nur hinstelle und sage ich bin der arme Migrant, komme ich sicher nicht voran.

Sport ohne Grenzen verbindet soziales Engagement mit leistungssportlichen Zielen - Sie wollen ein Bundesligateam aufbauen, das in einer neuen Halle an der InselAkademie spielen soll, wo Sie bald auch Ihre Büros beziehen. Wie geht das zusammen?

Mir wurde seit dem ersten Tag gesagt: „Du kannst nicht Sozial- oder Integrationsarbeit mit Leistungssport zusammenbringen, denn beim einen geht es um die Breite, das andere ist elitär.“ Ich habe immer geantwortet: „Moment mal, ich bin doch das beste Beispiel! Ich habe Migrationshintergrund, meine Mutter war alleinstehend, ich bin in Wilhelmsburg aufgewachsen. Und ich habe mir durch Leistungssport eine Perspektive erarbeitet. Ich habe meine Welt und meinen Erfahrungshorizont erweitert und werde nicht mehr als ,Migrant' wahrgenommen.“ Für mich gehört beides zusammen. Wobei der Sinn der InselAkademie nicht darin liegt, eine Bundesligamannschaft aufzubauen.

Sondern?

Der Sinn liegt darin, unserer Arbeit einen festen Ort und einen Rahmen zu geben. Wir wollen die Coolness, die von mir als Ex-Nationalspieler und von einer Leistungsmannschaft ausgehen, auf diesen Ort übertragen. Ein Elfjähriger aus Wilhelmsburg, der durch eines unserer Projekte Schulsport in unser Halle macht, kann vielleicht auf der anderen Seite mal die Profis trainieren sehen. Oder er sieht bei einem Spiel, welchen Applaus sie bekommen. Das motiviert ihn, auch diese Bestätigung zu suchen. Vor allem, wenn zu den Profis auch Hamburger oder sogar Wilhelmsburger Jungs gehören, wie es in unseren Jugendteams der Fall ist.

Aber was, wenn er die Bestätigung nicht findet?

Natürlich: Wenn man 30 Jungs hat, um eine Jugend-Bundesligamannschaft mit 12 Spielern aufzubauen, hat man nicht nur die Verantwortung für Ismet Akpinar, der als 18-Jähriger gerade einen Profivertrag bei ALBA Berlin unterschrieben hat, als erster Hamburger seit mir. Man hat auch die Verantwortung für die, die es nicht schaffen. Ich kann einem Zwölfjährigen nicht sagen, Du wirst mal Profi, das wäre unseriös. Aber ich kann ihm sagen: Wenn Du vier Jahre an Dir arbeitest, hast Du eine Chance, in der Jugend-Bundesliga zu spielen. Wenn er dann nicht zu den 12 gehört, hat er vier Jahre in Leistungssportstrukturen im Verein hinter sich. Dann hat er gelernt, die Regeln und seine Gegner zu respektieren, zu gewinnen und verlieren. Und weil er das es in einem Team gelernt hat, weiß er, dass selbst der beste Spieler nichts ist ohne die anderen. Er weiß, auf die Gesellschaft übertragen, dass nicht nur Anwälte wichtig sind, sondern auch Müllmänner.

Die InselAkademie enthält einen Wohnkomplex, Büros, die Halle: ein echtes Sportzentrum. Was heißt das für Wilhelmsburg?

In der InselAkademie finden ja erstmal die Internationale Gartenschau und die Internationale Bauaustellung statt – in einem Stadtteil wie Wilhelmsburg wird über so teure Projekte natürlich lebhaft diskutiert. Umso mehr wollen wir dort später etwas organisieren, das allen nutzt. Wir arbeiten deshalb viel mit Schulen, weil wir dort alle Kinder erreichen, zum Beispiel auch Mädchen. Und durch das regelmäßige Angebot ist das nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Kids wissen, wir kommen wieder.

Das galt bisher auch schon.

In Zukunft soll der Unterricht eben in der InselAkademie stattfinden statt in den Schulen. In manchen Schulen besteht schlicht Platzmangel, die können wir bei Bedarf unterstützen, wir haben ja ein fertiges, erprobtes Konzept für den Sportunterricht. Und es hilft uns, denn die Benno- und Inge-Behrends-Stiftung stellt uns die Halle zur Verfügung, aber wir müssen sie auch füllen, schon aus finanziellen Gründen.

Kann Wilhelmsburg zu einem Modellprojekt für soziale Integration durch Sport werden?

Wir wollten uns das lange nicht eingestehen, aber das Potenzial dafür ist da. Nur, wie eben angedeutet: Wir haben zwar die Gebäude, aber deswegen sind unsere Projekte nicht durchfinanziert. Wir werden immer davon abhängig sein, dass uns Menschen, denen es besser geht, Institutionen oder Unternehmen unterstützen. Grundsätzlich kann unsere Idee auch in anderen Städten funktionieren. Wir erfinden ja das Rad nicht neu, wir drehen es nur anders herum: Leistungssport in Verbindung mit sozialen Initiativen gibt es im Basketball häufiger, aber normalerweise geht das von einem Proficlub aus, der dann zum Beispiel auch Hausaufgabenhilfe anbietet. Wir haben mit der sozialen Arbeit angefangen. Ich glaube, das ist der nachhaltigere Ansatz.

(Quelle: DOSB / Das Interview führte: Nicolas Richter)


  • Marvin Willoughby spielte mehrere Jahre für die deutsche Basketball-Nationalmannschaft. (Foto: picture-alliance)
    Marvin Willoughby spielte mehrere Jahre für die deutsche Basketball-Nationalmannschaft. (Foto: picture-alliance)