Interkulturelle Frauenpower beflügelt Vereine

Besonderer Übungsleiterinnen-Lehrgang hat auch ein starkes Netzwerk geschaffen, das Impulse setzen möchte.

 

Stephan Tribbels (Redakteur), Aachener Zeitung
Stephan Tribbels (Redakteur), Aachener Zeitung

Region Die in den Vereinen der Region aktiven Menschen stammen heutzutage vielfach aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen – also auch Sportlerinnen und Sportler mit Flucht- oder Migrationshintergrund. Da wäre es doch praktisch und sinnvoll, wenn sich diese kulturelle Vielfalt in den Sportvereinen im Sinne der Integration künftig noch deutlicher widerspiegeln würde und das zudem verstärkt durch mehr Frauen in Vorbildfunktion. Nicht nur auf der Seite der Mitglieder, sondern ebenfalls im Bereich der sportlichen Leitung, explizit bei den Übungsleiterinnen.

Diesem Teilhabe-Ziel sind engagierte und ambitionierte Frauen in der Region nun ein paar große Schritte nähergekommen. In einem gemeinsamen Projekt von RegioSportBund Aachen (stellvertretend für die Städteregion) und dem StadtSportBund Aachen (stellvertretend für die Stadt) haben 13 Frauen, die ihre Wurzeln vorwiegend in anderen Kulturkreisen haben, nach insgesamt 135 gemeinsamen Lerneinheiten in Alsdorf ihre Übungsleiter-C-Lizenz in Empfang nehmen können. Die üblichen Lerninhalte und -ziele wurden bei diesem Lehrgang jedoch weit übertroffen.

Die jungen Frauen haben nämlich nicht nur die klassischen Kurselemente wie beispielsweise die Anforderungen an das Leiten von Gruppen, Einführung in die Trainingslehre oder die Ziele und Aufgaben des organisierten Sports in NRW und das Qualifizierungssystem des lizensierten Sports kennengelernt, sondern zudem sehr viel und insbesondere Authentisches aus den unterschiedlichen Lebenswelten der anderen Teilnehmerinnen erfahren. Das war so gedacht und zeigte Wirkung.

Bei Gesprächen zwischen Sport, Spiel und Theorie stellte sich heraus, dass sich die jeweiligen Erfahrungen der Sportlerinnen vielfach ähnelten. Auch was das Zurechtfinden in Deutschland betrifft. Den Austausch jenseits des rein Sportlichen haben alle in der Gruppe als „sehr bereichernd“ und immer wieder hilfreich empfunden, was etwa Tipps für den persönlichen Alltag betrifft und selbstverständlich auch den Sport und die Vereine in punkto Integration weiterbringen soll.

Die Frauen, die mit den Monaten zu Freundinnen wurden, werden nun ein Netzwerk bilden, das auch wirklich in Verbindung bleiben möchte, um mit Frauenpower mehr für Vielfalt, Teilhabe und ein konstruktives Miteinander in den Vereinen sowie generell in der Gesellschaft zu erreichen. Annika Holler, die das durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Annette Widmann-Mauz, dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und dem Landessportbund NRW geförderten Projekt unter dem Motto „Willkommen im Sport” seitens des RegioSportBunds fachlich begleitet hat, ermunterte die Frauen ausdrücklich zum weiteren Netzwerken.

„Für Euch beginnt jetzt eine neue Phase im Sport. Nehmt das mit, was Ihr in der Gruppe gelernt habt und macht was daraus!

Und wenn Ihr Euch künftig sportlich weiterbilden möchtet oder einen Verein sucht, in dem Ihr tätig werden wollt, helfen RegioSportBund und StadtSportBund Aachen gerne weiter”, setzt Annika Holler darauf, dass sich mit den besonders geschulten Übungsleiterinnen in den Vereinen auch selbstbewusste Multiplikatorinnen durchsetzen, die das gesellschaftlich wichtige Feld des Sports für Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund weiter öffnen sowie dabei helfen, noch störende Barrieren zu räumen.

Das sei gut für die Gesellschaft, jedoch auch für die Entwicklung der Vereine selbst und nicht zuletzt Ansporn für andere, diesen Weg mitzugehen.

Einzelne Frauen hatten bereits vor dem Lehrgang in den Sportvereinen, in denen sie Mitglied sind, Assistenzaufgaben wahrgenommen und wollen mit der nun erarbeiteten C-Lizenz vor allem im Bereich Breitensport daran anknüpfen. Die überaus positiven Erfahrungen der multikulturellen Gruppe wollen sie allesamt in ihre künftigen Tätigkeiten einfließen lassen.

„Die Vielfalt, Freundschaft, die Solidarität und die unterschiedlichen Spiele aus den jeweiligen Kulturkreisen” wurden von nahezu allen Teilnehmerinnen als wesentliche sowie inspirierende Elemente der Ausbildungszeit wahrgenommen. Sprachliche Hürden waren dabei kaum zu überwinden. Da waren der gelegentliche Hallenwechsel innerhalb der drei Ausbildungsorte Aachen, Würselen und Alsdorf sowie die Begleiterscheinungen der Pandemie schon mal herausfordernder.

Alles prima gemeistert, was sicher auch den beiden Fachreferenten Selcan Başoğul Yaman und Ümit Ağırman samt deren Fingerspitzengefühl für manche Problemlage zuzuschreiben ist. Kathrin Houben, eine der wenigen Teilnehmerinnen ohne migrantischen Hintergrund, überreichte den beiden Dozenten im Namen aller Absolventinnen zum Dank sehr persönliche „Kochbücher” – mit Rezepten aus den jeweiligen Herkunftsländern (also vorwiegend afrikanischen, arabischen und asiatischen) plus Zutaten-Gutschein.

Das so beschenkte Duo zeigte sich am Ende sehr gerührt, lobte den Mut und die Beharrlichkeit ihrer Schützlinge und wünschte der „besonderen Frauenpower-Gruppe” alles Gute für den weiteren sportlichen und privaten Werdegang.

Für Kathrin Houben sind die im Lehrgang gemachten Erfahrungen zudem im Berufsleben von unschätzbarem Wert, gerade in einer von Zuwanderung und Flüchtlingsströmen geprägten Zeit sei es wichtig, viel über die kulturellen Hintergründe dieser Menschen zu erfahren.

„Den Übungsleiterschein wollte ich sowieso machen, aber als ich von diesem Projekt erfuhr, fand ich die Idee dahinter super spannend – eben dabei so viele verschiedene Kulturen kennenzulernen”, strahlt Kathrin Houben, die sich vor dem Kurs bereits ehrenamtlich um den Jugendbereich im RegioSportBund Aachen gekümmert hat.

„Wenn ich dann demnächst Sportkurse betreue – und das mit Menschen aus verschiedenen Kulturen – kann ich das hier Gelernte sicher gut einbringen. Und das Netzwerk, das aus den Teilnehmerinnen entstanden ist, ist bestimmt auch Gold wert”, stellt Kathrin Houben abschließend fest. Teilnehmerin Zahra Josef ist vor sechs Jahren aus Eritrea nach Deutschland gekommen, hat im Aachener Verein Aix-la-Sports schwimmen gelernt und ist in der Aachener Elisabethhalle längst selbst ehrenamtlich engagiert.

„Ich gebe dort unter anderem Schwimmkurse für Kinder und Jugendliche. Und die haben auch sehr oft migrantische Wurzeln oder körperliche Einschränkungen. Ich bin also bereits in den Bereichen Integration und Inklusion aktiv und würde dieses Aufgabengebiet jetzt mit der Lizenz gerne weiter in meinem Verein vertiefen. Gerade im Schwimmen haben wir großen Nachholbedarf. Die Wartelisten sind lang und die Hallenzeiten knapp”, will Zahra Josef ihrem Verein, dem Netzwerk und den neuen Freundinnen auf jeden Fall verbunden bleiben.

Außerdem weiß sie nach sechs Jahren in Deutschland schon sehr genau, dass eine offizielle Teilnahmebescheinigung wie die gerade erlangte, hier einen gewissen Stellenwert hat. Möglicherweise kommen in ihrem Fall also weitere Trainerscheine hinzu.

Zum Basismodul des aktuellen Lehrgangs gehörte übrigens auch eine Erste-Hilfe-Ausbildung, für die alle erfolgreichen Teilnehmerinnen ein weiteres Zertifikat in Empfang nehmen konnten und ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Zukunftsmacherinnen”.

Welche Zukunft das spezielle Lehrgangs-Projekt mit interkulturellem Schwerpunkt hat, ist allerdings offen und vor allem von dafür fließenden Fördermitteln abhängig. „Gewollt ist es allemal”, bestätigt Serpil Kaya, die das Projekt „Willkommen im Sport“ für den Landessportbund NRW betreute und sich sehr über den positiven Verlauf freute. Wie für Annika Holler war dieser Lehrgang für Serpil Kaya eine „Herzensangelegenheit” für das künftige Vereinsleben mit mehr weiblichen Vorbildern, das Einbeziehen unterschiedlichster Kulturen und nicht zuletzt die Bedürfnisse von Mädchen und Frauen selbst, die in den Vereinen der Region ab sofort noch stärker in den Vordergrund gerückt werden sollen. (phan)

Text: Stephan Tribbels (Redakteur), Aachener Zeitung/ Super Sonntag


  • Stephan Tribbels (Redakteur), Aachener Zeitung
    Stephan Tribbels (Redakteur), Aachener Zeitung