Mit Gott, für Gorodki

Er war der erste Spieler, Trainer, Funktionär in Deutschland: Edwin Feser erzählt die bemerkenswerte Geschichte seines Sports.

Hat den traditionsreichen Gorodki-Sport nach Mitteleuropa gebracht: Edwin Feser. (Foto: privat)
Hat den traditionsreichen Gorodki-Sport nach Mitteleuropa gebracht: Edwin Feser. (Foto: privat)

>> Herr Feser, vor Kurzem war Gorodki im Fernsehen, bei „Schlag den Raab“. Hätten Sie sich's träumen lassen 2001, als sie in Karlsruhe anfingen mit ihrer Aufbauarbeit?

Mmm... ja (lacht). Ich war optimistisch, wirklich. Wir hatten von Beginn an gute Unterstützung durch die Gemeinde, und ich hatte freie Hand, um Pläne zu schmieden – ich war ja der erste Trainer, der erste Spieler, der erste Funktionär. Die Weltmeisterschaft 2006 hier in Karlsruhe zum Beispiel hatte ich von Anfang an geplant.

Der „Prophet“...

... des Euro-Gorodki, als den sich Edwin Feser ironisch bezeichnet, ist russischer Herkunft. Der 64 Jährige Berufsschullehrer und Sozialarbeiter kam als Spätaussiedler nach Karlsruhe und ist ein Beispiel für den organischen Charakter von Integration: Er hat in Deutschland eine Variante des traditionsreichen Sports angesiedelt, für die er nun auch in seinem Herkunftsland wirbt. Unter anderem als Vizepräsident der Internationalen Gorodki-Föderation in St. Petersburg.


>> Wie kommt man darauf? Sie standen ja praktisch bei null.

Ich muss kurz erklären: Wir sprechen vom Beginn 2001, weil damals die erste Gorodki-Vereinsabteilung entstanden ist, bei der SZ Hardeck-Oberreut hier in Karlsruhe. An sich ging es früher los, mit einem Berufsorientierungsprojekt für russlanddeutsche Jugendliche, den ich für den Stadtjugendausschuss leitete. Für einen Kurs habe ich etwas zum Hämmern und Sägen gesucht, und da hatte ich die Idee, aus Holz und Metall einen Bit bauen zu lassen, einen Gorodki-Wurfstock.

>> Spielten Sie da selbst schon?

Nein. Ich kannte nichts, keine Regeln, keine Technik, gar nichts. Ich war immer mit Sport beschäftigt, mit Basketball, Volleyball und so weiter, aber nie mit Gorodki. Ich kannte das Spiel nur aus meiner Jugend in Russland, da hatte es mich sehr beeindruckt. Gorodki wurde damals in allen Städten gespielt, in Parks, in Stadien, in Betrieben, es war nach dem Krieg der zweitbeliebteste Sport in der Sowjetunion nach Fußball. Das lässt sich belegen!

>> Deutschland war Neuland – warum also gleich eine WM?

Der Gedanke war Schritt für Schritt entstanden. Als wir 2001 mit dem Vereinsangebot begannen, hatte ich mich schon fünf Jahre mit dem Thema Gorodki beschäftigt und jemanden gesucht, der uns das Spiel richtig beibringen konnte. Ich hatte ein russisches Gorodki-Buch aufgetrieben, aber ich fand niemanden, der es spielte, weder in Moskau noch sonstwo. Bis mir eines Tages Gott half.

>> Lassen Sie hören.

Im Jahr 2000 habe ich Urlaub gemacht auf der Krim, mit meiner Frau. Da waren wir in einem Sanatorium, wo mich eine bekannte ukrainische Hammerwerferin massierte, die dort arbeitete. Während einer Massage redet man über alles und so fragte ich sie, ob sie als Sportlerin nicht jemanden kenne, der Gorodki betreibt. Sie sagte, ja, sie kenne einen Mann. „Und wo lebt er?“ „Er  spielt neben unserem Sanatorium, er wirft da Stöcke mit Jugendlichen. Vielleicht sogar jetzt, ich hör da was.“ Da brauchte ich keine Massage mehr.

>> Sie sind aufgesprungen?

Ich ging rüber und sie haben wirklich gespielt. Es sah nicht schlecht aus, aber sie warfen riesige Stöcke, das ist nicht sehr elegant. Ich fragte ihn: „Kannst Du mir das beibringen?“ Da hat er gesagt: „Ja, schon. Ich bin sieben Mal Meister gewesen in der Sowjetunion.“ Können Sie sich das vorstellen? Die erste Person, die mir etwas erzählen konnte über die Geschichte des Sports, war die Geschichte des Sports selbst! Alexander Babitsch, der spätere Weltmeister.

>> Wie ging's weiter?

Ich habe ihn sofort nach Deutschland eingeladen, um uns alles zu zeigen. Dann haben wir Gorodki langsam etabliert, wir haben uns dem Verein angeschlossen, danach hatten wir bald eine Mannschaft. Seit 2003 waren wir bei jeder WM präsent.

>> Sie haben Gorodki als russischen Volkssport beschrieben. Heute ist es dort eine Randerscheinung. Warum?

Das kam mit dem Fernsehen, das nur bestimmte Sportarten wie Fußball, Basketball und so weiter zeigte. Gorodki ist nicht sehr fernseh- und showtauglich – das erste Mal, dass ich gesehen habe, wie Zuschauer mitklatschen, war bei „Schlag den Raab“. Wir haben eben noch kein Management für den Sport. Zudem hat man sich in Russland auf Bits von 5 Kilo konzentriert. Mit so einem Stock braucht man nur Kraft, keine Technik, Frauen und Kinder können damit nicht werfen. Wir in Deutschland haben deshalb einen Kunststoff-Bit entwickelt, der die Intelligenz des Spiels zum Tragen bringt.

>> Führt so ein eigener Weg nicht direkt in die Isolation?

Nein. Wichtig war, dass unser Aufbauhelfer Alexander Babitsch diese Variante unterstützt hat. So ist sie von der Internationalen Föderation IFGS anerkannt worden als „Euro-Gorodki“. Daneben gibt es noch die klassische Variante und eine dritte, die finnische Variante: Kyykka.

>> Was heißt das praktisch? Wie haben Sie zum Beispiel bei der WM 2006 in Karlsruhe gespielt?

Als unser Kontakt zur Föderation zustande kam, hatten wir unsere Alternative schon entwickelt. Es war uns wichtig, von Anfang an den richtigen Weg zu gehen. Außerdem war das klassische Gorodki für Karlsruhe zu laut, wir wären in einen Konflikt gekommen mit der Gesellschaft. Deutsche lieben ruhige Spiele. Deshalb waren wir auch auf die Kunststoff-Idee gekommen.

>> Und die hat der Verband akzeptiert?

Wir haben die IFGS eingeladen zu uns und sie fanden das interessant. In Russland war man schockiert, dass man wegen dieses Sports nach Deutschland eingeladen wird. Aber im Endeffekt hat das zu einer Wiedergeburt von Gorodki in Russland, Weissrussland und der Ukraine geführt. Der Prophet kommt immer aus dem Ausland.

>> Stößt er nicht auch auf Widerstand?

In Russland  gibt es eine Strömung, die sich fragt, warum es eine deutsche Variante braucht, wenn es doch eine russische gibt. Aber die Konkurrenz zwischen den drei Formen hat weltweit Schwung gebracht. Kyykka zum Beispiel ist von der IFGS aufgenommen worden, um etwas in Europa zu bewegen. Es ist in Finnland der drittpopulärste Sport nach Eishockey und Skisport. Das macht uns Mut, den Kontakt zu den Finnen zu suchen und von ihnen zu lernen.

>> Sie kooperieren seit 2009 verstärkt mit dem IdS-Programm im baden-württembergischen Landessportverband, um Gorodki in Deutschland zu verbreiten. Wie hat sich die Nachfrage in Karlsruhe entwickelt?

Bei den russischen Jungs in Karlsruhe kam Gorodki am Anfang super an, die waren stolz, dass da etwas aus aus ihrer Heimat kam. Nach dem Höhepunkt mit der WM ist die Zahl zurückgegangen, von 30 bis 40 auf jetzt 20 aktive Spieler.

>> Alles Spätaussiedler?

Leider ja. Deshalb haben wir mit der Ausweitung begonnen, und durch die Kooperation mit „Integration durch Sport“ sind wir jetzt auch in anderen Bundesländern präsent. Wir wollen das Spiel in allen Bevölkerungsteilen bekannt machen und Kindern und Jugendlichen eine Alternative zum Fußball bieten. So könnten sie sich durch Gorodki auch Anerkennung verschaffen, das ist entscheidend.

>> Wo wird Euro-Gorodki in zehn Jahren stehen?

Wir haben unsere Variante international durchgesetzt: keinen Wurfstock über zwei Kilo, sondern ein Spiel für alle, für Familien, für Kinder – das Schöne an Gorodki ist nicht der Wettkampf, sondern das Gemeinschaftserlebnis. Wir haben zum Beispiel eine mobile Anlage und einen Anhänger, so etwas gibt es in Russland nicht. Wir können damit nach Silverstone zur Formel 1 fahren oder nach Frankreich und unsere Idee von Gorodki als Sport des interkulturellen Austauschs verbreiten.


  • Hat den traditionsreichen Gorodki-Sport nach Mitteleuropa gebracht: Edwin Feser. (Foto: privat)
    Hat den traditionsreichen Gorodki-Sport nach Mitteleuropa gebracht: Edwin Feser. (Foto: privat)