„Nicht nur muslimische Frauen bleiben gern unter sich“

Vizepräsidentin Ilse Ridder-Melchers betreut im DOSB das Thema Gleichstellung. Ein Interview über Integrationsgipfel, Netzwerkideen und Geschlechtertrennung im Sport.

Quelle: LSB Nordrhein-Westfalen, Andrea Bowinkelmann
Quelle: LSB Nordrhein-Westfalen, Andrea Bowinkelmann

Frau Ridder-Melchers, Sie haben den DOSB beim sechsten Integrationsgipfel vertreten. Was haben Sie aus Berlin mitgenommen?

Das Schwerpunktthema war ja die Integration in das Erwerbsleben. Also die Frage, was Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, aber auch Schulen oder Hochschulen tun können, um die Ausbildungssituation und die beruflichen Chancen zugewanderter Menschen zu verbessern – die Arbeitsmarktzahlen zeigen da ganz klar Handlungsbedarf. Wichtig war auch das Thema der Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse (siehe dazu www.integration-durch-sport.de). Wir vom DOSB haben bei all dem gesehen, welche Bedeutung die Vorarbeit hat, die wir insbesondere im Programm „Integration durch Sport“ leisten.

Was hat Integration durch Sport mit Integration in den Arbeitsmarkt zu tun?

In den Stützpunktvereinen können Migrantinnen und Migranten relativ schnell kulturelle und sprachliche Barrieren überwinden – der erste Schritt aufeinander zu fällt im Sport eben besonders leicht. Das ist für eine umfassende soziale Integration und natürlich für eine Teilnahme am Erwerbsleben entscheidend. Und einige Vereine helfen im Verbund mit Netzwerkpartnern ja ganz direkt bei der Suche nach Praktika oder Ausbildungsstellen.

Der DOSB saß beim Integrationsgipfel am Tisch, obwohl „seine“ Themen keine Rolle spielten. Ist der Sport tatsächlich als Integrationsfeld anerkannt, bei allen Teilnehmern des Gipfels?

Der DOSB ist seit Beginn bei den Integrationsgipfeln dabei und spielt auch im Nationalen Aktionsplan Integration, das heißt in der Umsetzung, eine wichtige Rolle. Wir haben uns zum Beispiel verpflichtet, Migrantinnen und Migranten verstärkt in die haupt- und ehrenamtlichen Strukturen von Sportvereinen einzubinden, sei es als Übungsleiterinnen und Übungsleiter oder in die Organisation. Oder dazu, zur weiteren kulturellen Öffnung unserer Vereine beizutragen. Der Sport ist die größte bürgerschaftliche Bewegung, da haben solche Prozesse große Wirkung, und nach meiner Wahrnehmung ist diese Wirkung durch die Politik wie durch andere gesellschaftliche Akteure voll anerkannt. Unsere Vereine gelten ja auch als engagierte, verlässliche Partner in kommunalen Integrationsnetzwerken.

Die Netzwerkidee prägt die Arbeit von „Integration durch Sport“ - und besonders Projekte mit Frauen und Mädchen. Warum ist das so?

Wir haben, unter anderem in dem 2011 abgeschlossenen Projekt „Bewegung und Gesundheit – Migrantinnen in den Sport“, festgestellt, dass man weibliche Zielgruppen weniger über Flyer oder Inserate als durch persönliche Ansprache erreicht. Man muss Frauen und Mädchen dort abholen, wo sie bereits organisiert sind: in wohnortnahen Familienzentren, Mädchencafés und dergleichen. Und am Besten tut man das gemeinsam mit Netzwerkpartnern. In dem genannten Projekt haben sich Vereine zum Beispiel mit kommunalen Integrationsbeauftragten, Migrantenorganisationen oder Gleichstellungsbeauftragten zusammengetan, um Migrantinnen für die Kurse zu gewinnen. Das ist gut und nachhaltig gelungen.    

Wenn Migrantinnen im Sport unterrepräsentiert sind, sind es Musliminnen ganz besonders. Wie blicken Sie auf die kürzlich hochgekochte Debatte um die Geschlechtertrennung im Schulsport?

Unsere Erfahrung besagt: Fast alle sporttreibenden Frauen wünschen sich zunächst ein geschütztes Setting, also keine männlichen Teilnehmer oder Beobachter von Außen. Das gilt  vielleicht besonders, aber bei Weitem nicht nur für Musliminnen. Auch viele einheimische Frauen bleiben beim Sport lieber unter sich. Insofern fände ich es gut, wenn die Debatte um koedukativen Sportunterricht weniger aufgeheizt geführt und nicht auf religiöse und kulturelle Unterschiede begrenzt würde. Es macht doch Sinn, Mädchen und Jungen mal zu trennen, gerade in der Pubertät, daher gibt es auch entsprechende Vereinbarungen der Kultusministerkonferenz für den Sportunterricht ab der 5. oder 6. und 7. Klasse. In diesen Stufen unterscheiden sich Bewegungsabläufe und körperliche Entwicklung der Geschlechter einfach sehr. 

Im Vereinssport trennt man auch spätestens im Alter von elf oder zwölf.

Das macht es den Mädchen und Jungen, aber auch den Trainern oder Lehrern leichter. Unter Pädagogen gilt es durchaus als akzeptiert, dass eine zumindest phasenweise Trennung der Geschlechter Vorteile haben kann, selbst in anderen Fächern als Sport. Wir haben in Nordrhein-Westfalen schon vor vielen Jahren Projekte mit getrenntem Mathematik- und Informatikunterricht gemacht, weil wir uns fragten, warum sich Mädchen da oft schwerer tun. Das ist hier nicht das Thema, ich will damit nur sagen, dass es helfen würde, solche Fragen von allen Seiten zu beleuchten und sachorientiert zu diskutieren.

Die Sportsfrau

Ilse Ridder-Melchers, 1944 geboren, ist seit 2006 Präsidiumsmitglied des damals gegründeten Deutschen Olympischen Sportbundes. Als Vizepräsidentin Frauen und Gleichstellung vertritt sie im Verband höchst vertraute Themen. So war die langjährige Landtagsabgeordnete zunächst Parlamentarische Staatssekretärin, von 1990 bis 1998 sogar Ministerin für die Gleichstellung von Frau und Mann in Nordrhein-Westfalen. Von 2000 bis 2004 gehörte die Sozialdemokratin dem Präsidium des Deutschen Turner-Bundes an.

 

Kürzlich fand die Weltsportministerkonferenz in Berlin statt. Gibt es eine internationale Diskussion über die kulturelle Integration von Frauen durch Sport?

Ich war nicht persönlich in Berlin. Aber ich weiß, dass die Frage des Sports für alle im Vorfeld der Konferenz eine wichtige Rolle gespielt hat, insbesondere mit Blick auf Frauen und Mädchen. Und das EOC, die Vereinigung der Europäischen Olympischen Komitees, hat seit Kurzem eine Kommission  namens „Women and Equality in Sport“. Sie bereitet zurzeit eine Umfrage unter den nationalen Sportorganisationen darüber vor, was in den Ländern getan wird, um die gleichberechtigte Teilnahme und Teilhabe aller Frauen und Mädchen voranzutreiben. Es geht dabei um Integration in den Sport als auch Integration durch Sport in die Gesellschaft. Und es geht zwar nicht nur, aber auch um Migrantinnen. 

Das Interview führte Nicolas Richter

 


  • Quelle: LSB Nordrhein-Westfalen, Andrea Bowinkelmann
    Quelle: LSB Nordrhein-Westfalen, Andrea Bowinkelmann