Obama: "Für Mädchen geht es im Sport um mehr"

Gespräch mit einer klugen, zupackenden Frau: Auma Obama, Schwester des US-Präsidenten, treibt als Koordinatorin eines Care-Programms sozialen Wandel in Kenia voran. Durch den Sport, fokussiert auf Mädchen.

Bleibt bei der Betreuung auch selbst am Ball: Auma Obama mit Kindern und Jugendlichen des Programms "Sport for Social Change". (Foto: CARE / Ernesti)
Bleibt bei der Betreuung auch selbst am Ball: Auma Obama mit Kindern und Jugendlichen des Programms "Sport for Social Change". (Foto: CARE / Ernesti)

>> Frau Obama, Ihr Doktorvater in Bayreuth hat dem „Spiegel“ einmal gesagt, Sie seien eher für die Politik gemacht als für die Wissenschaft ...

Auma Obama (lacht): Wer hat das gesagt? Alois Wierlacher?

>> … ja, so wird er zitiert. Inwiefern also betreiben Sie als Mitarbeiterin des Care-Programms „Sport for Social Change“ Politik?

Vielleicht insofern, als jeder Versuch, soziale Verhältnisse zu verändern, eine politische Betätigung ist. Darüber hinaus habe ich keine Neigung zu Politik. Es geht mir nicht um Macht, nicht darum zu sagen, wie es am Besten geht. Ich gebe den Menschen nur die Möglichkeit, selbst etwas zu verändern. Wir schaffen eine Plattform, auf der sie etwas für sich tun können.

Die große Schwester

Auma Obama, 1960 in Nairobi geboren, spricht fließend Deutsch. Kein Wunder: Die Halbschwester des US-Präsidenten hat in Deutschland Germanistik und Soziologie studiert, im Wesentlichen in Heidelberg; 1996 promovierte sie in Bayreuth über Konzepte von Arbeit in Deutschland und Kenia. Im Jahr 2008 gehörte sie zum Wahlkampfteam ihres Bruders, den sie erst in den 80ern persönlich kennenlernte, zu dem sie aber beider Aussage nach in sehr enger Beziehung steht. Als Mitarbeiterin der Hilfsorganisation Care koordiniert Auma Obama das Programm „Sport for Social Change“, das tausende Kinder und Jugendliche in Kenia erreicht. Die Journalistin und Autorin („Das Leben kommt immer dazwischen“) lebt mit ihrer neunjährigen Tochter in ihrer Geburtsstadt.


>> Das Programm richtet sich an Kinder und Jugendliche in Kenia, aber der Schwerpunkt liegt auf Mädchen. Warum?

Mädchen haben weniger soziale Chancen in Kenia. Sie müssen im Haushalt helfen und auf die Geschwister aufpassen oder dürfen nicht in die Schule gehen, weil die Eltern erst die Jungs fördern wollen. Sport für sozialen Wandel fördert die schulische Ausbildung und die damit verbundene persönliche Entwicklung zu mehr Selbstwertgefühl. Die Mädchen aus ganz armen Verhältnissen haben die Chance, ein Schulstipendum zu bekommen – das senkt auch die Gefahr, dass sie sich in Prostitution begeben oder zwangsverheiratet werden, weil sie der Familie auf der Tasche liegen. Wo die Eltern zahlen, die Kinder die Schule aber nicht so ernst nehmen, darf nur am Programm teilnehmen, wer auch in die Schule geht.

>> Wie sieht Ihre Aufgabe in dem Programm aus? Zurzeit sind Sie sind Sie mit einer Mädchen-Fußballmannschaft auf Deutschland-Besuch, aktuell in Berlin, als Gäste des interkulturellen Turniers „Discover Football“ …

… da kommen die Mädchen gerade. Jetzt wird es gleich ein bisschen lauter. 

>> Stimmt, aber es geht schon. Haben Sie häufig so direkten Kontakt zu den Kindern oder repräsentieren und organisieren Sie eher?

Care hat in Kenia ein Netzwerk einheimischer Organisationen gegründet und unterstützt deren Leiter beim Aufbau von Management-Kompetenzen und inhaltlichem Know-how, zum Beispiel in finanziellen Fragen oder bei der Vermittlung von Botschaften zur Aidsbekämpfung. Care ist eine internationale Organisation und wird irgendwann nicht mehr vor Ort sein, dann muss das Netzwerk funktionieren. Wenn unsere Partner Arbeitsweisen, Wissen und Expertisen austauschen, ist das viel billiger, als wenn sie sich die Informationen über das Ausland verschaffen. Außerdem könnte Care selbst keine vergleichbare Wirkung erzielen – eine unserer Partnerorganisationen erreicht allein 5000 junge Menschen! Ich koordiniere das Netzwerk und besuche sehr häufig die Programme. So habe ich auch Kontakt zu den Mädchen.

>> Was ist die Funktion des Sports im Rahmen der Initiative?

Das Thema verbindet die Mitglieder des Netzwerks und es ist der Köder – nicht die Hauptsache. Wenn Sie zum Beispiel in einer Klassensituation über Aids informieren wollen,  machen die Kinder beim ersten Mal mit und vielleicht beim zweiten. Danach muss man sich ständig etwas Neues überlegen. Das ist anders, wenn Sie zwischendurch Boxen oder Fußball spielen und den Wettkampf als Beispiel fürs Leben thematisieren: Dass man da lernt, fokussiert zu sein, diszipliniert, dass man Durchhaltevermögen übt und versucht, sich körperlich zu stärken statt sich gehen zu lassen. Da engagieren sich die Kinder, da haben sie Spaß – sie haben ja viel zu wenige Möglichkeiten, zu spielen.

>> Vermittelt der Sport Mädchen andere Kompetenzen als Jungs?

Es ist insofern anders, als Mädchen oft lernen sich zurückzuhalten. Beim Sport sollen sie gerade das nicht. Da müssen sie sich durchsetzen und bis zu einem gewissen Grad aggressiv sein. Jungs wissen schon ziemlich früh, was sie können und wie sie das zeigen. Mädchen lernen so etwas durch Sport.

>> Was bringt ihnen das?

Sie merken, dass sie sogar besser sein können als Jungs und keine Angst haben müssen. Das ist sehr wichtig. Eine unserer Partnerorganisationen bietet Boxen an. Da stehen immer die Jungs am Fenster und schauen rein, weil sie gern dabei wären – aber da boxen nur Mädchen, und diese Mädchen laufen mit erhobenem Kopf durch die Gegend. Die Jungs wissen, dass sie sie anders behandeln müssen als früher. Sexuelle Belästigung findet dort jetzt viel seltener statt, denn die Mädchen würden sich zu wehren wissen. Jungs machen Sport um des Sports Willen. Natürlich geht es für sie auch um anderes, aber für Mädchen geht es um viel mehr. 

>> Der DOSB hat im Rahmen seiner langjährigen Integrationsarbeit festgestellt, dass Frauen und Mädchen einer eigenen Ansprache bedürfen und das Projekt „Mehr Migrantinnen in den Sport“ entwickelt. Lässt sich solche Arbeit mit Ihrer vergleichen, trotz verschiedener Themen und nationaler Eigenheiten?

Ich glaube, man kann das nicht nur vergleichen – man kann es gleich stellen. Sport spricht eine universale Sprache. In dem Moment, in dem man ein Team bildet, um ein Ziel zu verfolgen, arbeitet man für das Gleiche und hat eine gemeinsame Identität. Das ist entscheidend, unabhängig davon, ob das in Afghanistan geschieht, in Israel, oder ob man in Deutschland versucht, die Integration von Migrantinnen voranzubringen. 

>> Aber geht es nicht um ganz unterschiedliche Ziele?

Es geht letztlich immer um soziale Veränderung, um Integration. Bei uns zum Beispiel gab es nach den Wahlen im Dezember 2007 schwere Krawalle. In Eldoret im Westen Kenias waren die Familien richtig im Krieg miteinander, da sind auch Jugendliche auf die Straße gegangen und haben mitgemacht (30 Menschen verbrannten damals in einer Kirche, landesweit forderten die Unruhen etwa 1500 Todesopfer, d. Red.). Eine Partnerorganisation von uns dort nutzt den Sport, um ganz direkt und fokussiert auf diese Themen einzugehen. Sie bringen die jungen Leute einander näher. 

>> Sozialer Wandel vollzieht sich notwendigerweise langsam. Welche Fortschritte erkennen Sie für die Mädchen in Kenia und, sofern Sie das beurteilen können, für Migrantinnen afrikanischer Herkunft in Deutschland? Sie selbst haben hier auch negative Erfahrungen gemacht.

In Deutschland war ich einige Zeit nicht, da kann ich mich nur auf die Erfahrungen dieser Reise beziehen. Vor Berlin waren wir in einem Ort namens Töging, zwischen München und Passau. Unsere Mädchen sind da mit einer anderen Mannschaft zusammengekommen, bei deren Spielerinnen sie zu Gast waren, drei Tage lang. Sie wurden so lieb, so schön aufgenommen! Die Mädchen sind aufeinander zugegangen, haben sich mit wenigen Wörtern verstanden, haben zusammen gespielt und gekocht und wirklich eine tolle Zeit miteinander verbracht. Und in Siegburg danach war es ähnlich. Das hat mir gezeigt, dass es egal ist, welche Erfahrungen man in Deutschland gemacht hat. Es kommt darauf an, wie man einander begegnet. 

>> In der letztjährigen Integrationsdebatte haben Sie der „Süddeutschen“ ein Interview gegeben und gesagt, die Deutschen sollten stärker auf Neuankömmlinge zugehen. Fremden falle das wegen der Sprachbarriere zunächst schwerer.

Wir gehen sehr häufig misstrauisch aufeinander zu, weil wir verschieden sind. Es gibt aber etwas Gemeinsames, und wenn wir mehr auf dieses Gemeinsame achten und es stärker betonen, dann wäre es sicher auch zu meiner Zeit in Deutschland (1980 bis 1996, d. Red.) möglich gewesen, so schöne Erfahrungen zu machen wie jetzt. An dieser Stelle kann der Sport mit seiner universalen Sprache eine entscheidende Rolle spielen. 

>> Wie genau?

Wenn man durch Sport Kontakt zueinander aufnimmt, dann wird alles andere einfach – man nutzt ihn sozusagen als Umgehung der Barriere: Die Scheu, die Unsicherheit, all die Dinge, die einen hindern, aufeinander zuzugehen, spielen dann keine Rolle. Unfreundlichkeit hat ja mit Unsicherheit zu tun. Wenn jemand nicht weiß, wie er sich verhalten soll, fühlt er sich unwohl und ist eher geneigt, sich negativ zu verhalten. Wer sich wohl fühlt, weil er den anderen durch den Sport kennt, reagiert positiv.

>> Und der soziale Wandel in Kenia?

Durch das Programm lernen Mädchen zu sagen: Ich bin wichtig, ich habe das Recht, anders zu leben und anders behandelt zu werden, ich bin individuell und achte auf mein Wohlergehen. Sie bekommen eine Stimme und agieren anders als früher. Das sieht man an den 14 Mädchen, mit denen wir in Deutschland sind. Wir haben vorher Trainingscamps mit ihnen gemacht, bei denen sie am Anfang kein Wort gesprochen haben. Jetzt gehen sie auf Leute zu, fragen und erzählen. Man merkt einfach, sie fühlen sich wohl in ihrer Haut, als Individuen, und das ist sehr, sehr wichtig.

Das Projekt

CARE, mit weltweit 12.000 Mitarbeitern ein Riese unter den NGOs, hilft primär Frauen und Mädchen. Mit dem Kinder- und Jugendprogramm „Sport for Social Change“ unterstützt die Organisation lokale Initiativen, um ein Netzwerk sportbasierter Sozialarbeit zu schaffen. Care berät die Führungen und finanziert gemeinsame Projekte der Partner. Im Rahmen des Programms (und von der Bundesliga-Stiftung gefördert) weilte Ende Juni ein Mädchen-Fußballteam in Deutschland, unter anderem in Berlin. Auma Obama eröffnete dort „Discover Football“, ein interkulturelles Turnier und Festival des Vereins-Fußball und der Begegnung, das von der Berliner Landesskoordination „Integration durch Sport“ unterstützt wird.


  • Bleibt bei der Betreuung auch selbst am Ball: Auma Obama mit Kindern und Jugendlichen des Programms "Sport for Social Change". (Foto: CARE / Ernesti)
    Bleibt bei der Betreuung auch selbst am Ball: Auma Obama mit Kindern und Jugendlichen des Programms "Sport for Social Change". (Foto: CARE / Ernesti)