Projekte gegen Rassismus

Digitale Fachveranstaltung

Beratungsstellen und (Vereins-)Projekte gegen Rassismus stellen sich vor

 

Ein Thema, viele Facetten

Der organisierte Sport vermittelt, oft unbewusst, wichtige Werte wie Respekt, Toleranz und Zusammenhalt – durch das Miteinander im Team, durch Trainer*innen und Vereinsführung als Vorbilder. Damit ist der Sport eine wichtige Säule in unserer Gesellschaft, aber natürlich gibt es auch hier Ausnahmen – Menschen, die sich diskriminierend über andere äußern und ebenso handeln.

In der digitalen Fachveranstaltung des Hamburger Sportbunds am 23. Februar ging es um (Erfahrungs-)Austausch zum Umgang mit Rassismus und es ging darum, Projekte und Organisationen sichtbar zu machen, die sich bereits engagiert gegen Diskriminierung einsetzen – auf unterschiedlichen Ebenen und aus unterschiedlichen Blickwinkeln, im Sport und darüber hinaus.

 

Rassismus im Verein – wie gehe ich damit um?

Ein starker Einstieg direkt zum Kern der Sache – Julian Einfeldt vom Fanladen St. Pauli zeigte in einem spannenden Impulsvortrag auf, wie tief und unbewusst Vorurteile teilweise verankert sind. Wichtig ist aus seiner Sicht daher, im ersten Schritt die eigene Wahrnehmung zu schärfen und sich von stereotypem Denken zu lösen, denn nein – nicht alle Brasilianer haben ein angeborenes Ballgefühl.

Der Fanladen setzt in seiner Arbeit bei jungen Menschen zwischen etwa 12 und 27 Jahren an und begleitet diese beim Hineinwachsen in die Fanszene. Ein wichtiges Werkzeug sind Bildungsangebote, die über die Verknüpfung mit dem Fußball für geschichtliche und aktuelle politische Hintergründe sensibilisieren. So gibt es beispielsweise jährlich einen Holocaust-Gedenktag der Fanszene, antirassistische Fußballturniere, Gedenkstättenfahrten, Zeitzeugengespräche und viele weitere Aktivitäten. Doch nicht jeder Verein und jede Organisation sind gleich. Wie können andere also ihren Weg finden?

Für Julian ganz klar: „Ein Verein, der sich bewusst gegen Rassismus einsetzen möchte, muss zunächst herausfinden, welcher Ansatz zu ihm passt: Gibt es eine konkrete Problemstellung? Welche Ressourcen sind verfügbar? Wie viele Mitglieder möchten sich engagieren und wie können wir die Mitglieder mitnehmen auf dieser Reise? Aus den Antworten entwickelt sich ein Rahmen, der dann konkretisiert werden kann.“

Grundsätzlich kommt es ihm vor allem auf drei Punkte an:

  • Die eigene Wahrnehmung schärfen
  • Betroffene Spieler*innen nicht alleine lassen
  • Menschen stärken, die sich gegen Rassismus und Antisemitismus engagieren, denn in der Gemeinschaft sind wir stark.

Es gibt nicht den einen Weg

Viele Wege führen zum Einsatz gegen Rassismus, Antisemitismus und überhaupt jegliche Form von Diskriminierung, das wurde schnell klar, je mehr Projekte sich vorstellten. Dennoch gibt es auch viele Parallelen.

Empower beispielsweise ist eine Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, ein Projekt von Arbeit und Leben e. V. Doch auch indirekt betroffene Menschen können sich an empower wenden, beispielsweise Zeug*innen oder Eltern. Die Arbeit von empower basiert auf drei Säulen:

  • Die Beratung erfolgt grundsätzlich parteilich für die Betroffenen, ist unabhängig, kostenlos und auf Wunsch anonym. Die Fälle sind extrem vielfältig und nicht nur sportbezogen – aber auch. Dann geht es beispielsweise um rechte Schmierereien auf dem Vereinsgelände, Trainer*innen oder Mitglieder*innen, die rechte Parolen von sich geben oder rechte Gruppen, die das Vereinshaus anmieten möchten. Was kann man tun?
  • Häufig resultieren Projekte der Säule Bildung genau aus solchen Beratungsfällen: Neben Gesprächen mit den Betroffenen unterstützt empower die Aufarbeitung zum Beispiel mit einem Workshop zur Sensibilisierung und zum Umgang mit entsprechenden Vorfällen.
  • In der dritten Säule, dem Monitoring, geht es um Recherche und Dokumentation von Fällen von Rassismus in Hamburg, um die Entwicklung und die Facetten von Diskriminierung fundiert beobachten und darauf reagieren zu können. Ein wichtiges Werkzeug dabei ist die digitale Hinweisstelle memo. Sie ermöglicht eine breite zivilgesellschaftliche Erfassung und Dokumentation antisemitischer, rassistischer und rechter Vorfälle in Hamburg.

Auch Meron Tadesse und Founémoussou Coulibaly, die das Projekt vorgestellt haben, sind sich einig, dass es nicht die eine Anleitung für den Umgang mit rassistischen Vorfällen gibt – das Problem ist zu vielschichtig und wirkt auf verschiedenen Ebenen, von individuell bis strukturell. Ihr Ansatz: Raum schaffen, sich auseinandersetzen, und die Augen nicht verschließen.

 

Janik Trummer berichtete anschließend über die Arbeit von Zusammen1 zur Bekämpfung von Antisemitismus im Sport, die sich im Dreiklang „verstehen – vermitteln -verändern“ zusammenfassen lässt. Mit verstehen ist dabei ein methodischer und wissenschaftlicher Ansatz gemeint, um die Antisemitismusforschung im Sport auszuweiten, denn „um ein Problem lösen zu können, müssen wir es zuerst verstehen.“

Im Alltag geht es dann vor allem darum, zu sensibilisieren und Lösungsstrategien zu vermitteln – im Rahmen von Seminaren, Workshops und praktischen Trainingseinheiten. Wo begegnet uns Antisemitismus im Sport? Welche Handlungsoptionen haben wir? Ziel ist es letztlich, eine Veränderung herbeizuführen durch stärkeres Bewusstsein, stabile Netzwerke und verlässliche Strukturen.

Janiks klarer Appell: Antisemitismus wird im Sport nicht genug thematisiert. Von einer Leitbildentwicklung über die Prüfung der Satzung bis hin zur Präventionsarbeit, Bildung und Beratung kann in Vereinen noch viel getan werden. Vor allem aber gilt es, Fälle von Antisemitismus zu melden und zu erkennen, wie vielschichtig die Aspekte von gesellschaftlicher Diskriminierung sind – sie beginnen bereits beim Schubladendenken und Stereotypen. Deswegen appelliert er an unseren Mut zum Widerspruch und warnt vor einem falschen Verständnis von Meinungsfreiheit und der Bagatellisierung antisemitischer und rassistischer Vorfälle. Wichtig auch: „Immer das Gesagt problematisieren, nicht die Person.“

 

Stellung beziehen, sensibilisieren & schützen

Die Vertreter der Projekte waren sich einig, dass es immer darum gehen muss, Stellung zu beziehen und Betroffene nicht allein zu lassen.

Zwei Aspekte, die auch beim HSV-Projekt Ankerplatz eine ganz wichtige Rolle spielen. Ankerplatz ist eine Anlauf- und Schutzstelle für Betroffene von rassistischer oder sexualisierter Gewalt – direkt im Stadion, mitten auf der Nordtribüne. Mit dieser Platzwahl möchte der HSV sowohl den Fans als auch den potenziellen Täter*innen signalisieren, dass der Verein nicht wegschaut, sondern im Gegenteil ein Flutlicht auf das Thema richten (was übrigens auch als Name zur Auswahl stand).

Wie André Fischer, Fanbeauftragter des HSV, erklärte, kam der Anstoß zu dieser Initiative aus der Fanszene selbst: Es sollte etwas Inhaltliches zum Thema Antirassismus geschaffen werden, das über die reine Symbolik (beispielsweise durch Merchandising) hinaus geht. Und obwohl der Ankerplatz 2019 kurz vor der Pandemie öffnete, sodass bislang nur wenige und meist eingeschränkte Spieltage möglich waren, gab es bereits relevante Fälle, die die Notwendigkeit einer solchen Einrichtung bekräftigen.

Der Ankerplatz bietet eine einmalige Beratung vor Ort, bei der die Bedarfe des/der Betroffenen im Fokus stehen. Das interdisziplinäre Team aus u.a. Sozialpädagog*innen, Psycholog*innen und Jurist*innen hilft in der akuten Situation, bietet Gespräche und gegebenenfalls Schutz. Das Team begleitet die Fälle nicht langfristig, falls erforderlich werden die Betroffenen aber für eine weitere Aufarbeitung an andere Stellen weitervermittelt. Möglich ist ein direktes Vorgehen gegen Täter, indem der Verein zum Beispiel ein Stadionverbot ausspricht.

 

Während der Ankerplatz also situative Hilfe in vielfältigen Szenarien und in einem definierten Umfeld bietet, fokussiert sich die Beratungsstelle Kurswechsel vor allem auf Rechtsextremismus.

Kurswechsel unterstützt zum einen Menschen, die sich von der rechten Szene distanzieren oder sogar aussteigen möchten, die vielleicht Zweifel an ihrem rechten Weltbild haben und Unterstützung in der Bewältigung gefühlter Widersprüche suchen.

Zum anderen engagiert sich Kurswechsel in der Beratung und Fortbildung für Fachkräfte, Multiplikator*innen und auch Angehörige und Peers, die sich um nahestehende Menschen sorgen.

Doch warum wenden sich Menschen überhaupt rechten Gesinnungen und Querdenkerbewegungen zu? Laut Marius Dietrich von Kurswechsel entstehen diese Entwicklungen unter anderem, wenn Menschen mit den Widersprüchen in den Diskursen einer freien Gesellschaft nicht umgehen können – sie suchen eine Vereinfachung, die die genannten Strukturen gerne bieten.

Und wie verhalte ich mich, wenn ich rechte bzw. rechtsextreme Strukturen beobachte, beispielsweise in einem Verein? Auch Marius betont, dass es natürlich kein Handbuch gibt und jede Situation individuell bewertet werden muss. Seiner Erfahrung nach kommt es aber auf die folgenden Punkte an:

  • aufklären und sensibilisieren
  • schützen und solidarisieren
  • zum Reflektieren und Umdenken bewegen

So oder so sollten wir nicht wegschauen – im Zweifel bieten Beratungsstellen Rat und Hilfe.

„Rassismus ist ein gesamtgesellschaftliches Thema und für uns alle relevant. Denn wir stehen alle in der Verantwortung, uns gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu stemmen und uns für ein starkes Miteinander einzusetzen.“

(Hamburger Sportbund)

 

Abschließend stellet Birte Weiß das Projekt Amira (Basis und Woge) vor. „Im Sport wird schon an vielen Stellen eine Haltung gegen Diskriminierung formuliert. Wichtig ist jedoch, diese kontinuierlich weiterzuentwickeln und konsequent umzusetzen – auf struktureller Ebene genauso wie auf individueller Ebene.“

Amira berät schwerpunktmäßig bei Diskriminierung wegen (zugeschriebener) Herkunft und Religion und ist, wie auch empower, ein parteilicher Ort zum Schutz der Betroffenen. Zum einen geht es darum, Strategien aus der gefühlten Ohnmacht in einer solchen Situation zu entwickeln, zum anderen stellt sich auch immer die Frage, was ein Vorfall für den Ort bedeutet, an dem er passiert. Wenn also beispielsweise im Verein jemand diskriminiert wurde, ist es wichtig, nicht nur mit dem oder der Betroffenen zu reden, sondern sich auch im Verein zusammenzusetzen, zu sensibilisieren, zu klären und aufzuklären. Jede Situation ist ernst zu nehmen und sollte keinesfalls bagatellisiert werden.

Amira möchte allen den Raum geben, ihre Erfahrungen und Empfindungen klar zu benennen und Solidarität zu erfahren. Beratungsstellen, Fachkräfte und Migrant*innenorganisationen können sich ebenso mit Fragen an Amira wenden wie Ratsuchende.  

 

„Viele Projekte, die sich engagieren und Stellung beziehen.“

„Es stimmt mich zuversichtlich, dass es zurzeit diese Projekte gibt.“

(Teilnehmer*innen-Feedback)

 

Austauschen, netzwerken, bereichern

Nachdem sich alle Projekte vorgestellt hatten, gab es in verschiedenen virtuellen Räumen die Möglichkeit, tiefer in die einzelnen Projekte einzusteigen. In kleinen Gruppen konnten die Teilnehmer*innen konkrete Fragen stellen, Beispiele diskutieren und neue, spannende Kontakte vertiefen.

Fast war die Zeit zu kurz, um alle Punkte aufzugreifen und so war dies sicher nicht das letzte Format dieser Art: Auch wenn sich schon viel bewegt, so sind die Strukturen im Sport als Ganzes noch nicht optimal aufgestellt, um mit Rassismus und anderen Arten von Diskriminierung umzugehen. Es braucht eine breite Präsenz, aktiven Austausch und noch mehr solch starker Projekte, die daran arbeiten, Antworten zu finden.

„Gerne häufiger Vorstellungen dieser Art.“(Teilnehmer*innen-Feedback)

 

Text: Sabine Kasper