Schröder: "Sportvereine für Integration unentbehrlich"

Ministerin Kristina Schröder spricht im Interview über die wichtige Funktion der Sportvereine als zentrale und unentbehrliche Orte der Integration.

Ministerin Dr. Kristina Schröder (Foto: picture-alliance)
Ministerin Dr. Kristina Schröder. Foto: BMFSFJ

Die EU-Regionalkonferenz „Mitmachen, mitentscheiden – Migrantinnen in den Sport!“, die der DOSB am 2. November 2011 gemeinsam mit der Deutschen Sportjugend ausrichtet, wird maßgeblich vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützt. Die Bundesministerin, Kristina Schröder, betont dass sich die Sportvereine bei dem Versuch, Migrantinnen für den Sport zu begeistern, von Hürden nicht abschrecken lassen sollen.

Frau Ministerin, Familie, Senioren, Frauen und Jugend – in Ihrem Aufgabenbereich findet sich der gesamte Breitensport wieder, denn diese gesellschaftlichen Gruppen spiegeln sich in den 27 Millionen Mitgliedern der mehr als 91.000 deutschen Sportvereine wieder und bilden dort die überwiegende Mehrheit. Wo liegen die gemeinsamen Interessen des Sports und ihrer Politik?

Der Sport ist nicht nur für unsere Gesundheit wichtig, sondern genauso für unsere Gesellschaft. Der Sport verbindet Menschen und fördert das Miteinander. Der Staat kann auf dieses Miteinander – also auf einen wichtigen Teil des Zusammenhalts unserer Gesellschaft – nicht verzichten. Ob auf dem Fußballfeld oder beim Aerobic-Kurs – beim Sport hält man zusammen, trainiert für dasselbe Ziel und baut sich gegenseitig auf, wenn es mal nicht so gut klappt. In diesen Momenten ist es egal, ob man jung oder alt ist, Frau oder Mann, welche Staatsangehörigkeit man besitzt und welche politische oder religiöse Überzeugung man hat.

Das haben wir ja zum Beispiel bei den zwei Fußballweltmeisterschaften der Frauen und der Männer in Deutschland erlebt: Für ein paar Wochen waren die Deutschen sich beeindruckend einig in einem Ziel, nämlich Weltmeister zu werden. Alle haben zusammen gelitten und gejubelt. Was Weltmeisterschaften für das ganze Land sind, sind Sportvereine in der Stadt oder Gemeinde: zentrale und unentbehrliche Orte der Integration und der gesellschaftlichen Teilhabe.

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fördert eine EU-Regionalkonferenz, die fragt, wie sich mehr Migrantinnen für Sport begeistern lassen und will damit gleichzeitig sprachliche, kulturelle oder religiöse Hürden überwinden. Wie sehen Sie das? Wie können Sie Sportvereine bei dieser Aufgabe unterstützen?

Ich finde es wichtig, dass wir gezielt auch Migrantinnen für den Sport begeistern. Natürlich stoßen wir hier teilweise auch auf kulturelle, sprachliche oder religiöse Hürden, aber das sollte uns nicht daran hindern, um mehr Migrantinnen im Sport zu werben und entsprechende Projekte der Sportvereine auch finanziell zu unterstützen.

Der Sport bohrt bei seinem Versuch, Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund in die Vereine zu holen, ein dickes Brett, das ist nicht einfach. Was sagen denn Ihre Fachleute – wo stehen die größten Hindernisse für die Integration von Migrantinnen?

In den Herkunftsländern vieler Migrantinnen ist es oft keine Selbstverständlichkeit, dass Mädchen und Frauen alle möglichen Sportarten ausüben können – zum Beispiel Schwimmen oder Fußball. Diese Mädchen und Frauen müssen – auch und gerade wenn sie in Deutschland leben - bei ihren Familien häufig harte Überzeugungsarbeit leisten, um sportlich aktiv werden zu dürfen. Wir wollen ausdrücklich mehr Sportler mit Migrationshintergrund in den Vereinen, die im besten Fall nicht nur sportlich aktiv sind, sondern sich auch im Verein engagieren und Aufgaben wahrnehmen. Es ist wie überall im Leben: Vorbilder prägen! Schauen Sie sich Mesut Özil oder Lira Bajramaj an! Erfolgreichen Sportlern wie ihnen wollen doch viele Kinder und Jugendliche nacheifern.

In der Integrationsarbeit ist die Einbindung der Mütter ein wesentlicher Faktor für den schulischen Erfolg von Kindern mit Migrationshintergrund. Wie können wir hierfür noch mehr Menschen mit Migrationshintergrund begeistern und gewinnen?

Um die Mütter und auch Väter von Kindern mit Migrationshintergrund zu erreichen, müssen wir auf die Eltern aktiv zugehen und sie soweit wie möglich auch in Veranstaltungen oder Projekte einbeziehen. Die Schule ist hier die erste Anlaufstelle. Auch der Austausch und die Zusammenarbeit mit Migrantenselbstorganisationen sind wichtig. Und natürlich sollten wir nicht zuletzt bei den Sportvereine ansetzen: Auch hier ist es hilfreich, die Eltern der Kinder einzubinden, sie selbst von den Angeboten zu überzeugen und sie daran teilhaben zu lassen.

Welche Wünsche und Erwartungen haben Sie an diese Tagung?

Ich finde es wichtig, dass wir auf dieser Tagung ein deutliches Signal setzen insbesondere an die Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund mit der klaren Botschaft: Wir brauchen Euch! Wir brauchen die Migrantinnen im Sport für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Und wir wollen auch darüber hinaus Migrantinnen für freiwilliges Engagement gewinnen. Wir haben in Deutschland 23 Millionen Frauen und Männer, die sich ehrenamtlich engagieren. Untersuchungen zeigen, dass es vor allem Frauen und Migrantinnen sind, die beim freiwilligen Engagement im Sport noch unterrepräsentiert sind. Die Engagierten sind ein Quell neuer Ideen, denn aus dem Engagement Einzelner entstehen oft sozial innovative Ansätze zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen. Wenn wir hier noch mehr Migrantinnen erreichen könnten, wäre das ein Riesengewinn für uns alle.

Die Mainzer Tagung hat einen europäischen Bezug: 2011 ist das „Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit zur Förderung der aktiven Bürgerschaft“. Auch beim Ehrenamt gibt es eine große Nähe zwischen dem Verantwortungsbereich Ihres Hauses und dem organisierten Sport – beide Bereiche könnten ohne freiwillige Helfer nicht existieren, allein im Sport engagieren sich etwa 8,8 Millionen Menschen. Was macht dieses bürgerschaftliche Engagement so kostbar und wichtig?

In Europa sind 23 Prozent der EU-Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich tätig. Deutschlandweit engagiert sich sogar durchschnittlich jeder Dritte in der einen oder anderen Form. Dies zeigt die hohe gesellschaftliche Relevanz der Freiwilligentätigkeit auf nationaler und auf europäischer Ebene. Gerade der Sportbereich wird in hohem Maße von Freiwilligen und ehrenamtlich Tätigen getragen und lebendig gehalten. Ohne dieses Engagement würde es viele Angebote gar nicht geben. Die Freiwilligen im Sport haben deshalb unsere besondere Anerkennung und Wertschätzung verdient, denn sie machen das Leben vieler Menschen schöner und reicher.

Das gilt besonders für junge Menschen, für die der Sport und das Miteinander von hoher Bedeutung sind. Die sportliche Jugendverbandsarbeit ist deshalb für die Bundesregierung ein wichtiger Förderbereich der Kinder- und Jugendarbeit. Bewegung, Sport und das gemeinsame Spiel sind unbedingte Voraussetzungen für ein gelungenes Aufwachsen junger Menschen. In der sportlichen Betätigung werden nicht nur sportliche und motorische Kompetenzen erlernt, sondern auch soziale Kompetenzen wie Fair Play, Toleranz und Zivilcourage vermittelt. Und natürlich ist der Sport auch für Erwachsene wichtig, weil er einen Ausgleich zum Berufsalltag darstellt und damit nicht nur zum seelischen Wohlbefinden, sondern auch zur körperlichen Gesundheit beiträgt.

In Mainz geht es nun besonders um die Frage, wie wir Migrantinnen für Sport und damit auch für das dortige Ehrenamt gewinnen können. Welche Erfahrungen haben Sie hier auf anderen Handlungsfeldern gemacht und gibt es bereits konkrete Maßnahmen, die Ihr Ministerium fördert?

Das Bundesfamilienministerium fördert zum Beispiel Migrantenjugendselbstorganisationen und Jugendmigrationsdienste. Im Sportbereich unterstützten wir ein Projekt der Deutschen Sportjugend mit dem Titel „JETST! – Junges Engagement im Sport“. Hier sollen speziell Menschen mit Migrationshintergrund für Engagement begeistert werden. Das Projekt hat schon tolle Ergebnisse hervorgebracht: Beispielsweise schult der DITIB-Fachverband „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“ muslimische Mädchen und Frauen zu Schwimmleiterinnen. Das Motto heißt: „Mach mit – bleib fit – misch mit.“ Solche Projekte sind Gold wert, deshalb wünsche ich mir, dass die Mainzer Tagung auch dazu beiträgt, noch viele solcher Projekte anzustoßen.


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