"Sie radeln wie ein Mann, Madame"

Nach zwei Jahren Wartezeit war es endlich soweit: Am 30. April öffnete das Apollo Kino in Hannover seine Türen für „Rückenwind – Freiheit auf zwei Rädern“. Eingeladen hatte der LSB Niedersachsen.

"Rückenwind - Freiheit auf zwei Rädern" am 30.04.2022 im Apollo Kino, Hannover
"Rückenwind - Freiheit auf zwei Rädern" am 30.04.2022 im Apollo Kino, Hannover

Es brauchte schon viel Ausdauer, Geduld und auch ein wenig Hoffnung: Nachdem der LSB Niedersachsen die Veranstaltung „Rückenwind – Freiheit auf zwei Rädern“ sowohl 2020 als auch 2021 pandemiebedingt verschieben musste, klappte es schließlich im dritten Anlauf. Anlass war das LSB-Projekt „Radfahren vereint“. Mehr als 2.000 Teilnehmende haben in über 200 Fahrradkursen seit 2016 das Fahrradfahren gelernt. Ein Grund zum Feiern, aber auch zum Innehalten. Denn noch immer ist das Fahrradfahren für viele Mädchen und Frauen, die von außerhalb Europas nach Deutschland kommen, keine Selbstverständlichkeit. Aber auch in Europa mussten sich Frauen das Radfahren noch vor 150 Jahren gegen zahlreiche Widerstände erobern. Genügend Geschichten also für einen Kinotag rund ums Rad.

Doch zunächst wurde aktiv in die Pedale getreten. Gemeinsam mit den Förderern des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) gab es vorab eine Fahrradtour vom VfL Eintracht Hannover über den Maschsee bis zum Apollo Kino. Mit dabei waren auch Projektpartner wie der SV Odin, Türk Gücü Hildesheim und der Radsportverband Niedersachsen.

Frauen erobern das Rad

Zum Auftakt im Kino begrüßte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des LSB Niedersachsen Marco Lutz die rund 70 Gäste, die zum Teil aus Brandenburg, Bremen, Thüringen und Hamburg angereist waren. Im anschließenden Podiumsgespräch gaben Michaela Röhrbein (DOSB Vorstand Sportentwicklung) und Maria Bergmann (LSB Vizepräsidentin) einen kurzen Einblick in ihre persönliche Beziehung zum Radfahren und zur integrativen Kraft des Sports. Dass Frauen und Mädchen auch beim Radsport gesellschaftlichen Widerständen ausgesetzt waren, deutete die Vizepräsidentin des BAMF, Andrea Schumacher, in einer Videobotschaft an: „Ich habe Radfahren wie die meisten Deutschen schon als Kind gelernt. Aber Rennradfahren ist meine Leidenschaft. Als Kind hätte ich mir sicher gewünscht, in einen Rennradverein zu gehen. Aber zu meiner Zeit war es sehr ungewöhnlich, wenn die Mädchen in einen Rennradverein gegangen sind.

Anschließend ging es mit Prof. Dr. Gudrun Maierhof auf eine Zeitreise ins Europa des 19. Jahrhunderts. Bereits Anfang der 1990er Jahre veröffentlichte die Wissenschaftlerin das Buch „Sie radeln wie ein Mann, Madame – Als die Frauen das Rad eroberten“. In einer lebendigen Lesung gab sie Einblicke in die medizinischen und sittlichen Vorbehalte gegenüber dem Frauenfahrradfahren.

Emanzipation und Empowerment

Nach einer Pause hieß es erstmals „Vorhang auf“ für den Projektfilm „Radfahren vereint“. Der Film gibt einen ganz konkreten Einblick in die Projektpraxis. Im anschließenden Podiumsgespräch mit Gästen aus Wissenschaft, Verbänden und Vereinen wurde der positive Effekt von „Radfahren vereint“ vielfach hervorgehoben. Sowohl Übungsleitende von Fahrradkursen wie Dr. Inge Voltmann-Hummes vom Ochtmisser SV als auch Berend Meyer vom Radsportverband Niedersachsen berichteten von einem ganz besonderen „Sogeffekt“, der viele Frauen dazu beflügelte, nach dem erfolgreich bewältigen Fahrradkurs direkt weiter zu machen. „Viele Frauen wollen nach dem Kurs direkt Schwimmen lernen oder auch den Führerschein machen,“ so Voltmann-Hummes. Auch die Übungsleiterin Nevin Sahin, die selbst erst mit über 60 Jahren Radfahren lernte, berichtete ähnliches: „Die Frauen werden selbstständiger und selbstbewusster und wollen nach dem Fahrradkurs weitermachen.“  Sidegheh Alizada aus Afghanistan, die 2021 zusammen mit ihrer Mutter an einem Fahrradkurs teilnahm, kam ebenfalls zu Wort und erklärte: „Ich kann beim Fahrradfahren einfach ich sein. Es ist ein Teil meiner Persönlichkeit und deswegen bin ich sehr glücklich, dass es solch ein Angebot für Frauen gibt.“ Auch Prof. Dr. Maierhof stellte fest, dass „Radfahren vereint einen positiven Einfluss auf die Entfaltungsmöglichkeiten der Frau hat und stark zur Selbstermächtigung der Frauen beiträgt.

Den Abschluss der Veranstaltung bildete der Film „Das Mädchen Wadjda“. Darin wird die Geschichte des zehnjährigen Mädchens Wadjda erzählt, das in Saudi-Arabien aufwächst und trotz aller gesellschaftlicher Widerstände Fahrradfahren lernen möchte. Es handelt sich um den ersten Film der saudi-arabischen Regisseurin Haifaa Al Mansour.

 

Das Projekt „Radfahren vereint“ wird im Rahmen des Bundesprogramms „Integration durch Sport“ mit Mitteln des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat gefördert. Nähere Informationen zum Projekt gibt es unter: https://www.lsb-niedersachsen.de/radfahren-vereint


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