„Sport erreicht die Menschen in ihrem normalen Lebensalltag – die Politik kann dies nicht“

Der zweite Integrationsgipfel nach 2006 stand angesichts des Boykotts verschiedener türkischer Verbände unter keinem guten Stern. Ein Jahr nach der Verabschiedung des Nationalen Integrationsplans ein Schritt zurück für die deutsche Integrationspolitik. Neben vielen kommunalen Spitzenverbänden, Migrationsorganisationen und der Wirtschaft bringt sich auch der DOSB mit dem Programm Integration durch Sport ein. Damit nimmt der Sport eine entscheidende Funktion in der Integrationsarbeit ein – auch auf politischer Ebene. Sebastian Edathy, Vorsitzender des Innenausschusses des Deutschen  Bundestages, gibt in einem Interview einen Überblick über Status quo der Integrationspolitik in Deutschland und der Rolle des Sports.


Herr Edathy, Nach dem Boykott türkischer Verbände beim zweiten Integrationsgipfel, wie steht es aktuell um die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland?


Sebastian Edathy: „Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg, auch wenn wir im Bereich der Integration noch große Aufgaben zu bewältigen haben. Sehr positiv ist, dass dieses wichtige Thema kein Randthema mehr ist, sondern breit in unserer Gesellschaft diskutiert wird. Dies ist nicht nur zeitgemäß, sondern notwendig für die Zukunft unserer Gesellschaft im 21. Jahrhundert. Bedenkt man, dass sich die Bundespolitik erst mit dem rot-grünen Zuwanderungs- und Integrationsgesetz, welches nach langer Vorarbeit im Jahre 2004 verabschiedet wurde, diesem immens wichtigen Thema nachhaltig gewidmet hat, dann war das spät, aber unabdingbar. Den Boykott der türkischen Verbände beim Integrationsgipfel vor einem Jahr hielt ich für nachvollziehbar. Er war Ausdruck des Protestes gegen neue gesetzliche Regelungen zum Nachzug ausländischer Ehegatten nach Deutschland, welche im Grunde eine Ungleichbehandlung u.a. von nachziehenden türkischen Eheleuten im Vergleich zu denen aus anderen Ländern wie z.B. den USA oder Japan darstellte. Ob die entsprechende Regelung unserem Grundgesetz und dem dort verankerten besonderen Schutz der Ehe gerecht wird, ist noch zu klären.“


Ein Jahr Nationaler Integrationsplan, wie fällt ihre Bilanz aus?


Sebastian Edathy: „Insgesamt ist es wahrscheinlich zu früh, um eine Zwischenbilanz zu ziehen; viele Maßnahmen entfalten ihre Wirkung erst nach einiger Zeit. Kritisch zu betrachten ist allerdings die im vergangenen Jahr rückläufige Zahl von Einbürgerungen: Wir sollten mithilfe einer Einbürgerungskampagne noch gezielter Menschen, die einen Einbürgerungsanspruch haben, dazu bewegen, nicht nur Staatsbewohner zu sein, sondern Staatsbürger zu werden. Erst dann ist volle gesellschaftliche Partizipation möglich. Aus dem Bereich des Sports gab es jüngst jedoch eine sehr positive Nachricht. Ich habe mich gefreut, als im Freundschaftsspiel der Deutschen Fußballnationalmannschaft gegen Belgien der junge türkischstämmige Stuttgarter Innenverteidiger Serdar Tasci zu seinem ersten Länderspieleinsatz kam. Oft entscheiden sich junge Fußballer mit Migrationshintergrund dazu, für das Herkunftsland ihrer Eltern zu spielen. Warum dies so ist, lässt sich nicht einfach beantworten – wichtig ist jedoch, zu realisieren, dass dem deutschen Sport hier oft viel Potenzial und Talent verloren geht. Dem sollten wir entgegenwirken; auch dies ist eine Teilaufgabe der Integrationspolitik.“


Ist aus Ihrer Sicht die Rolle des Sports im Nationalen Integrationsplan ausreichend gewürdigt?


Sebastian Edathy:
„Sport ist für die Integration ein sehr wichtiger Katalysator, er bringt Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen zusammen. Sport ist ein wichtiger Baustein unserer Gesellschaft. In Deutschland sind rund 27 Millionen Menschen in Sportvereinen aktiv, fast 3 Millionen stützen das Sportsystem durch ehrenamtliches Engagement. Der Sportverein bietet hervorragende Lernmöglichkeiten für soziales Miteinander in unserer Gesellschaft. Menschen unterschiedlicher kultureller und sozialer Herkunft erlernen im und durch Sport Regeln und Werte von grundsätzlicher Bedeutung. Die Bundesregierung unterstützt bereits seit Jahren das Programm „Integration durch Sport“ des Deutschen Olympischen Sportbundes.“


Mit dem Nationalen Integrationsplan wurden die Aktivitäten im Bereich des Sports weiter ausgebaut. Ob die Maßnahmen insgesamt ausreichend und für die einzelnen Aktionsbereiche passgenau sind, sollte zu gegebener Zeit überprüft werden. Die Ergebnisse einer Evaluation könnten im Rahmen eines weiteren Integrationsgipfels diskutiert werden.



Sebastian Edathy:
„Trotz der zahlreichen Aktivitäten ist beispielsweise eine Entwicklung zu rein ethnischen Sportvereinen zu beobachten, was weder im Interesse unserer Sportpolitik noch unserer Integrationspolitik liegt. Ein weiteres Ziel muss es sein, den Anteil von Jugendlichen aber auch von Erwachsenen mit Migrationshintergrund in den Sportvereinen sowohl als Mitglieder als auch als Übungsleiterinnen und Übungsleiter oder Funktionäre zu erhöhen.“


Welche Stärken bringt das Programm „Integration durch Sport“ in den Nationalen Integrationsplan ein?


Sebastian Edathy: „Die Bandbreite der deutlichen sozialintegrativen Wirkung des Sports ist groß. Sport ist deshalb zurecht ein anerkanntes Instrument in der Jugendarbeit.
Das Programm „Integration durch Sport“ dient bereits seit einigen Jahren der besseren Integration von Migranten. Die hierbei erwachsenen Erfahrungswerte sind die wesentliche Grundlage für die Umsetzung des sportpolitischen Teils des Nationalen Integrationsplanes. Die Erfolge des Programms verfolge ich übrigens auch bei der Vereinigten Turnerschaft Rinteln aus meinem niedersächsischen Wahlkreis. Der Verein ist in diesem Jahr anerkannter Stützpunktverein.“


Was kann aus ihrer Sicht das Programm Integration durch Sport in der aktuellen Integrationsdebatte leisten, was die Politik nicht leisten kann?


Sebastian Edathy: „Der große Vorteil des Sportes ist es, dass er Menschen in ihrem normalen Lebensalltag erreicht. So ist es möglich, viel direkter einzuwirken. Die Politik kann dies nicht – ihre Aufgabe ist es, die Rahmenbedingungen für ein Gelingen der Integrationsbemühungen zu schaffen.“


Sie sind seit August 2007 Vorsitzender der deutsch-südasiatischen Parlamentariergruppe, haben also guten Einblick in verschiedene migrationspolitische Sichtweisen. Wie wird das Thema in Südasien behandel
t?


Sebastian Edathy:
„Im Bereich der Migration und Integration gibt es auf dem südasiatischen Subkontinent völlig andere Voraussetzungen und Herausforderungen. Hier geht es um diversity management auf einer ganz anderen Ebene. Wir Europäer können hier dennoch durchaus noch etwas lernen, z.B. über den Dialog zwischen den Religionen auf gleicher Augenhöhe. Indien ist beispielsweise ein kulturell, ethnisch und religiös sehr heterogenes  Land, das zugleich eine stabile und funktionierende Demokratie hat. Der letzte Staatspräsident war Moslem, der Regierungschef ist ein Sikh, und die Führerin der größten Partei ist Katholikin, alle drei gehören religiösen Minderheiten an. Das belegt: Es kommt nicht auf den individuellen Glauben, sondern auf gemeinsame Werte an. Bei uns kommt bei der Vermittlung dieser gemeinsamen Werte dem Sport sicherlich eine tragende Rolle zu.“


Ihr Vater stammt aus Indien. Welche Erfahrungen haben Sie persönlich mit Deutschland als Einwanderungsland gemacht?


Sebastian Edathy: „In Deutschland wird es erst allmählich selbstverständlich, dass Menschen nicht Müller, Maier oder Schmidt heißen oder eine dunklere Hautfarbe haben und trotzdem Angehörige dieses Staates sind. Es passiert mir immer wieder, dass ich auf Englisch angesprochen werde. Am Anfang meiner Zeit als Abgeordneter wurde ich z. B. vom Sicherheitspersonal des Deutschen Bundestages bei dem Versuch, das Plenum zu betreten, auf Englisch gemaßregelt: „Zur Diplomatentribüne bitte hier entlang!“ Ich hatte einige Mühe, zu erklären, dass ich als Abgeordneter des Deutschen Bundestages an der Sitzung des Parlaments teilnehmen wollte.
Grundsätzlich hat sich über die vergangenen zehn Jahre jedoch einiges geändert, was sich im Alltag und nicht zuletzt auch in Deutschlands Sportlandschaft bemerkbar macht. Nehmen Sie zum Beispiel die diesjährige deutsche Olympiamannschaft: sie hat den höchsten Anteil von Sportlern mit Migrationshintergrund in der Nachkriegsgeschichte!“


Haben Sie vielleicht Erfahrungen in einem Sportverein gesammelt – und sozusagen Integration durch Sport selbst erlebt?


Sebastian Edathy:„Mein Mandat als Bundestagsabgeordneter erlaubt es mir leider nicht, regelmäßig und aktiv bei einem Sportverein mitzuwirken, obwohl ich dies gerne täte. In den zahlreichen Gesprächen mit Aktiven und Sport-Funktionären aus meinem Wahlkreis begegnet mir dieses Thema jedoch auf anderer Ebene. Vor einigen Wochen besuchte ich einen Fußballverein in Stadthagen, um ihm meine Gratulation für die Verleihung eines Fairnesspreises auszusprechen; in seinen Mannschaften spielen deutsche und viele aus dem Ausland stammende Freizeitkicker recht erfolgreich, nicht nur in der Fairnesswertung, die Sprache auf dem Platz ist Deutsch, ein sehr gutes Beispiel für gelungene Integration.“

 

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