Sport: nicht nur verbindend, sondern auch sprachfördernd

Wo Flüchtlinge unsere Sprache lernen: Beispiele aus Hamburg zeigen, dass die ersten Brocken im Sportverein vermittelt werden.

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Hussein Ismail, Vereinsvorsitzender und Cheftrainer des BC Hanseat, trainiert im Boxclub Hanseat im Stadtteil St. Pauli in Hamburg mit den jungen Boxern (v.li.) Abiola (32) aus Nigeria, Saaer (25) aus Syrien, Finn (20) aus Hamburg, und Mudar (18), aus Syrien.

Hamburg-St. Pauli, Seilerstraße, eine niedrige Turnhalle im Hinterhof, nur einen Steinwurf von der Reeperbahn entfernt. Drinnen hängt der Schweiß von 1000 Faustkämpfen in der Luft. Dann drei Ansagen, kurz und genau: „Schattenboxen!“, „Tanzen!“, „Abbauen!“ Tanzen ist übrigens eine Form des Sparrings. Boxtrainer Hussein Ismail ist hier der Chef. Alle hören auf den Vereinsgründer des BC Hanseat. Mit seiner Aktion „Durchboxen und Ankommen“ haben sich der Klub und er einen Namen gemacht. 30 Flüchtlinge aus Hamburg und Umgebung trainieren hier seit November 2015 mehrmals die Woche. Die Sprache? Ismail kommt aus Bagdad und lebt seit 1979 in Deutschland. Er sagt: „Ich spreche Kurdisch, Arabisch und Persisch. Aber hier ist die Sprache Deutsch. Die kurzen Kommandos verstehen selbst die, die kaum ein Wort Deutsch kennen.“

Schnell Deutsch lernen

Sprachlich viel weiter ist der 22 Jahre alter Syrer Al Youssef Bashir. Er ist vor einem guten Jahr aus Damaskus geflohen, lebt seit acht Monaten in Hamburg. Was ihm an Deutschland gefalle, formuliert er in gefälligem Deutsch: „Es gibt Gesetze, an die sich alle halten müssen. Es ist gut, dass die Universitäten kostenlos sind. Und in Deutschland können alle Menschen etwas erreichen.“ Welchen Rat er anderen Geflüchteten geben würde? „Dass sie schnell Deutsch 
lernen.“ Er hat zwei Träume: Er möchte Hamburger Meister im Halb-Mittelgewicht werden. Und er will Architektur studieren.

Der Sport, die Flüchtlinge und die Sprache: Wo auch immer von der Integration Asylsuchender in Deutschland gesprochen wird, fehlt der Verweis nie, wie wichtig das Erlernen der deutschen Sprache sei. Natürlich bieten staatliche Stellen und privat Engagierte Deutschkurse für Flüchtlinge an. Doch den Sportvereinen kommt eine besondere Rolle zu: Oft sind die Klubs der erste Kontakt der Fremden zur deutschen Alltagskultur. Ob sie es wollen oder nicht, sind die Vereine nicht nur Sportlehrer. Sondern auch Deutschlehrer.

"Willkommen im Sport!"

In Hamburg gibt es viele Stützpunktvereine, die sich seit Jahren um den Sport für Menschen mit Migrationshintergrund verdient gemacht haben und nun ihren Aufgabenbereich um Flüchtlingsarbeit erweitern. Sie werden vom DOSB und vom Hamburger Sportbund (HSB) im Rahmen des Projekts „Willkommen im Sport“ unterstützt, gefördert durch Aydan Özo?uz, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, und das IOC.

Über Sprache des Willkommens wird nicht lange diskutiert. Die Integrationsbeauftragte Angelika Czaplinski vom TV Fischbek etwa sagt: „Wir versuchen, von Anfang an Deutsch zu reden.“ Die Botschafterin des Sports bei den Fischbekern, Ludmilla Zadireev, ergänzt: „Alle Flüchtlinge wollen gern Deutsch lernen. Da bieten wir kleine Hilfestellungen an – dass sie beim Seilspringen etwa auf Deutsch mitzählen. Das klingt simpel. Aber durch so etwas habe ich auch Deutsch gelernt.“ Sie stammt aus Kasachstan.

Man kann das Interesse an der deutschen Sprache nämlich vielfältig wecken. Es sind deutsche Streifen, die wohl jeder Filminteressierte schon gesehen haben dürfte: Etwas von Loriot ist dabei, ein Film, der die deutsche Teilung thematisiert, neuere Komödien. Filme, deren Titel auf so komplizierte Weise mit der deutschen Sprache spielen, dass es für Sprachanfänger entmutigend ist. Doch Adrian Wenck winkt ab: „Bisher konnten unsere Zuschauer den Filmen immer gut folgen.“ Wenck arbeitet für das Goldbekhaus e.V., einen Hamburger Verein im Stadtteil Winterhude. Hier wird qualifizierte Arbeit mit Asylsuchenden und Menschen im Stadtteil gemacht.

Eine gute Mischung: Sport, Kunst und Kultur

Unter den Mitgliedsvereinen des HSB nehmen die Goldbekhäusler eine besondere Rolle ein, denn ihr Angebot ist eine Mischung  aus Sport, Kunst und Kultur. Dazu gehören die Vorführungen deutscher Erfolgsfilme der vergangenen 30 Jahre. „Welcome movies“, haben die Macher ihre Filmserie genannt – sie richtet sich an Geflüchtete und Anwohner des Viertels. Bis zu 40 Flüchtlinge aus nahen und fernen Unterkünften versammeln sich bei schönem Wetter draußen, bei schlechterem drinnen vor der „Bühne zum Hof“ und schauen zu. Entschieden wird spontan am Abend. „Die, die gekommen sind, können sagen, was sie sehen wollen“, sagt Wenck. Man komme immer zu einer Einigung, weil der Fundus der kostenfreien Filme nicht riesengroß sei. Das wichtigste sei den Flüchtlingen gewesen, dass sie auf Deutsch mit deutschen Untertiteln laufen. „Das war ihr ausdrücklicher Wunsch, weil sie neben dem Hören dann auch mitlesen können“, erklärt Wenck.

Für ihn und die Ehrenamtler im Goldbekhaus ist es das Schönste, dass sich bisher immer Gespräche im Anschluss an die Filme entwickelt hätten. Er sagt: „Uns geht es nicht nur um die Filme, sondern um das gemeinsame Schauen und die Möglichkeiten des Austausches und neuer Kontakte.“ Natürlich sei es gewollt, dass die Flüchtlinge, die ganz unterschiedlich gut Deutsch sprechen, ihre Kenntnisse durch die Welt des Kinos vertiefen und erweitern. Hauptansatz der „welcome movies“ ist dieser pädagogische Ansatz indes nicht.

Die Geflüchteten unterhalten sich schnell auf Deutsch

Es gibt kaum Grenzen, wenn es um die Vermittlung der deutschen Sprache mithilfe des Sports geht. Beim SV Lurup und der SPVGG Billstedt-Horn gehen die Mitglieder mit Schachbrettern in die Unterkünfte und laden schon ganz frisch angekommene Flüchtlingen zum Spiel der Könige ein. „Die Schachsprache ist international, aber natürlich versuche ich vom ersten Tag an, den Flüchtlingen die deutschen Schachbegriffe beizubringen“, sagt Stefan Tatliak, Botschafter des Sports der Billstedter. Beim SV Nettelnburg/Allermöhe trainiert Frank Erdmann ein reines Flüchtlingsteam. Er sagt: „Einfache Begriffe wie: Geht, bleib, schieß!, oder Trinkpause verstehen sie nach dem zweiten Mal. Und interessant ist, dass sie sehr schnell versuchen, sich auf Deutsch zu unterhalten.“

Überhaupt scheint Sport nicht nur verbindend, sondern auch sprachfördernd zu sein. In Billstedt werden seit 2015 erfolgreich Radfahrkurse für Muslima angeboten. Der Vereinsvorsitzende Joachim Schirmer ist stolz auf seine vereinseigene Fahrschule. Spannend darüber hinaus, was er in Sachen Kommunikation bemerkt: „Wenn ich beim ersten Treffen dabei bin, sagt kein Mensch was. Wenn ich nach vier Wochen zum Abschlusstermin komme, scherzen die Frauen auf Deutsch.“ Dass die meisten Stützpunktvereine ihre Angebote im Netz und auf Papier mehrsprachig anbieten, auf Deutsch, Englisch und teilweise Arabisch, ist schon zur Normalität geworden.

Wer Asylsuchende in der Hamburger Vereinslandschaft trifft, stellt sehr schnell fest, wie gern und bereitwillig sie ihre neu erworbenen Kenntnisse ausprobieren – gelegentliche Missverständnisse gehören natürlich dazu. „Wer ist dein Lieblingsfußballer?“, fragten wir in Nettelnburg den 17 Jahre alten Luel Gebremedhin aus Eritrea. Seine Antwort: „Fahrradfahren!“

Autor: Frank Heike


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    Hussein Ismail, Vereinsvorsitzender und Cheftrainer des BC Hanseat, trainiert im Boxclub Hanseat im Stadtteil St. Pauli in Hamburg mit den jungen Boxern (v.li.) Abiola (32) aus Nigeria, Saaer (25) aus Syrien, Finn (20) aus Hamburg, und Mudar (18), aus Syrien.