Die Bedeutung der eigenethnischen Vereine im deutschen Sport ist bislang nur in geringem Umfang untersucht worden. Nicht einmal die nationale Zugehörigkeit von Mitgliedern in deutschen Sportvereinen ist vollständig erfasst. Man geht jedoch davon aus, dass die ausländische Bevölkerung im Vergleich zu ihrem generellen Anteil in der Bevölkerung in Sportvereinen unterrepräsentiert ist. Nach einer auf einen Teil Nord-Rhein-Westfalens beschränkten Studie von Klein/Kothy/Cabadag (2000) waren 80 % der über 18jährigen im Verein Sport treibenden Migranten in einem eigenethnischen Verein, davon die meisten in Fußballvereinen. Warum ist dies so? Liegt dies am deutschen Sportsystem? Fördert eine solche Entwicklung trotzdem die Integration?
Geschichtliche Entstehung
Der ursprüngliche Zweck der ersten von Gastarbeitern gegründeten ethnischen Vereine war verständlicherweise nicht unbedingt die Integration, sondern vor allem eine Anlaufstelle für Neuankömmlinge zu bilden und die Pflege heimatlicher Bräuche. In der heute noch gültigen Satzung eines 1969 gegründeten türkischen Sportvereins wurden beispielsweise verschiedene Zwecke des Vereins festgeschrieben: Unter anderem die Pflege und Förderung des Nationalbewusstseins, die Vaterlandsliebe, gegenseitige Hilfsbereitschaft und das Vertreten gemeinsamer Interessen - Treffen mit deutschen und ausländischen Vereinigungen wurden gewünscht; Ferner das Bemühen, die Türkei im Ausland mit ihren Gegebenheiten noch näher vertraut zu machen. Aus Sicht der Gastarbeiter, die eine Rückkehr in ihr Herkunftsland planten, sind diese Zwecke gut nachvollziehbar.
Auch heute bietet sich für die jeweiligen Angehörigen einer Nation ein kulturell vertrauter Raum, in dem sie frei von Lern- und Anpassungsdruck erste Kontakte knüpfen können. Die Mitgliederzahlen ethnischer Vereine wachsen aber in den letzten Jahren nicht, weil die Zuwanderzahlen der großen Migrantengruppen zunehmen, sondern teilweise weil sich ihre Mitglieder bewusst für eine andere kulturelle Umgebung entscheiden. Wenn in den Vereinen kein Interesse an Kommunikation und Auseinandersetzung mit den Werten der Aufnahmegesellschaft vorhanden ist, wirkt sich eine solche Entwicklung negativ auf die Integration aus. Integration, als gleichberechtigte Beteiligung aller Gruppen an gesellschaftlichen Prozessen findet dann nicht mehr statt, da es offensichtlich nicht gewünscht wird.
Die Aufnahmegesellschaft hat die Pflicht, die Bildung ethnischer Vereine nicht undifferenziert zu verurteilen. Viele interkulturelle Kulturvereine, die sich aus ethnischen Organisationen gebildet haben, sind wichtige Instrumente für die Begegnung und Verständigung zwischen Bevölkerungsgruppen. Wenig Austausch führt dagegen zu Gettoisierung und Separation. Tendenzen sind erkennbar. Wenn man die Internetforen vieler ethnischer Fußballvereine im Internet betritt, unterhalten sich die Teilnehmer dort zum größten Teil in ihrer Landessprache. Man kann daraus schließen, dass sich auch fast nur Teilnehmer der jeweiligen Nation dort aufhalten. Damit wird allen Teilen der Gesellschaft, die nicht dieser Sprache mächtig sind, die Grundlage am Dialog und vermutlich auch oft der Teilnahme an den Aktivitäten entzogen.
Grundsätzlich wirken alle Bedingungen, mit denen eine bestimmte Gruppe an der Teilnahme des Vereinslebens ausgeschlossen wird, der Integration entgegen. Dies gilt natürlich auch für Vereine der Aufnahmegesellschaft. So fand Halm (2001) in einer Reihe von Befragungen heraus, dass die Zuwendung zu einem eigenethnischen Verein häufig mit einem Unwohlsein im aktuellen Verein zusammenhing. Rituale, wie der Genuss von Alkohol, lassen sich beispielsweise für einen Muslimen nicht mit seiner Religion vereinbaren. Ein abweichendes Sportverständnis, Diskriminierung oder nicht vorhandene Chancengleichheit von Seiten des Vereines wurden ebenfalls als Gründe angegeben. Einen weiteren Grund für die große Entstehung von Migrantenselbstorganisationen in den achtziger und neunziger Jahren sieht Hahn im Heranwachsen der zweiten und dritten Migrantengeneration in der Bundesrepublik. Migranten, die im eigentlichen Sinne keine Migranten sind, aber in Nationenbewusstsein und Erziehung stark von ihren Eltern, und damit deren Nationenbewusstsein geprägt sind. Die Möglichkeit der „Remigration“ kommt kaum noch in Betracht. Bei einer Rückkehr würde diese Bevölkerungsgruppe, durch das Aufwachsen in Deutschland, auch im Heimatland der Eltern den Status eines Migranten bekommen. Verständlicherweise engagiert sich diese Gruppe verstärkt auch in der „neuen Heimat“. Durch den familiären Hintergrund und die bisherige gesellschaftliche Stellung kann die langfristige Sicherstellung spezifischer kultureller Bedürfnisse auch zu einem erklärbaren Zuwachs in den ethnischen Vereinen führen.
An dieser Stelle stellt sich generell die Frage, welches Maß an eigenethnischen sozialen Strukturen eine Aufnahmegesellschaft akzeptieren will und kann? Und in wieweit die Aufnahmegesellschaft UND Migranten bereit sind, Teile der eigenen Identität aufzugeben und eine gemeinsame Gesellschaft und Identität zu bilden. Beide Seiten sind also gefordert: undefinierte, nicht ausgesprochene Ziele und Erwartungen führen zu Konflikten.
Sind Sportvereine und andere ehrenamtliche Organisationen mit dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe überfordert?
Dass sportliche Aktivität die Kontaktaufnahme zwischen Menschen generell in einem weniger gezwungenen Rahmen als bei vielen anderen gesellschaftlichen Gelegenheiten ermöglicht, ist unbestritten. Sporttreiben in Vereinen erfordert aber von den Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft einfachere Anpassungsleistungen, als von Personen anderer Kulturen. Es wäre also zu einfach, wenn man die Nichtbeteiligung von Ausländern als freiwilligen Verzicht deuten würde. Auch der Sport, dem gemeinhin eine fast magische Wirkung bei der Integration zugeschrieben wird, verschließt durch seine Organisation noch immer Türen. Dabei sind die Annäherung und ein konfliktfreies Miteinanderleben schwieriger, je verschiedener sich die jeweiligen Ethnien in Religion und Tradition sind. Sportentwicklung ist nicht unabhängig von der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Ein Königsweg, wenn es ihn denn gibt, ist noch nicht gefunden. Auch in den Sportverbänden musste erst ein Lernprozess einsetzen. Erklärte der DSB vor Jahren in einer Grundsatzerklärung, das die Gründung eigenethnischer Vereine („Ausländervereine”) nur dort gebilligt wird, wo „ein hoher Prozentsatz ausländischer Mitbürger einen deutschen Verein überfremdet” (DSB 1981, S. 5), gibt es inzwischen Programme, die sich dem Thema Integration differenzierter annehmen und die zu Zusammenarbeit und Vernetzung verschiedener Institutionen führen. Eine Entwicklung, die flächendeckend aber erst seit einigen Jahren passiert.
Ein gemeinsames, vernetztes Vorgehen von Sportvereinigungen aller Art und Nation scheint also ein Lösungsansatz zu sein. Kulturelle Werte und Normen, sind nicht angeboren, sondern durch die Gesellschaft entstanden und entstehen ständig neu. Sie müssen gelernt, erlebt und wenn nötig angepasst werden. Dabei müssen ethnische und deutsche Vereine beide ihren Willen zur Kooperation zeigen. Wenn sich in einer Nation mehrere Parallelgesellschaften bilden, ist das der Integration abträglich. Gemeinsame Sprache und gemeinsame Werte sind eine Bedingung. Nur wenn Probleme auch angesprochen werden, können Sie gelöst werden. Der bloße Kontakt, der zwangsläufig durch Spiele und Organisation von eigenethnischen Vereinen entsteht, ist nur dann förderlich, wenn interkulturelle Begegnungen Möglichkeiten für Lern- und Annäherungsprozesse bieten. Durch gewalthaltige Konflikte wie sie beim Aufeinandertreffen von ethnischen und deutschen Mannschaften vor allem im Fußball zu sehen sind, vergrößert sich die Distanz.
Die Einstellung und Ausrichtung der Vereine ist entscheidend. Genauso wie ein Golfverein durch das Kriterium hohe Aufnahmegebühren gewisse Bevölkerungsgruppen diskriminiert, tut dies auch ein Verein, der durch das Kriterium einer bestimmten Sprache und Kultur, Bevölkerungsgruppen bewusst ausschließt.
Ist dies sinnvoll, wenn die Kultur auf demokratische Grundsätze wie Individualität, Freiheit und Gleichheit steht? Nein. Das gilt auch für ethnische Vereine in Deutschland, wenn sie Teil einer abgeschotteten ethnischen Kolonie sind und zur Minderheitenbildung beitragen.
Was bedeutet das für den Sport und die Arbeit im Verein?
Multikulturell darf nicht die Bedeutung interkulturell verlieren. Gleichzeitig ist Vorsicht geboten bei einer zwanghaften Thematisierung von Ethnie und unnatürlichem Umgang von Ethnie, da auch dadurch Distanz erst entsteht.
Sport stiftet Identität und spaltet gleichzeitig genau aus diesem Grund wenn Konkurrenzsituationen entstehen. Eine Vielzahl der Kontakte im Sport zwischen den verschiedenen Gruppen verläuft reibungslos. Es muss ein Alarmzeichen für Sportvereine und Sportämter sein, wenn die Gründung eines ethnischen Vereines durch ungerechte Behandlung und fehlende Chancen in der Aufnahmegesellschaft begründet wird. Ressourcenprobleme (Hallenzeiten, Sportanlage) müssen gerecht gelöst werden.
Entscheidend ist die Bildung einer Vertrauensbasis. Dann können auch Konflikte einen integrativen Ausgang haben. Dafür ist ein möglichst vorurteilsfreier Umgang mit der Thematik von beiden Seiten nötig. Weder dürfen sich Minderheiten unbegründet auf Rassismus oder Benachteiligung berufen, noch darf man undifferenziert diesen Minderheiten mangelnden Integrationswillen vorwerfen. Kooperationen oder Fusionen von ausländischen und einheimischen Vereinen werden garantiert nicht reibungslos verlaufen, sind aber der richtige Weg zu einer gemeinsamen Basis. Die Aufnahmegesellschaft muss akzeptieren, dass auch ethnische Vereine, die sich nicht isolieren, wichtige Aufgaben und Ziele der Gesellschaft erfüllen können und eine dauerhafte Einrichtung im deutschen Sport sind. Alle Beteiligten haben die verantwortungsvolle Aufgabe, Konflikte im Dialog zu lösen und bei der Zusammenarbeit gegenseitige Akzeptanz und Anerkennung zu zeigen.
Autor: Jens Hoffmann
Redaktion: Richard Keiner, Andi Mündörfer, Deutsche Sporthochschule Köln
Weiterführende Literatur:
Bös, M.: Migration als Problem offener Gesellschaften. Opladen 1997
Bröskamp,B. : Körperliche Fremdheit. Zum Problem der interkulturellen
Begegnung im Sport. Sankt Augustin 1994
Halm, D.: Interkulturelles Konfliktmanagement. Endbericht zum Projekt. Zentrum für Türkeistudien/Universität Essen 2001
Heckmann, F., Migrantensozialisaton, Integration und die Rolle des Sports, efms Paper Nr. 15