„Vielen Vereinen in den gut situierten Stadtteilen fällt die Öffnung schwer“

Wie der HEBC in Eimsbüttel die ganze Gesellschaft abbilden will – und wie Satzungsänderungen dabei helfen können

Von Frank Heike (Text) und Frank Molter (Fotos)

Der Reinmüller-Platz an der Tornquiststraße wirkt wie ein Stadtteilzentrum. Der Kunstrasen zwischen Fruchtallee und Osterstraße, dazu Vereinsheim und Umkleide sowie der ebenfalls genutzte Grand hinter Karstadt – dieses Ensemble wird jeden Tag von derart vielen kleinen und großen Fußballer*innen bespielt, dass buchstäblich jeder Quadratmeter benötigt wird.

Das ist an diesem windigen Mittwoch im Juli nicht anders. Ins Auge sticht dabei ein offenes Fußballangebot für Mädchen, angeleitet von Avista. Die 17 Jahre alte Trainerin mit syrischen Wurzeln kam vor sechs Jahren nach Hamburg und bringt nun beim HEBC den Kleinen und Kleinsten Elementares am Ball bei – unterstützt von Ata Anat. Der 37-Jährige ist Jugendkoordinator und Integrationsbeauftragter beim HEBC.

Ata Anat: „Avista kam glücklicherweise im Herbst 2023 zu uns und sagte, sie möchte Trainerin werden. Damit sie als Vorbild dienen und als Persönlichkeit sichtbar werden kann, brauchten wir ein Mädchenteam. Wir haben dann mithilfe des HSB-Programms ,Integration durch Sport‘ ein offenes Angebot geschaffen. Keines der Kinder ist Mitglied. Wir lassen es so lange laufen, bis die Kinder sich bei uns so wohl fühlen, dass sie dem HEBC beitreten wollen.“

An wen richtet sich das Angebot? 
„Wir sagen nicht, wir arbeiten hier nur mit Geflüchteten. Das wäre stigmatisierend. Es ist bunt gemischt. Das muss zusammenfinden. Wichtig ist, es niedrigschwellig zu gestalten. Die Kinder können Kommen und Gehen, wie sie wollen. Avistas Arbeit hat schon Früchte getragen – seit dem Sommer hat sie ein eigenes Team aus dieser Gruppe aufgebaut. Das sind die Jahrgänge 2016 und 2017.“

Wie werbt ihr für dieses und eure anderen Angebote?
„Wir gehen aktiv an Schulen, informieren Elternräte. Wir gehen auch in Geflüchteten-Unterkünfte. Da bin ich mit meinem persönlichen Netzwerk breit gefächert. Durch vorherige Projekte in den Unterkünften haben wir dort oft einen persönlichen Bezug. Es ist aber nicht so, dass hier zehn Kinder aus Unterkünften rumlaufen. Da gibt es eine große Hemmschwelle! Mal ist es ein Kind, mal sind es sechs, mal ist es keins. Aber genau so muss ein offenes Angebot sein. Es muss einen Raum schaffen, dass man sich nicht gezwungen fühlt, irgendetwas verbindlich zu machen.“

Welche Rolle spielt das Viertel, in dem ein Verein liegt, für die Integration?
„In einem gut situierten, weißen Stadtteil fällt es Vereinen schwerer, sich zu öffnen und zu sagen, ich verlasse jetzt meine Bubble und öffne mich Neuem. Schnell kommt die Frage auf: Warum sollte ich das machen? Es läuft doch gut. Das ist eine Sache der Komfortzone. Wir wollen die Komfortzone gar nicht aufbrechen. Wir wollen Menschen in die Komfortzone reinholen.“

Gab es auf diesem Weg nur Zuspruch beim HEBC?
„Anfangs gab es Gegenwind. Ich musste erklären, warum ich es so sehe. Wir haben hier beim HEBC einen zweiten Vorsitzenden, Konstantin Zimmermann, der unheimlich groß denkt. Er war mein Türöffner, hat mir den Rücken gestärkt, als ich vor einem guten Jahr hier ankam mit meinen Plänen. Das hat mir den Weg erleichtert. Es muss dahin gehen: Wenn man sich der Gesellschaft öffnen will, muss man sie abbilden. Jetzt kann ich sagen: Dafür, dass ich erst so kurz hier bin, hat sich unglaublich viel verändert. 

Viele Vereine machen sich auf diesen Weg. Hast du einen Tipp für sie?
„Satzungsänderungen. Jedes Mitglied hat das Recht, Satzungsänderungen herbeizuführen. Mein Anliegen war und ist, dass der Vorstand diverser sein muss, das heißt nicht nur mit migrantischem Hintergrund, sondern genauso auch, dass Frauen im Vorstand sind oder nonbinäre Personen. Die meisten Vorstände sind weiße Männer. Und das schon seit Ewigkeiten. Ich habe darüber nachgedacht, wie wir das aufbrechen können. Die Lösung ist klar zu sagen, mindestens eine Person aus dem Vorstand muss eine weibliche oder nonbinäre Person sein. Sollte diese Person nicht zu finden sein, muss man so lange suchen, bis man sie gefunden hat. Wer gar nicht nach diesem Profil sucht, kann sich dahinter verstecken zu sagen: Wir finden niemanden. Denen antworte ich: Du bist auch nicht offen dafür, dass solche Personen zu euch kommen. So festigt man seinen Platz. Wir sind beim HEBC sensibler geworden – aber Menschen mit kognitiven und physischen Beeinträchtigungen haben wir noch nicht auf Leitungsebene. Das muss noch hinzukommen, wenn wir die Gesellschaft abbilden wollen. Dafür braucht es einen Antreiber wie mich.“

Woher kommt dein Veränderungswille?
„Ich habe mit 13 eine Mannschaft von Zwölfjährigen trainiert. Und dann erst selbst angefangen Fußball zu spielen! Ich bin durch halb Deutschland umgezogen. Vielleicht hat es mit meiner eigenen Geschichte zu tun – ich wurde in meiner Kindheit gemobbt, habe Stigmatisierung erlebt, was Physisches angeht, kulturell gar nicht so. Ich habe auch institutionellen Rassismus erlebt, aber das war nicht so krass, dass es mich geprägt hat. Ich hätte mir immer eine*n Mentor*in gewünscht, der/die mich durchweg gestärkt hätte. Deshalb liegt mein Herz an der Basis. Ich wollte nie an ein Nachwuchsleistungszentrum. Hier beim HEBC kann ich Kinder und Jugendliche stärken – dabei ist mir das Sportliche vollkommen gleichgültig. Es ist eher Sozialarbeit. Es geht um Spaß.“

Wohin sollte sich der HEBC entwickeln – und was können sich andere Klubs abschauen?
„Es geht um Qualitätsarbeit, nicht um die Masse. Die Vorstellung, dass sich Vereine nur halten können, wenn eine hohe Mitgliederzahl erreicht wird, halte ich für falsch. Wenn der HEBC in den nächsten fünf bis zehn Jahren sagen kann, wir haben jährlich unsere Workshops, die allen zugänglich sind – Sensibilisierungs-Workshops, Antidiskriminierungs-Workshops – wenn unsere Flyer gut rumgehen, wenn wir organisch inklusiv sind, ohne das Ganze immer hinter dem Wort ,Integration‘ zu verstecken: dann hätten wir wirklich viel geschafft.“

Hängt die Durchsetzung der Pläne allein an dir?
„So etwas ist nie unabhängig von Personen. Es ist oft ein Problem der Leute, die solch etwas anschieben, dass sie diese Anliegen zu sehr auf ihren Schultern tragen - und dann irgendwann zusammenbrechen. Das vermeide ich. Ich suche mir Menschen, die mir helfen. Ich möchte Potentiale sehen und nutzen. Je mehr Leute man hat, mit denen man das Ganze tragen kann, desto unabhängiger von Einzelnen wird es. Dahin möchte ich kommen.“

Das könnte ein weiter Weg sein. An den nächsten Tagen und Wochen, an denen wir das HEBC-Gelände queren, ist Ata Anat jedes Mal auf dem kleinen Kunstrasen-Geviert mitten in Eimsbüttel präsent.