Frau Kübler, Sie haben die Programmleitung für „Integration durch Sport“ inne. Was ist Integration für Sie?
Integration ist für mich ein Gespräch auf Augenhöhe, eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen, ungeachtet ihrer Herkunft, Hautfarbe oder religiösen Zugehörigkeit. Was übrigens für Menschen ohne Einwanderungsgeschichte genauso gilt, gemäß dem ursprünglichen Ansatz des Bundesprogramms, das genauso sozial benachteiligte Menschen in den Blick genommen hat.
Und wie kann der Sport dabei helfen?
Dem Sport ist zu eigen, sich im Idealfall für solche Unterschiede nicht zu interessieren. Er hat universelle und leicht verständliche Regeln des Miteinanders aufgestellt, die von Respekt und Fairplay geprägt sind – oder zumindest: sein sollten. Der Philosoph Wolfram Eilenberger hat mal gesagt: „Wer in ein sportliches Wettkampfgeschehen eintritt, erkennt den Gegenüber als einen Gegner an, mit dem er sich messen will: also als einen potenziell Gleichen.“ So hilft der Sport.
Das Bundesprogramm ist mittlerweile 33 Jahre alt, Sie selbst sind seit 1996 für die strategische Ausrichtung verantwortlich. Wie hat sich „Integration durch Sport (IdS)“ und der Umgang damit in den Jahren verändert, oder zugespitzt formuliert: Hat sich überhaupt etwas geändert?
Damals und heute kann man nicht miteinander vergleichen. Die Flüchtlingssituation ab 2015 hat das Scheinwerferlicht auf das Bundesprogramm, auf die Themen Einwanderung und Integration insgesamt gerichtet. Alles, was wir gemacht haben, war plötzlich öffentlich, die Erwartungshaltung hoch. Im Bundesprogramm ist so viel Erfahrung und Wissen versammelt, dass sich die Politik dankbar dieser Expertise bedient hat. Ich behaupte: Ohne den organisierten Sport hätte die gesellschaftliche Situation damals andere, noch krisenhaftere Formen angenommen.
Was hat das mit dem organisierten Sport gemacht?
Für Verbände und Vereine waren die vergangenen Jahre ein großer – zeitweise auch schmerzhafter – Lernprozess, sie haben sich thematisch geöffnet, haben die eigene Arbeit stärker reflektiert, sind kritischer im Umgang mit Diskriminierung und Rassismus geworden. Denken sie an den Bund Deutscher Radfahrer (BDR) und den kulturell diskriminierenden Vorfall um einen seiner Trainer bei den Olympischen Spielen in Tokio 2020. Mittlerweile hat sich der BDR auf den Weg gemacht, um das Themenfeld strukturell nachhaltig im Verband zu verankern und proaktiv zu bearbeiten. So wurden neben der Überarbeitung und Berücksichtigung in den Ausbildungs-/Qualifizierungskonzepten ganz viele weitere Ansätze entwickelt, die sowohl nach innen in die Verbandsstrukturen als auch nach außen wirken. Aber auch die Personalstellen werden mittlerweile diverser besetzt, wenngleich bei diesem Thema noch viel Luft nach oben ist. Letztlich muss man aber konstatieren: Wenn mehr Menschen bei Entscheidungen am Tisch sitzen, nehmen auch die Verteilungskämpfe an Härte zu.
Wie schaut die Öffentlichkeit auf Sie?
Die Zivilgesellschaft fordert viel mehr Transparenz ein, in Bezug auf Ansatz und Arbeit des Bundesprogramms. Zudem geht es darum, in die öffentlichen Diskussionen um Migration und Integration einzusteigen, Substanz einzubringen, Haltung zu zeigen. Das erwarten letztlich auch die Förderer*innen, die das Bundesprogramm finanziell unterstützen und dieses Engagement gegenüber andere Anspruchsgruppen rechtfertigen müssen. Wir haben deshalb in den vergangenen Jahren viel Kommunikation betrieben, sind in sportfremde Gesellschaftsbereiche gegangen, auf die Frankfurter Buchmesse, sind Kooperationen mit Museen, Tageszeitungen, Magazinen, Verlagen und Journalistenschulen eingegangen, haben Bücher und monothematische Magazine herausgegeben, in denen es weniger um den Sport als vielmehr um die Veränderungen in einer Gesellschaft geht, in der rund ein Viertel der Menschen eine persönliche oder familiäre Einwanderungsgeschichte besitzt. Das hat uns viel Aufmerksamkeit und Anerkennung von außen eingebracht.
Welche Ziele werden mit „Integration durch Sport“ verfolgt?
Zuerst die Integration in den Sport und die Integration durch den Sport in die Gesellschaft. IdS möchte zudem die interkulturelle Öffnung des Sports vorantreiben. Und wenn man das Große in den Blick nimmt, dann geht es darum, über die Integrationsleistungen des Sports sowohl alle Einzelnen in ihrer ehrenamtlichen Arbeit und Bedeutung für die Gesellschaft herauszuheben als auch die Bedeutung des Sports für die Verfasstheit unserer Gesellschaft zu verdeutlichen und damit für die Zukunft dieses wichtigen sozialen Pfeilers unseres Zusammenlebens zu sorgen.
Strategie ist das eine, die konkrete Umsetzung von Maßnahmen das andere. Warum braucht es für Integration überhaupt strategische Vorgaben?
Ich würde das Bundesprogramm als Lotsen des Sports bezeichnen. Es versorgt Vereine und Verbände mit dem Rüstzeug, das sie für ihre integrative Arbeit brauchen. Finanzielle Unterstützung ist nur ein Aspekt unter vielen. Es geht auch darum, die Grundlagen des eigenen Handelns mit den gesellschaftlichen Entwicklungen abzugleichen, eine Strategie zu entwickeln, genauso wie niederschwellige Angebote zu schaffen, zu beraten und interkulturelle Qualifizierungen anzubieten. Bei aller Individualität in der konkreten Umsetzung in den Bundesländern und vor Ort: Ein Bundesprogramm braucht zur Legitimation eine einheitliche strategische Ausrichtung. Sonst würde es schnell beliebig ausarten. Außerdem braucht es anerkannte Akteur*innen, um Anträge verfassen zu können, aber auch um den DOSB inhaltlich dabei zu unterstützen, gegenüber der Politik die Notwendigkeiten für erfolgreiche Integrationsarbeit zu formulieren.
Wir im badischen Tennissport haben leider nur vereinzelt Vereine, die geförderte, integrative Projekte durchführen. Auch in anderen Landesverbänden zeigt sich das. Woran liegt es, dass in manchen Sportarten, wie beispielsweise Tennis, Integration offensichtlich ein schwieriges Thema ist?
Das hat sicherlich viele Gründe. Grundsätzlich sind die jeweiligen Fachverbände in Bezug auf das Thema Integration sehr unterschiedlich aufgestellt. Vereine wirken in manchen Sportarten – dazu zählt zum Beispiel auch Handball – von außen bisweilen hermetisch, zusätzlich fehlt es oft an passgenauen Angeboten. Und natürlich bedarf es speziell gestalteter Mitgliedsbeiträge. Viele Hindernisse, die den Zugang zu diesen Gemeinschaften erschweren. Ein anderer Grund könnte sein: IdS bemüht sich, möglichst viele Sportarten abzudecken, sodass die Anzahl der Stützpunktvereine je Sportart ohnehin begrenzt ist.
Tennis gilt bei vielen immer noch als elitärer Sport. Allerdings öffnen sich Clubs zunehmend für Sportarten wie Beachtennis, Padeltennis oder Streettennis. Inwieweit könnten diese Trendsportarten den Tennisvereinen in Sachen VIELFALT weiterhelfen?
Warum die Wahrnehmung von Tennis als elitärem Sport immer noch besteht, kann ich Ihnen nicht seriös beantworten. Ich vermute, dass die Vereine noch zu wenig unternehmen, dass es zu wenige öffentlichkeitswirksame Kampagnen gibt, gepaart mit niederschwelligen Angeboten. Wichtig wäre, dass die erwähnten Trendsportarten eine schulische Anbindung – durch Unterrichtsstunden, AGs und Projekte – finden, um überhaupt bei der Zielgruppe anzukommen.
Um noch einmal in die Praxis einzusteigen: Wie lässt sich das Thema Integration in den Vereinen strukturiert angehen? Oft scheitert es ja nicht an der Organisation von Aktionstagen oder Schnuppertrainings, sondern daran, die Menschen langfristig im Verein zu binden.
Das Thema muss im Verein entsprechend vorbereitet werden, und es muss gegenüber den Mitgliedern gut und deutlich kommuniziert werden, dass das originäre Vereinsangebot unter den neuen Integrationsprojekten nicht leiden wird, dass es nicht teurer wird, sodass keine Konkurrenzsituation entsteht. Wichtig ist zudem, für den langen Atem, dass alle eine realistische Herangehensweise an das Thema Integration durch Sport haben, dass zum Beispiel Umzüge, Vereinsabgänge oder Kulturdifferenzen nicht zu Enttäuschungen und Frustrationen beim Engagement führen. Und ganz wichtig: Sie brauchen Menschen mit Einwanderungsgeschichte im Vereinsehrenamt. Als Ansprechpartner*innen, Vertrauensleute und als diejenigen, die dafür sorgen können, dass die Vielfalt in der Gesellschaft auch in die Vereine einzieht, dass sich Satzungen und Regeln ändern.
Haben Sie Tipps für die Ehrenamtlichen, was sollte konkret passieren, um Integration im Verein zu leben?
Offenheit für die Zielgruppe steht ganz oben. Vielfalt als Chance, nicht als Notwendigkeit oder Gefahr für den Verein begreifen. Bewährt haben sich auch Tandems von Alt- und Neumitgliedern. Mit Übungsleiterinnen und Übungsleitern in die Schulen gehen und niederschwellige Angebote entwickeln. Und die Erwartungen nicht zu hoch setzen. Das wären meine ersten Empfehlungen an den interessierten Verein.
Das Interview führte: Fr. Espenlaub, 08.12.2022
Zur Person
Heike Kübler
Funktion/Position: Leitung Bundesprogramm „Integration durch Sport“ im DOSB
Sportliche Aktivitäten / Ehrenämter: Sport, Sportabzeichen / ehrenamtliche Vorleserin
Antrieb/Motto: nach Wilhelm von Humboldt: „Im Grunde sind es immer die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben.“