Vom Sport zum Job

In seiner Heimat war Schwimmen für den Syrer Kays nur ein Hobby. In Berlin wird es für ihn zur Chance: Erst als ehrenamtlicher Schwimmlehrer im Schwimm-Club 1001, dann als Rettungsschwimmer im Strandbad Weißensee.

Vom Sport zum Job. Foto: privat
Vom Sport zum Job. Foto: privat

In seiner Heimat war Schwimmen für den Syrer Kays nur ein Hobby. In Berlin wird es für ihn zur Chance: Erst als ehrenamtlicher Schwimmlehrer im Schwimm-Club 1001, dann als Vollzeit-Rettungsschwimmer im Strandbad Weißensee.

Es beginnt im Sommer 2016. Der damals 27 Jahre alte Asylbewerber Mohammad Alhassan, genannt Kays, ist antriebslos: "In Damaskus habe ich vier Jahre lang Medizin studiert. Aber ich konnte meine Zeugnisse nicht mitnehmen." Weil er keinen Zugang zu Deutschkursen hat, reichen seine Sprachkenntnisse noch nicht aus, um das Studium in Deutschland fortzusetzen. Was soll er tun? "Es musste etwas sein, bei dem er genug Leidenschaft hatte, es durchzuziehen", so Heike Witte vom zuständigen Asylhelferkreis. "Ich liebe Schwimmen", sagt Kays. Zu jeder Gelegenheit fährt er zum See nahe der Unterkunft. Egal, was ist, nach dem Schwimmen hat er immer gute Laune.

Mit der Unterstützung des Helferkreises beginnt Kays im August an der Ostsee einen Intensivkurs zum Rettungsschwimmer. Doch nach wenigen Tagen verletzt er sich beim morgendlichen Schwimmtraining an der Sehne und muss den Kurs abbrechen. Zwei Monate dauert es, bis er wieder fit ist und zweiten Versuch starten kann, diesmal in Berlin. Der Unterricht findet einmal pro Woche statt. Neben einem ersten Hilfekurs übt er, wie man Menschen im Wasser birgt und abschleppt, Heike Witte lernt mit ihm für die Theorieprüfung.

Kays hat schon einmal jemanden aus dem Wasser gerettet. Als er im Sommer 2014 aus Syrien floh, setzten er und zwanzig andere mit einem Schlauchboot von der Türkei nach Griechenland über. "Aber nach zwanzig Minuten war das Boot kaputt und begann zu sinken", erinnert sich Kays. Sie montierten den Motor ab, um Gewicht zu sparen, aber das reichte nicht. Alle mussten ins Wasser, das Gefährt eignete sich gerade noch, um sich daran festzuhalten. Drei Jungen konnten sich nicht halten und trieben ab. Kays zog sie zurück zum Boot. Als er in der Ferne ein Schiff entdeckte, schwamm er los, um auf das sinkende Boot aufmerksam zu machen. Kurz darauf konnten alle lebend geborgen werden.

Der DOSB hat die 55. Lehrredaktion der Deutschen Journalistenschule in München (DJS) gebeten, sich Gedanken über den Zusammenhang von Sport und Integration zu machen – frei und unabhängig von Vorgaben, gemäß dem journalistischen Kodex. Herausgekommen ist ein multimediales Projekt, das mit einer Webreportage über einen charismatischen Münchener Crickettrainer startet und in den darauffolgenden Tagen mit Interviews, persönlichen Erlebnissen und Statements von prominenten und weniger prominenten Menschen online und in den Sozialen Medien (Twitter: @DOSB_Integra) fortgeführt wird. Zum Abschluss der Kooperation am 8. Juni wechseln die DJS-Schüler in den Printbereich und erzählen ihre Geschichten zu Integration durch Sport in der Beilage einer großen deutschen Tageszeitung weiter. Lassen Sie sich überraschen.

Zweieinhalb Jahre später, am 21. Januar 2017 macht Kays in Berlin sein Rettungsschwimmerabzeichen in Silber und beaufsichtigt für den Berliner Sportverein TV Waldmannslust als Rettungsschwimmer ehrenamtlich Kurse im Schwimmbad. Erst beim Aqua Aerobic für Senioren, später bei den Schwimmkursen für Flüchtlinge des Schwimm-Club 1001. In der Schwimmhalle ist der 28-Jährige die Ruhe selbst: geduldig zeigt er Kindern und Erwachsenen die richtige Bewegungsabfolge beim Brustschwimmen und steht bereit, wenn sie zum ersten Mal in ihrem Leben vom Sprungbrett springen. Gemeinsam mit fünf anderen Syrern, die ebenfalls in Deutschland die Rettungsschwimmerausbildung gemacht haben, übernimmt er nach und nach die Leitung des Kurses. Heike Witte ist als Koordinatorin jedes Mal mit dabei und beeindruckt, wie engagiert die jungen Männer sind. Sie probiert etwas: "Ich habe ein paar Freibäder angeschrieben, ob sie Rettungsschwimmer suchen." Die Resonanz ist unerwartet groß. Einer der ersten Interessenten ist Alexander Schüller vom Strandbad Weißensee.

"Es ist schwierig, in Berlin geeignete Rettungsschwimmer zu finden", sagt Schüller. “Aber Kays war gut vorbereitet und fit im Becken." Das Kays noch nicht so gut deutsch spricht, macht ihm keine Sorgen. Aus Erfahrung weiß er, dass viele Flüchtlinge die Sprache im Job sehr schnell lernen. Er bietet Kays eine Vollzeitstelle für die ganze Saison an - der erste richtige Job in Deutschland. Kays sagt zu, doch seine Freude ist verhalten. "Warten", das ist alles, was er hinterher zu Heike Witte sagt. Zuerst braucht er das Okay der Behörden. Noch am selben Tag reichen sie die erforderlichen Papiere ein. Dann heißt es: Hoffen.

Es sind nicht die Behörden, die Schwierigkeiten machen. Kurz nach dem Vorstellungsgespräch muss das Bad außerplanmäßig schließen und den Betrieb komplett einstellen. "Bei Bauarbeiten auf dem Nachbargelände wurde die Pumpanlage völlig zerstört", sagt Schüller. Als einige Tage später Kays Arbeitserlaubnis ankommt, ist unklar, ob das Bad Weißensee diesen Sommer überhaupt wieder öffnen kann. Obwohl Kays mit allem gerechnet hat, ist er enttäuscht. Die Erlaubnis des Amtes hat er, aber geht das Bangen weiter.

"Wir haben jeden Tag angerufen, ob es etwas Neues gibt", sagt Heike Witte. Drei lange Wochen dauert es, bis eine Lösung für das Bad gefunden wird. Kays braucht jetzt nur noch einen letzten Stempel, um dort als Rettungsschwimmer arbeiten zu können. Nachdem er den letzten Behördengang geschafft hat, fällt er erschöpft ins Bett. Zum ersten Mal seit Wochen kann er wieder schlafen.

Am 19. Mai ist endlich Kays erster Arbeitstag. Nervös sei er nicht, sagt er. "Alles ist gut, ich habe eine Aufgabe." Mit drei anderen Rettungsschwimmern wacht er vom Steg des Strandbades aus über die Badegäste. Die Arbeit und sein neues Umfeld gefallen ihm. “Meine Kollegen üben mit mir Deutsch", erzählt er. Auch nach Feierabend verbringen sie noch Zeit miteinander, gehen gemeinsam baden und schwimmen um die Wette. Kays gewinnt.

Text: Julia Anton (DJS)


  • Vom Sport zum Job. Foto: privat
    Vom Sport zum Job. Foto: privat
  • DOSB-DJS-Aktionsstempel
    DOSB-DJS-Aktionsstempel