Wie eine Befreiung

Yunes und Mujib kamen 2015 aus Afghanistan nach Hamburg. Beim FC St. Pauli-Rugby sind sie heimisch geworden.

v.l.n.r. (Foto: Marion v. d. Mehden): Mujib und Yunis haben beim FC St. Pauli Rugby ihre Leidenschaft und eine Freundschaft gefunden
v.l.n.r. (Foto: Marion v. d. Mehden): Mujib und Yunis haben beim FC St. Pauli Rugby ihre Leidenschaft und eine Freundschaft gefunden

Yunes sagt nicht viel. Das Reden übernimmt Mujib. Die beiden sind in Hamburg Freunde geworden. Sie lieben Rugby. Sie wollen Profis werden. Falls das nicht klappen sollte, gibt es Alternativpläne: Yunes möchte Prüfingenieur beim TÜV werden. Mujibs Ziel ist, Maschinenbau zu studieren.
Die beiden sind vor mehr als fünf Jahren aus Afghanistan geflohen; im Mai 2015 kamen sie in Hamburg zum ersten Mal mit Rugby in Berührung, und wenn sie vielleicht auch nicht Paul McGuigans Lieblinge sind (so etwas passt nicht zum Rugby mit seinen ausgeprägten Werten), so sind sie doch seine Lieblingsschüler. Ihr Trainer sagt: „Sie haben bewegte Geschichten hinter sich und sind charakterlich unheimlich stark. Ich glaube, Rugby war wie eine Befreiung für sie.“
Paul McGuigan, 51, ist der Nachwuchs-Koordinator der Rugby-Abteilung des FC St. Pauli. Hier, auf der Anlage im Stadtpark, hört alles auf sein Kommando. Bei Mujib und Yunes muss er nur selten laut werden: „Die beiden sind zurückhaltend, respektvoll, diszipliniert und einfach zu kontrollieren.“ Mujib habe natürliches Talent. Yunes sei ein Kämpfer. Das Zeug zu deutschen Nationalspielern hätten die beiden 16-Jährigen auf jeden Fall.
An diesem bewölkten Herbstabend haben sie sich draußen vor den Kabinen die schwarzen Trikots über die muskulösen Oberkörper gezogen; bei Mujib Jawadi ist das Abzeichen der „All Blacks“ auf dem Shirt – Neuseelands Nationalteam im 15er-Rugby. Yunes Ramazani muss sich ein bisschen Spott seines Trainers gefallen lassen: „Hast du Gel im Haar, weil eine Fotografin kommt?“
Die beiden sind höflich genug, ein paar Fragen zu beantworten, für Bilder zu posieren, aber richtig wohlzufühlen scheinen sie sich erst, als das 440 Gramm schwere Rugby-Ei ins Spiel kommt. Als wollten sie keine Zeit verlieren. „Wir müssen uns überall verbessern“, sagt Mujib, „beim Kicken, beim Passen, bei der Technik. Auch bei der Kraft. Wir versuchen nach jedem Training etwas zu machen.“ Yunes lächelt, nickt. Er überlässt seinem Freund gern das Sprechen.
Er kommt aus Helmand, hat als Geflüchteter in der Türkei gelebt, in Griechenland, dann in Langenhorn in einem Flüchtlingslager. Mujib stammt aus Kabul, er hat auch einige Jahre in Russland gelebt, weil sein Vater dort arbeitete. In Hamburg wohnte er in Winterhude in einem Camp. In verschiedenen Unterkünften informierte der FC St. Pauli im Frühjahr vor fünf Jahren über sein Rugbyangebot, machte Werbung für diesen körperbetonten Sport, von dem diejenigen, die mal angefangen haben, kaum mehr lassen können: Fairness, Teamgeist, Unterordnung, Akzeptanz des Schiedsrichters. Dinge, die Mujib und Yunes so wenig kannten wie die deutsche Sprache oder das Leben im Sportverein. „Ich hatte keine Ahnung von Rugby“, sagt Mujib. Das bestätigt Ann-Kathrin Haid. Sie beschäftigte sich 2015 als FSJlerin in der Rugbyabteilung des FC mit Flüchtlingsfragen und hatte sich schon in der Harburger Kleiderkammer engagiert. Es war ihr Projekt, Rugby in die Unterkünfte zu tragen und Interessierten Probetrainings zu ermöglichen. Sie erinnert sich: „Die beiden kamen als absolute Anfänger.“ Es klingt wie: Und guck‘ mal, was aus ihnen geworden ist! Besonders gefordert und gefördert habe sie ihr erster Trainer Jens Michau, sagt Mujib: „Wir sind dann immer besser geworfen.“ Mujib pfeift inzwischen auch als Jugend-Schiedsrichter.
Voll integriert in die Mannschaft, will Paul McGuigan ihnen nun „den letzten Schliff“ auf dem Weg zum Männer-Rugby geben. Etwas Anderes hat sich durch die gemeinsame Zeit beim FC St. Pauli schon entwickelt: Die beiden sind enge Freunde geworden. Sie reden über alles, Sport, Mädchen, die Schule – Mujib in der elften in Winterhude, Yunes in der neunten in Hamburg-Mitte. Und sie haben ein gemeinsames Ziel. Die deutsche Nationalmannschaft. Erst einmal die U18. „Das werden wir auch erreichen“, sagt Mujib. Er „lebt“ Rugby, schaut gern auf DAZN die Spiele in Englands höchster Liga, der Premiership. Was er dort sieht, erinnert ihn daran, was er noch lernen muss – nicht daran, was er noch nicht kann.
Ob ihre Mütter keine Angst um sie hätten, bei einem so harten Sport wie Rugby? „Das ist eigentlich nicht gefährlich“, sagt Mujib, obwohl er einen Cut unter dem Auge hat, zugezogen gleich 2015 bei einem Crash im Spiel. Die passende Antwort auf diese zugegeben nicht besonders intelligente Frage liefert am Ende des Abends dann ihr Coach. Paul McGuigan sagt: „Die haben keine Angst. Und ihre Mütter auch nicht. Sie haben schon ganz andere Dinge erlebt als Rugby zu spielen.“


Der FC St. Pauli Rugby hat als Stützpunktverein im Programm „Integration durch Sport“ von 2017 bis 2018 Schnuppertrainings und Willkommensfeste organisiert, um ihre Sportart den Neu-Hamburger*innen vorzustellen.

Text: Frank Heike


  • v.l.n.r. (Foto: Marion v. d. Mehden): Mujib und Yunis haben beim FC St. Pauli Rugby ihre Leidenschaft und eine Freundschaft gefunden
    v.l.n.r. (Foto: Marion v. d. Mehden): Mujib und Yunis haben beim FC St. Pauli Rugby ihre Leidenschaft und eine Freundschaft gefunden
  • Foto: Marion v. d. Mehden
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