„Wir müssen nicht ständig darüber sprechen, dass jemand einen Migrationshintergrund hat“

Der SC Hemmoor ist seit 2020 Stützpunktverein in Niedersachsen. Trotz Corona lässt sich der Breitensportverein aus dem Landkreis Cuxhaven nicht entmutigen. In den verschiedenen Abteilungen sind Menschen mit Migrationsgeschichte ein selbstverständlicher Teil des Vereinslebens. Dabei legen die Verantwortlichen besonders viel Wert darauf, Frauen und Mädchen zu fördern und ihnen eine gleichberechtigte sportliche Teilhabe zu ermöglichen. Wie Lutz Pickartz als Vorstandsmitglied und Trainer sowie die Übungsleiterin Manja Fritzsche damit die Integrationsarbeit vor Ort prägen und welche Stellschrauben noch bewegt werden sollten, erzählen sie im dritten Teil der Interviewreihe mit Stützpunktvereinen.

Stützpunktverein SC Hemmoor
Stützpunktverein SC Hemmoor

LSB Niedersachsen: Wie ist das Thema Integration beim SC Hemmoor verankert?

Lutz Pickartz: Bei unseren Sportangeboten gehört Integration einfach dazu. Ich bin selbst unter anderem Trainer in der Leichtathletik, wo uns das ein besonderes Anliegen ist. Wir haben zudem eine interkulturelle Frauensportgruppe im Verein. In unserer Box-Abteilung haben 90 Prozent der Sportler einen Migrationshintergrund. Im ganzen Verein sind Menschen mit Migrationshintergrund aktiv, wenn das auch nicht in allen Abteilungen so deutlich abgebildet ist.

LSB Niedersachsen: Welche Schwerpunkte setzt ihr dabei?

Lutz Pickartz: Wir engagieren uns in der Kinder- und Jugendarbeit, insbesondere für Mädchen. Wir versuchen, dass wir aus dem üblichen Rollenverständnis herauskommen. In der Leichtathletik trainieren wir gemeinsam, das ist ein roter Faden. Wir sagen den Mädchen: Denkt dran! Alles was die Jungs können, könnt ihr mindestens genauso gut.

LSB Niedersachsen: Wer muss dabei unterstützen?

Manja Fritzsche: Schön wäre es, wenn sich die Jugendhilfe mehr in den Sport einmischen würde. Schließlich handelt es sich dabei um einen außerschulischen Lernraum: Hier bewegen sich die Kinder und lernen Teamwork. Sie können Stigmatisierungen ablegen – egal woher sie kommen. Die Sportgesellschaft ist eine inklusive Gesellschaft. Ob behindert oder nicht, grün oder schwarz, klein oder groß: Inklusiv heißt, dass alle etwas gemeinsam auf die Beine stellen.

LSB Niedersachsen: Wo gibt es da Nachholbedarf?

Manja Fritzsche: Eine solche inklusive Gesellschaft ist natürlich schwierig darzustellen mit Menschen, die noch nie Vereinswesen erfahren haben. Da müssen wir ansetzen. Das Spektrum der Hilfsangebote ist oft sehr akademisch, aber wir brauchen Basics, wir brauchen Arbeit an der Grasnarbe! Wir müssen einen Bus haben, um die Kinder abzuholen, wenn die Eltern sie nicht zu uns bringen.

LSB Niedersachsen: Müssen die Vereine auch ihre Angebote anpassen?

Manja Fritzsche: Unbedingt. Beim SC Hemmoor fragen wir uns, wie können wir diejenigen inkludieren, die sich außerhalb der Sportgesellschaft bewegen. Wir müssen die Vereine verjüngen – und zwar auch in ihrem Angebot. Ich versuche zum Beispiel gerade einige örtliche Skater dazu zu bewegen, in unserem Verbund wirksam zu werden und Verantwortung zu übernehmen.

Lutz Pickartz: Es ist ein Teil unserer Integrationsarbeit, die Leute in den Verein zu bringen, ihnen Aufgaben und damit Verantwortung zu geben. Wir brauchen Menschen, die mitarbeiten und gestalten wollen.

LSB Niedersachsen: Und außerdem?

Lutz Pickartz: Wir müssen nicht ständig darüber sprechen, dass jemand einen Migrationshintergrund hat. Diese Menschen sind hier, bei uns in der Stadt, und wenn wir sie nicht für unseren Verein begeistern können, dann machen wir den eines Tages zu. Wir brauchen Integration, wir brauchen diese Menschen – nicht nur im Sport, überall. Für uns im Verein stellt sich die Frage nicht, ob wir das wollen oder nicht. Da haben wir keine Zeit mehr für.

LSB Niedersachsen: Viele Vereine kämpfen mit den Folgen der Corona-Pandemie. Wie hat sich die Situation in eurem Engagement bemerkbar gemacht?

Manja Fritzsche: Das Wichtigste ist, weiter zu kommunizieren, damit die Bindung bestehen bleibt. Einfach zu fragen: Seid ihr noch alle da? Wie geht es euch? Auch mal ein Einzeltraining geben. Aber die Integrationsarbeit hört nicht am Sportplatz auf. Wir mussten aufklären über Impfangebote und dass die Menschen ihre Kinder vom Spielplatz fernhalten. Familieninterne Überforderungen waren oft ein großes Problem. Der Verein war zuvor eine wöchentliche Konstante, die jetzt wegbrach. Die Kinder waren permanent zuhause und manchen Eltern fehlten die Erziehungsstrategien. Diese Familien sind oft, auch aufgrund von Sprachbarrieren, permanent auf Begleitung angewiesen. Mit der interkulturellen Frauensportgruppe versuchen wir zum Beispiel familiär einzubrechen, auch um die Frauen aus der sozialen Isolation zu holen.

Lutz Pickartz: Und dass das gelingt, haben wir jetzt gesehen, als wir das Training wieder aufnehmen konnten. Auf einmal hatten wir 20 Mädchen auf dem Platz stehen, die über die interkulturelle Frauensportgruppe den Weg zu uns gefunden haben. Das ist toll!

Link zur Vereinshomepage des SC Hemmoor e.V.


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