„Wir sind immer dabei“

Manfred Schmidt sitzt seit 2010 dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vor. Ein Gespräch über Philosophie in der Verwaltung und den Vorteil von „Migrationserfahrung“.

Experte für Integrationsfragen: Dr. Manfred Schmidt, Präsident des BAMF (Foto: BAMF)
Experte für Integrationsfragen: Dr. Manfred Schmidt, Präsident des BAMF (Foto: BAMF)

BAMF steht für „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ - „Integration“ taucht im Titel nicht auf. Welches Gewicht hat dieser Aspekt in Ihrer Arbeit?

Integration hat für uns herausragende Bedeutung. Es ist unser zweites Standbein, neben dem Thema Migration respektive Asyl, das wir nach wie vor behandeln. Wobei man Migration in der Praxis nicht wirklich trennen kann von Integration. Ein Beispiel: Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels versuchen wir gemeinsam mit unseren Partnern – Bundesagentur für Arbeit, Auswärtiges Amt und so weiter - den Fachkräftezuzug aus dem Ausland anzuregen. Wenn uns das gelingt, ist Integration der logische nächste Schritt.

Ein Mann aus dem Innern

Der promovierte Rechtswissenschaftler Manfred Schmidt ist seit Dezember 2010 Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Er führt ein Team von etwa 2000 Mitarbeitern, von denen etwa die Hälfte in der Nürnberger Zentrale beschäftigt ist – das BAMF hat 22 Außenstellen und vier externe Standorte. Schmidt, Jahrgang 1959, begann seine Karriere 1990 im Bundesinnenministerium. Dort gehörte er verschiedenen Abteilungen an, ehe er 1997 Leiter des Haushaltsreferats wurde. Später wurden ihm weitere Leitungsfunktionen übertragen, zunächst in der Zentralabteilung, ab Dezember 2007 in der Abteilung für Krisenmanagement und Bevölkerungsschutz.


Demografischer Wandel und Fachkräftemangel werden uns erhalten bleiben. Entwickeln Sie sich zur Integrationsbehörde?

Das Asyl wird immer eine unserer Kernaufgaben bleiben. Aber wir sind nun mal ein Einwanderungsland – darüber gibt es keine politische Diskussion mehr. Wir als zuständige Bundesbehörde müssen den Prozess der Integration koordinieren, und diese Aufgabe wird noch größer werden. Sie wird auch nicht 2020 oder 2025 beendet sein, das ist ein Dauerthema: Wie organisieren wir mit denen, die hier dauerhaft leben, unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt? 

Wie trägt das BAMF zu diesem Zusammenhalt bei?

Wir haben drei Säulen: Erstens fördern wir bundesweit den Integrationskurs, den externe Kursträger für uns durchführen (600 bis 900 Stunden Sprachunterricht plus folgendem „Orientierungskurs“, d. Red.); zweitens bieten wir eine Erstberatung für Neuzuwanderer an; drittens unterstützen wir die Projektarbeit in den Kommunen. Darüber hinaus sind wir eine Plattform für Austausch, die Ideen weiterentwickelt und nach außen trägt, etwa durch Kommunikation von Best-Practice-Beispielen. 

Migration und Integration sind Themen, die Medien, Wissenschaft, die ganze Gesellschaft ständig debattieren. Wie nimmt das BAMF auf diese Debatte Einfluss?

Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Wir haben eine Arbeitsgruppe zur Willkommenskultur eingerichtet. Darin diskutieren Kollegen aus den Kommunen, den Ländern, von Bundesministerien und Ausländerbehörden darüber, was ein modernes, aufgeschlossenes, um Menschen werbendes Einwanderungsland ausmacht. Im November werden wir  Handlungsempfehlungen dieser Arbeitsgruppe herausgeben, wie solch eine Philosophie in unsere Verwaltung, in unser Land hineingetragen werden kann.

Verwaltung ist wichtig, aber ins ganze Land hat die Philosophie da einen recht weiten Weg.

Lassen Sie mich sagen: Wenn Sie etwas über Integration hören, ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eigentlich immer beteiligt – zumindest indirekt. Eine andere Arbeitsgruppe von uns befasst sich zum Beispiel mit politischer Bildung. Wir wollen noch geschicktere Aufklärungsarbeit betreiben – manches von dem, was zur Integrationsdebatte durch die Säle schwirrt, ist, mit Verlaub, schlicht falsch. Eine internationale Studie besagt zwar, dass 52 Prozent der Deutschen Zuwanderung als Chance begreifen; damit sind wir vor Kanada, den USA und allen europäischen Ländern. Aber das heißt auch, dass etwa 48 Prozent Zuwanderung nicht als Chance sehen. Um diese 48 Prozent müssen wir uns kümmern.

Wie?

Über gezieltere Information und sachlichere Diskussionen in den Medien. Was wir da genau tun können, soll die Arbeitsgruppe erörtern. Ich darf im Übrigen in Erinnerung rufen: All diese Themen diskutieren wir erst seit zehn, zwölf Jahren! Der politisch-ideologische Umschwung fand 2000 statt, als wir das Staatsangehörigkeitsrecht geändert haben. Kurz darauf kam das neue Aufenthaltsgesetz, unsere Integrationskurse als zentrales, staatliches Angebot gibt es erst seit 2005. In diesem relativ kurzen Zeitraum haben wir viel erreicht - natürlich haben wir auch noch viel zu bewältigen, die Probleme, die es gibt, dürfen wir nicht verschweigen. Das große Armutsrisiko von Menschen mit Migrationserfahrung ist ein Problem, ebenso die hohe Zahl von Schul- und Hochschulabbrechern.

Die Bedeutung der Plattform Sport, voran des Programms „Integration durch Sport“ scheint gestiegen zu sein für das BAMF. Stimmt der Eindruck?

Das ergibt sich schon aus den Zahlen: Wir haben in Deutschland über 90.000 Vereine mit ungefähr 27 Millionen Mitgliedern! Da ist der Sport natürlich ein ganz wesentlicher Faktor der Integration. Von der anderen Seite betrachtet, der der Zuwanderer, kommt es im Sportverein eben nicht darauf an, wo ich herkomme.

Ist das im Sportverein so – oder im Sport?

Im Sport ist es so, im Sportverein versuchen wir mit „Integration durch Sport“ eben daraufhin zu wirken. Sicherlich müssen wir hier und da noch an einer interkulturellen Öffnung arbeiten. Wie spreche ich Zuwanderer an, damit sie eine ehrenamtliche Aufgabe im Verein übernehmen? Wie erleichtere ich Menschen aus anderen Kulturkreisen den Einstieg in den Verein? Habe ich jemanden, der sie in den ersten Wochen begleitet, der ihnen erklärt, was ein Kassenwart ist? Über solche Fragen denken noch nicht alle nach – das Thema ist ihnen einfach nicht bewusst.

„Integration durch Sport“ leistet Arbeit an der Basis. Vor allem im Profifußball geht es oft um Symbolik, um medienträchtige Aktionen. Wie nehmen Sie das wahr?

Alles, was das Thema Integration im öffentlichen Bewusstsein verankert, ist erst einmal gut. Es muss schon Leuchttürme geben, wie sie die Fußball-Nationalmannschaft bietet – oder auch die Deutsche Olympiamannschaft. Aber Integration braucht einen langen Atem.  Ohne Arbeit in den Straßen, vor Ort wird sie nicht gelingen. Wenn wir uns die Migrationsdiskussion anschauen, dann meint die Kritik ja nie den, den man persönlich kennt - der Nachbar ist anders als die Masse der Anderen, der ist in Ordnung. Die Leute müssen einander kennenlernen. Das geht nur an der Basis, in den Vereinen.

Wie fortgeschritten ist Integration beim BAMF selbst? Wie viele Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten dort?

Wir haben einen Anteil von Mitarbeitern mit Migrationserfahrung von 16 Prozent, unter den Auszubildenden sind es 31 Prozent. Es ist bekannt, dass Unternehmen und Organisationen umso erfolgreicher arbeiten, je größere Vielfalt sie personell abbilden.

Sie sagen „Migrationserfahrung“ statt „Migrationshintergrund“.

Ich finde, „Migrationserfahrung“ hört sich positiver an, weniger bürokratisch.

Wie nehmen Sie an der Begriffsdebatte Teil?

Begrifflichkeit spielt immer eine Rolle. Einerseits müssen wir gesellschaftliche Tatsachen in Worte fassen. Andererseits sagen meine Auszubildenden mit Migrationserfahrung: „Ich weiß gar nicht, wovon Ihr da redet. Ich bin hier aufgewachsen und zur Schule gegangen, ich bin deutsch.“. Das stimmt und ist wichtig. Trotzdem entgegne ich dann, dass ich bestimmte Probleme irgendwie beschreiben muss: Wenn Sie Abitur und Examen haben, aber nicht den „richtigen“ Nachnamen, kann es Ihnen immer noch passieren, dass Sie allein aufgrund dieses Namens bei Bewerbungen aussortiert werden. Dadurch, dass ich den Begriff „Migrationshintergrund“ vermeide, ist dieses Problem nicht gelöst.

Aber Begriffe betonen den Unterschied und können Wahrnehmung verfestigen.

Ja. Aber sagen wir mal so: Mir ist noch nicht eingefallen, wie man diesem Dilemma ausweichen kann. Wir versuchen die ganze Diskussion jedenfalls mitzusteuern, über unsere Öffentlichkeitsarbeit. Zum Beispiel werden wir gemeinsam mit der Organisation „Neue Deutsche Medienmacher“ einen Workshop zu Begrifflichkeiten veranstalten. Vielleicht reden bald alle nur noch von „Migrationserfahrung“ statt „Migrationshintergrund“.

(Quelle: DOSB / Das Interview führte Nicolas Richter)


  • Experte für Integrationsfragen: Dr. Manfred Schmidt, Präsident des BAMF (Foto: BAMF)
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