Thema des Monats Juni 2009: Der Sport und der Strukturwandel des Ehrenamts – Prof. Dr. Sebastian Braun im Interview

"Bürgerschaftliches Engagement ist nicht in materiellen Werten zu bemessen" - Prof. Sebastian Braun
"Bürgerschaftliches Engagement ist nicht in materiellen Werten zu bemessen" - Prof. Sebastian Braun

23 Millionen der über 14-Jährigen Personen in Deutschland gehen einem freiwilligen bürgerschaftlichen Engagement nach. Das sind rund 36 Prozent der Bevölkerung. Der organisierte Sport ist das Hauptfeld ehrenamtlicher Tätigkeit. Prof. Dr.  Sebastian Braun, Leiter des Forschungszentrums für Bürgerschaftliches Engagement an der Humboldt-Universität zu Berlin, spricht im Interview über die Bedeutung, den Wandel und die Zukunft des Ehrenamtes.

Welche Rolle spielt bürgerschaftliches Engagement im organisierten Sport?

„Sport und Bewegung haben einen hohen Aufforderungscharakter mitzumachen. Rund 11 Prozent der über 14-Jährigen in der Bevölkerung engagieren sich im Bereich Sport und Bewegung. Damit ist der Sport der mit Abstand größte gesellschaftliche Bereich, in dem bürgerschaftliches Engagement stattfindet.“

Rein hypothetisch: Was würde passieren, wenn alle Ehrenamtlichen von heute auf morgen ihre Aktivitäten einstellen würden?

„Das liegt auf der Hand. Man geht von mehreren Milliarden Euro aus, die jährlich durch unentgeltliches Engagement an Arbeitsstunden geleistet werden, wenn sie denn mit einem Mindesttariflohn bezahlt würden. Sämtliche Freiwilligenarbeit, die dem Gemeinwesen zugute kommt, würde wegfallen. Eine Fülle von öffentlichen Aufgaben würde nicht mehr erbracht werden.“

Was bekommt ein ehrenamtlich tätiger Mensch für sein Engagement zurück?

„In der Modernisierungszeit der Bundesrepublik der letzten 30 bis 40 Jahre ist eine stärkere Aufwertung von eigenen Interessen und Bedürfnissen im Ehrenamt zu beobachten. Die Gegenleistung für bürgerschaftliches Engagement ist nicht – wie in der Erwerbsarbeit – in materiellen Werten zu bemessen. Vielmehr spielen Aspekte wie Selbstverwirklichung, das Sammeln von Erfahrungen und die Möglichkeit, etwas lernen zu können, eine große Rolle.“

Ein Programm wie „Integration durch Sport“ ist ohne ehrenamtliches Engagement nicht umsetzbar. Ist das ein Grund zur Sorge oder eher ein Grund zur Freude, da es so viele Menschen gibt, die solche Projekte möglich machen?

„Sorgen, dass das Engagement wegbricht, erscheinen mir unangebracht. Das wäre geradezu eine Paradoxie der Demokratie. Wenn Menschen sich nicht mehr beteiligen, dann stellt sich die Frage, inwieweit demokratische Beteilung überhaupt noch vorhanden ist und wie stabil das demokratische System selbst ist.“

Sie sagen, der vereinsorganisierte Sport sei mit einem „Strukturwandel des Ehrenamts“ konfrontiert. Was bedeutet das?

„Der Strukturwandel vollzieht sich dahingehend, dass Menschen mehr und mehr projektbezogen, nur in einem bestimmten Lebensabschnitt, eine freiwillige Aufgabe wahrnehmen möchten, die sie mit Sinn erfüllt. Ein simples Beispiel: Ein sportinteressierter Informatikstudent möchte zu Beginn seines Studiums seine ersten Kenntnisse im IT-Bereich anwenden, vielleicht auch eine Homepage für einen Sportverein erstellen. Nach zwei, drei Semestern möchte er aber guten Gewissens wieder aussteigen können, weil diese bestimmte freiwillige Tätigkeit dann nicht mehr mit seinen Klausuren, Prüfungen oder seiner Lebensplanung zusammenpasst. Viele Sportorganisationen gehen davon aus, dass bürgerschaftliches Engagement über sehr viele Jahre hinweg geleistet wird. Der Strukturwandel erlaubt es immer weniger, darauf zu setzen.“

Was kann und muss der organisierte Sport leisten, um bürgerschaftliches Engagement zu erhalten?

„Viele Ehrenamtliche betonen, dass sie sich weiterentwickeln möchten, um Kompetenzen zu erwerben. Die Frage, die sich die Vereine stellen können, ist, welche Form von Qualifizierung oder Weiterbildung die Ehrenamtlichen machen möchten. Ist es wirklich nur so, dass die freiwilligen Helfer eine B-Trainerlizenz erwerben, damit sie ordnungsgemäß die Mannschaft weiter trainieren können oder ist es vielmehr so, dass man ihnen spezielle Angebote machen muss, damit sie sich persönlich weiterentwickeln können? Der organisierte Sport sollte kenntlich machen, dass freiwilliges Engagement nicht nur eine Sache ist, wo jemand dem Verein dient, um dessen Ziele zu erfüllen, sondern dass der Verein sich auch Gedanken darüber macht, was der Einzelne für sein Engagement zurückhaben möchte.“

Haben bürgerschaftlich engagierte Menschen aufgrund dessen, dass sie nicht bezahlt werden, eine größere Glaubwürdigkeit? Kann das zum Beispiel in der Integrationsarbeit von Vorteil sein?

„Bürgerschaftliches Engagement wird häufig von einer besonderen Haltung getragen, von der Überzeugung nämlich, etwas Gutes und Richtiges für Andere zu tun. Das gilt für die Erwerbsarbeit nicht immer. Gerade im Bereich der Integration, wo viel Einfühlungsvermögen, Feinfühligkeit und auch die Investition von zusätzlicher privater Zeit gefragt ist, sind solche Aspekte der inneren Einstellung zu der Tätigkeit von grundlegender Bedeutung. An dieser Stelle greift so etwas wie Glaubwürdigkeit des bürgerschaftlichen Engagements: nämlich im frei gewählten Interesse, zugunsten anderer Menschen und Institutionen handeln zu wollen, Zeit und Wissen zu spenden.“

 


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