Anstoß zur Integration

Zwei Initiativen, ein Ziel: Mit „Willkommen im Sport“ und „Orientierung durch Sport“ helfen Sport und Politik, Geflüchteten mit Bewegungsangeboten ihren Alltag zu bereichern.

Die Kinder der Flüchtlingsunterkunft freuen sich über die Sportangebote. Foto: DOSB/Witters
Die Kinder der Flüchtlingsunterkunft freuen sich über die Sportangebote. Foto: DOSB/Witters

Eindrücke vom Projektstart in der Flüchtlingsunterkunft in Neugraben-Fischbek:

Es ist einer dieser Tage, die kalendarisch schon zum Frühling zählen, in denen der Winter aber spürbar fortlebt. Die flache norddeutsche Landschaft duckt sich unter einem tiefen, grauen Märzhimmel, aus dem später Regen fallen wird. Besuch im äußersten Südwesten Hamburgs, in Neugraben-Fischbek. Unweit des gleichnamigen S-Bahnhofs und eines Neubaugebietes, das sich aus den umliegenden Äckern und Wiesen schält, ist im September vergangenen Jahres eine der größten Erstaufnahmeeinrichtungen der Hansestadt entstanden.

Rund 600 Flüchtlinge leben in der Unterkunft, einem ehemaligen, umgebauten Baumarkt. An der Front des Gebäudes reihen sich die Wasch- und Toilettencontainer aneinander, hinter dem Haus öffnet sich ein Hof, auf dem Kinder und Jugendliche mit Bällen, Seilen und Ringen spielen. Nebenan, auf dem Nachbargrundstück, stehen schon die ersten Folgeunterkünfte. Die Einrichtung am Geutensweg, vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) geführt, wirkt gut organisiert. Und wer die Einrichtungsleiterin Dieta Brandt kennenlernt, bemerkt schnell, dass es auch an ihr liegen muss. Zur Seite steht dem DRK der TV Fischbek, der lokale Mehrspartenverein. Dessen Engagement für die Flüchtlinge ist der Grund, weshalb der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und die Deutsche Sportjugend (dsj) am 29. März an den Rand der Hansestadt eingeladen haben.

Der Anlass

Der TV Fischbek bietet den Flüchtlingen im Geutensweg mehrmals die Woche sprachunabhängige Bewegungsangebote, Abwechslung in einem eintönigen Alltag und Lichtblick nach einer oftmals gefährlichen und entbehrungsreichen Flucht. „Die Menschen sind schwer traumatisiert, haben Drang nach Bewegung“, sagt Dieta Brandt. Gefördert wird der TV Fischbek durch das Projekt „Willkommen im Sport“ (WiS), das an diesem Tag seinen offiziellen Start feiert – ebenso wie das der dsj: „Orientierung durch Sport“ (OdS). Beide Initiativen setzen Politik und Verbände im Schulterschluss um, beide laufen zunächst bis Ende 2016 und werden von Aydan Özoğuz, der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration mit 700.000 Euro (WiS) beziehungsweise 200.000 Euro (OdS) gefördert. Auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) beteiligt sich finanziell, zudem stützen sich WiS und OdS auf Eigen- und Drittmittel der beteiligten Verbände. Beide Projekte sind markante Impulse für die Integration von Flüchtlingen.

Die Akteure

Das Pressegespräch findet in einem übersichtlichen Raum im ersten Stock des Baumarktes statt. Es ist voll, es ist heiß. Das Flüchtlingsthema ist aktuell, auch wenn wegen der geschlossenen Balkanroute in den vergangenen Wochen deutlich weniger Menschen nach Deutschland gekommen sind. „RTL“, „NDR“, „BILD“, „Hamburger Abendblatt“, Journalisten der relevanten Hamburger Medien scharen sich um die Gesprächspartner. Außer Aydan Özoğuz zählen dazu: Walter Schneeloch, DOSB-Vizepräsident für Breitensport und Präsident des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen; sein Pendant beim Hamburger Sportbund: Jürgen Mantell; Daniel Knoblich, Geschäftsführer der Hamburger Sportjugend sowie Volker Neukamm, 1. Vorsitzender des TV Fischbek, begleitet von der Integrationsbeauftragten seines Vereins: Angelika Czaplinski.

Die Integrationsbeauftragte des TV Fischbek liefert eindrucksvolle Beispiele für das gleichermaßen umfangreiche wie differenzierte Hilfsangebot ihres Vereins. Ein Engagement, das DRK-Frau Dieta Brandt so einordnet: „Sport schafft über die Sprachbarrieren hinaus eine Verbindung, einen Kontakt und spiegelt wechselseitige Wertschätzung wider. So begegnen wir den Menschen auf Augenhöhe. Dabei haben wir wertvolle Unterstützung durch den TV Fischbek.“ Klar wird: Das Thema Integration ist bei den beiden kompetenten und durchsetzungsstarken Frauen Czaplinski und Brandt gut aufgehoben.

Die Projekte

Die Initiativen „Willkommen im Sport“ und „Orientierung durch Sport“ wirken im Kleinen, sollen für eine Atmosphäre der wechselseitigen Wertschätzung sorgen, Bewegungsangebote schaffen und Vereinsmitglieder für die interkulturelle, ehrenamtliche Arbeit fortbilden. Denn, sagt Angelika Czaplinski: „Wir müssen auch unsere Leute stärken.“ Zugleich müssten WiS und OdS das große Ganze im Blick haben, beschreibt Walter Schneeloch, Vizepräsident Breitensport und Sportentwicklung des DOSB, den Anspruch: „Früher war es unvorstellbar, dass der Sport mit solchen Aktionen direkt auf die Flüchtlinge zugeht. Aber Ziel muss auch sein, die Menschen in bestehende Angebote der Vereine zu  bringen. Unsere große Aufgabe, die Willkommenskultur in eine nachhaltige Integration zu überführen, wird uns viele Jahre begleiten. Die Flüchtlinge sollen nicht allein in den Sport, sondern durch den Sport in die Gesellschaft integriert werden.“

Ist „Willkommen im Sport“ auf alle Flüchtlinge gemünzt, so richtet sich das von der dsj geführte Projekt „Orientierung durch Sport“ vor allem an unbegleitete Kinder und Jugendliche. Aydan Özoğuz sagt: „Ich freue mich, Partner wie den DOSB und die Landesportbünde an meiner Seite zu haben. Der organisierte Sport in Deutschland ist ein wichtiges Netzwerk.“ Bester Beweis: Allein in Hamburg engagieren sich im Rahmen der Initiativen schon 40 Vereine in der Flüchtlingshilfe. Insgesamt nehmen 13 Landessportbünde (LSB) an WiS teil, während durch OdS bundesweit 36 Projekte gefördert werden, durchgeführt von Landessportjugenden und Fachverbänden (zum Beispiel Deutsche Tischtennisjugend und Deutscher Hockeybund) sowie verschiedenen Sportjugenden.

Der Verein

Keine 24 Stunden nachdem die Einrichtung im September 2015 eröffnet worden war, standen Angelika Czaplinski und ihre Vereinskollegen mit Bällen, Reifen und anderem Sportgerät im Hof des Baumarktes, zur Freude der Bewohner. Dass sie so nahtlos einspringen konnten, sagt sie, sei auch dem langen Engagement im Programm „Integration durch Sport“ (IdS) zu verdanken. „Dadurch hatten wir die nötigen Vereinsstrukturen und den professionellen Umgang mit den interkulturellen Herausforderungen.“ Ist sie stolz auf die Würdigungen? Czaplinski antwortet pragmatisch: „Auszeichnungen sind uns wichtig, aber nicht wegen der Ehre, sondern um die Preisgelder für die Flüchtlingsarbeit verwenden zu können. Es darf kein Euro der Vereinsbeiträge in diese sozialen Projekte fließen. Die Mitglieder müssen sich sicher sein, dass nicht das Angebot des Vereins unter diesen Ausgaben leidet.“

Das scheint gut zu klappen, der gesamte Verein trage das Flüchtlingsengagement mit, sagt Czaplinski. Mehr als 50 Mitglieder sind ehrenamtlich tätig, und längst hat das Engagement das Stadium der Soforthilfe überschritten. Zwar haben die Fischbeker weiterhin zweimal die Woche niedrigschwellige Bewegungsangebote im Programm, doch darüber hinaus nehmen Flüchtlinge bereits am regulären Vereinstraining teil, man trifft sich zu gemeinsamen Kochabenden oder veranstaltet mehrtätige Freizeiten. Gemischte Läufer- und Helfer-Gruppen nehmen am Hamburger Marathon teil. Auch ein anderer Aspekt ist wichtig: Weil der Verein sich aus den umliegenden Stadtteilen rekrutiert, vermitteln die Mitglieder zwischen den Bedürfnissen von Anwohnern und Flüchtlingen, indem sie Vorurteilen und Missverständnissen im persönlichen Gespräch begegnen können.

Der Korbjäger

Dann erscheint Mohammed Fawze Al Jomour zum Pressegespräch. Der ehemalige irakische Basketball-Nationalspieler, Jahrgang 1994, ist ein freundlicher, disziplinbedingt großer Mann, der in einer mitreißenden Mischung aus Deutsch und Englisch davon erzählt, wie er durch seine Sportart erste Punkte für seine eigene Integration erzielen konnte. Er trainiert mittlerweile bei den „Hamburg Towers“, der Hamburger Zweitliga-Basketballmannschaft, die Marvin Willoughby im Rahmen des Sozialprojekts „Sport ohne Grenzen“ (SoG) im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg erfolgreich etablieren konnte. Für seine Initiative hat der Ex-Nationalspieler Willoughby erst im vergangenen Jahr das Bundesverdienstkreuz erhalten, Anfang dieses Jahres gewann das Projekt SoG den Publikumspreis der „Sterne des Sports“ (Sonderausgabe „Sportdeutschland – Das Magazin“ 01/2016, S. 42)https://ids.dosb.de/typo3/#_msocom_1. „Sport ohne Grenzen“ ist wie der TV Fischbek Stützpunktverein des Programms „Integration durch Sport“. Die Programme WiS und IdS ergänzen sich also an dieser Stelle und fügen sich zu einem großen Ganzen, in diesem Fall: einer erfolgreichen Integrationsgeschichte. So wie vielleicht bei Mohammad Fawze Al Jomour. Angeschoben an diesem Frühlingstag, der keiner sein wollte. 

Links zu Medien, die über die Aktion berichtet haben:

http://www.sat1regional.de/aktuell/article/integration-durch-sport-staatsministerin-oezoguz-besucht-fluechtlingsunterkunft-in-neugraben-fischbek.html

http://rtlnord.de/nachrichten/kurz-kompakt-vom-29-maerz-2016.html (ab Min 1:00)

http://www.abendblatt.de/hamburg/harburg/article207320743/Sport-hilft-Fluechtlinge-zu-integrieren.html

 

(Quelle: DOSB/Marcus Meyer)


  • Die Kinder der Flüchtlingsunterkunft freuen sich über die Sportangebote. Foto: DOSB/Witters
    Die Kinder der Flüchtlingsunterkunft freuen sich über die Sportangebote. Foto: DOSB/Witters