Braun: "Der Sport sollte seine Expertise nutzen"

Der Berliner Professor Sebastian Braun, Fachmann für gesellschaftliches Unternehmensengagement, über Theorie und Praxis in der beruflichen Förderung von Migranten mit Hilfe der Wirtschaft.

(Foto: HU Berlin)
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>> Herr Professor Braun, Kooperationen zwischen Sport und Wirtschaft zur beruflichen Integration von Migranten/innen und sozial Benachteiligten beschränken sich bisher auf die lokale Ebene, Projekte im regionalen oder gar nationalen Rahmen fehlen. Warum ist das so?

Das Gefühl der Wirtschaft für ein strategisch und nachhaltig angelegtes Engagement in der Gesellschaft entwickelt sich erst allmählich. Unternehmen thematisieren Sport nach wie vor in der Regel als Sponsoring, während sie bei gesellschaftlicher Verantwortung eher an Ökologie oder Soziales denken. Das sind vielfach noch zwei verschiedene Ebenen, auch in der innerbetrieblichen Organisation. 

>> Einige Unternehmen verbinden doch schon Sport und Verantwortung, und der Trend ist in vollem Gange.

Sicher gibt es Schnittstellen und Assoziationen zwischen Sport und Bewegung einerseits und gesellschaftlichen Herausforderungen andererseits – wenn etwa Coca-Cola ein Projekt wie „Deutschlands aktivste Stadt“ fördert, dann betont es öffentlich seine Absicht, gesellschaftspolitische Mitverantwortung für einen gesunden Lebensstil der Bevölkerung zu übernehmen. Aber um die Themen Sport und berufliche Integration von Migranten zu verbinden, müssen die meisten Unternehmen schon einen sehr weiten Bogen schlagen. 

>> Jeder weiß, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund von Arbeitslosigkeit besonders betroffen sind. Zugleich gilt der Sport als geeignete Plattform, um diese Menschen zu erreichen. Reicht das nicht als Bewusstseinsbasis?

Grundsätzlich kann es für Unternehmen mit einem interkulturellen Anspruch – ob in der Personalpolitik oder der Produktpalette - attraktiv sein, jungen Menschen mit Migrationshintergrund Praktika oder Ausbildungsplätze anzubieten. Aber es ist bislang nicht der nahe liegendste Gedanke für Entscheider, dann auf den Sport zu kommen. Zwar sehen viele den Sportverein als eine relativ leicht zugängliche und attraktive Organisation vor Ort, die gerade sozial benachteiligte Jugendliche und vor allem männliche Heranwachsende anspricht. Aber nach meiner Erfahrung ist das Verständnis der Wirtschaft für die "gesellschaftlichen" Funktionen der Sportvereine begrenzt und nur bei einzelnen Experten in manchen Konzernen differenzierter bekannt. Das Gros assoziiert damit Ideen, die gängigerweise dem Sportsponsoring zugrunde liegen: Leistung, Dynamik, Bewegung oder einfach nur Sportlichkeit. 

>> Einige Verbände und Stützpunktvereine des Programms Integration durch Sport engagieren sich schon für die berufliche Integration sozial Benachteiligter, zum Teil unter Beteiligung von Firmen, die dann zum Beispiel junge Vereinsmitglieder ausbilden. Warum lassen sich Unternehmen in solchen Fällen überzeugen?

Auf der kommunalen Ebene funktioniert so etwas grundsätzlich leichter. Es besteht mitunter eine enge Verbindung zwischen Entscheidungsträgern in Wirtschaft, Sport, Politik und Verwaltung, und der Weg zwischen dem Verein, anderen sozialen Trägern, Schulen oder Jobcentern kann kurz sein. Vermutlich werden das allerdings keine vom Unternehmen konzeptionell unterlegten Projekte sein, also nicht im Rahmen eines Engagements stattfinden, das die nachhaltige Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen anstrebt. 

>> Was kann der Sport tun, um das Thema in diesem strategischen Sinne attraktiv zu machen?

Er sollte sich die Ausgangsposition vieler Unternehmen vergegenwärtigen, die im Feld der Integrationsarbeit jenseits ihres Kerngeschäfts, quasi als Laien unterwegs sind. Ihr Engagement im Sport konzentriert sich auf ein Reit- und Springturnier oder ein Trikotsponsoring. Man muss ihnen verständlich machen, dass der Sport und seine Organisationen Partner sein können, um soziale Verantwortung anders zu leben. Und am besten machen Sie das mit konkreten Anschlussofferten. 

>> Was meinen Sie damit?

Es geht im Kern um die Idee einer „partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Unternehmensbürgern“ – ähnlich der bestehenden „partnerschaftlichen Zusammenarbeit“ mit dem Staat. Der Sport bräuchte ein Konzept der Zusammenarbeit mit diesen „Corporate Citizens“, wie es in der anglo-amerikanischen Debatte heißt, in dem er zeigt, was Unternehmen auf sozialen Handlungsfeldern tun können und welche Vorteile sie davon haben. So ein Konzept sollte nicht nur allgemeine, politische Aussagen enthalten, sondern auch Handlungsvorschläge unterbreiten und praktische Programme vorstellen. 

>> Wie gesagt: Einige IdS-Akteure sind bereits in die berufliche Förderung von Migranten eingebunden. Ohne Eigenwerbung betreiben zu wollen: Ließe sich daraus so eine Anschlussofferte entwickeln?

Sicherlich ist es von Vorteil, wenn solche Netzwerke schon bestehen. Und sicherlich könnte ein Regionen übergreifendes Projekt zur beruflichen Integration von Migranten ein Vorschlag im Rahmen des beschriebenen Konzepts sein. 

>> Der Sport muss auf die Unternehmen zugehen: Ist das das Entscheidende?

Mein Kernargument ist: Der Sport sollte seine fachliche Expertise, die er im Austausch mit der Politik seit langem anwendet, in einer unternehmenskonformen Sprache aufbereiten, um damit auch Wirtschaftsvertreter anzusprechen. Das ist sicher ein Riesenvorhaben, aber auch eine große Chance. Auf dem sozialen Feld tummeln sich eine Menge freier Träger mit enormer Kompetenz, aber sie machen den Unternehmen bisher nur begrenzt attraktive Angebote, wenn es um das Medium Sport und Bewegung geht. Der Sport könnte in diese Lücke stoßen, ob als Konkurrent oder als Bindeglied. 

>> Worin läge der Gewinn für einen national tätigen Konzern, mit dem Sport zusammenzuarbeiten statt allein mit dem freien Träger?

Der vereins- und verbandsorganisierte Sport hat eine breite Palette gesellschaftlicher Funktionen entwickelt und wirbt damit – insbesondere mit Blick auf staatliche Akteure und Politik – für die Arbeit in den Vereinen. Das Spektrum reicht von den Integrations- und Sozialisationsfunktionen über die gesundheitlichen Funktionen bis hin zu den Demokratiefunktionen der Sportvereine. Diese Funktionszuschreibungen insbesondere an die Sportvereine scheinen noch nicht so recht für Unternehmen aufbereitet und in „gesellschaftliche Verantwortungsdiskurse“ der Wirtschaft eingebunden zu sein.

Ein Ex-Kicker und Soziologe

Professor Sebastian Braun leitet als Direktor des Instituts für Sportwissenschaft der Berliner Humboldt-Universität die Abteilung Sportsoziologie sowie das Forschungszentrum Bürgerschaftliches Engagement. Im Jahr 2004 in Potsdam habilitiert, war der Doktor der Philosophie und Soziologie bis 2009 an der Universität Paderborn tätig. Braun, 1971 geboren und als früherer A-Jugend-Meister im Fußball ein Jahr im Kader von Girondins Bordeaux, gehört diversen Expertengremien an, darunter einer Sachverständigenkommission der Bundesregierung zum bürgerschaftlichen Engagement von Unternehmen.

 



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