„Es braucht Leute, die sagen: Ich bin Rom“

Sami Dzemailovski setzt sich seit 25 Jahren für die Belange von Roma ein, aktuell im Auftrag der Otto Benecke Stiftung. Ein Gespräch über Ausgrenzung und Rückzug, mit Carmen und Martin Luther King.

 

Immer am Telefon, immer unterwegs in Sachen Roma: Sami Dzemailovski setzt sich in diversen Organisationen und Projekten für sein Volk ein, haupt- wie ehrenamtlich (Quelle: Dzemailovski)
Immer am Telefon, immer unterwegs in Sachen Roma: Sami Dzemailovski setzt sich in diversen Organisationen und Projekten für sein Volk ein, haupt- wie ehrenamtlich (Quelle: Dzemailovski)

Sie haben schon vor 25 Jahren einen Kultur- und Sportverein für Roma in Düsseldorf mitgegründet, damals eine Seltenheit in Deutschland. Worum ging es Ihnen dabei?

Wir wollten darauf aufmerksam machen, dass wir ein Teil dieser Gesellschaft sind. Wir waren Ende der 60er, Anfang der 70er als Kinder von Gastarbeitern aus Jugoslawien gekommen. Damals hat sich fast kein Roma geoutet, auch meine Eltern nicht. Aber ansonsten kam das bei den Jugoslawen wenigstens ab und zu vor. Das lag daran, dass es den Roma im dortigen Sozialismus relativ gut gegangen war; es gab dort auch einige Kulturvereine.

Wie war die Lage zu jener Zeit in Deutschland?

Ende der 80er Jahre, noch vor den Bürgerkriegen, waren die ersten jugoslawischen Asylbewerber gekommen, darunter auch Roma. Die Berichterstattung über unsere Volksgruppe war schlecht, die politische Situation auch; deswegen gab es ja den „Bettelmarsch“ (rund 1700 Roma wollten im Herbst 1989 ihre Abschiebung ins damalige Jugoslawien verhindern, d. Red.). Wir haben gesagt: Moment: Wir leben hier ganz normal, wir wohnen wie die anderen, unsere Kinder gehen auch zur Schule. Wir sind keine Bettler, sondern Kinder von Gastarbeitern, genauso wie die ethnischen Jugoslawen, Italiener oder Griechen. Deshalb haben wir diesen Verein namens „Carmen“ gegründet.

„Carmen“? Das klingt nach Flamenco-Klischee.

Wir wollten, dass man uns sofort mit Roma assoziiert. Aber aus heutiger Sicht würde ich diesen Namen vielleicht nicht wählen.

Wenn Sie das Bild betrachten, das sich die Mehrheit in Deutschland aktuell von Sinti und Roma macht: Was hat sich seit 1990 geändert?

Wenig. Vielleicht gibt es eine kleine Verbesserung, aber die Berichterstattung dreht sich immer noch nur um Probleme – die bestehen natürlich, das will niemand abstreiten. Aber nur weil viele Roma arm sind, sind es nicht alle. Und unter denen, die jetzt aus EU-Ländern herkommen, sind sicher viele Bedürftige, aber auch gut Situierte, gut Ausgebildete. Roma, Spanier, Italiener, Griechen: Alle suchen hier Arbeit, ein besseres Leben und mehr Möglichkeiten für ihre Kinder. Aber einen Rom sieht die Öffentlichkeit nur, wenn er sich auffällig verhält. Die anderen, die nicht auf der Straße musizieren, nicht betteln, nicht kleinkriminiell werden, die gelten einfach als Rumäne oder Bulgare, obwohl auch die Kinder rumänischer und bulgarischer Roma fast alle in die Schule gehen. Dagegen wehre ich mich.

Heute arbeiten Sie im Namen der Otto Benecke Stiftung mit und für Roma. Haben Sie es da viel mit den aktuellen Zuwanderern zu tun?  

Nicht so sehr. Diese Menschen haben ja erstmal grundlegende Probleme: Wohnung und Arbeit finden, die Sprache lernen. Und ich arbeite vor allem im Zusammenhang von Bildung, Kultur und Sport. Soziale Arbeit machen eher meine Kollegen.

„Wir müssen selbst vorangehen“

Stichwort Sport: Was kann er zur interkulturellen Verständigung zwischen Roma und Mehrheitsgesellschaft beitragen?

Wir wissen ja, dass es beides gibt: den Rassismus, zum Beispiel im Profifußball, aber auch das Verbindende des Sports. Es ist ein Wettkampf, vielleicht bist Du besser, vielleicht ich, auf jeden Fall gehen wir danach ein Bierchen trinken. Ich sehe im Sport eher ein Element, das die Leute zusammenbringt. Trotzdem kann ich Roma verstehen, die sich dort nicht outen.

Sind das viele?

Die meisten. Ich bin mit meinen Söhnen seit 13, 14 Jahren auf Fußballplätzen unterwegs. Wir haben in den gegnerischen Mannschaften oft Roma gesehen, die sich als Kroaten, Serben, Mazedonier oder Albaner ausgegeben haben. Wir haben mit unserem Verein dann bewusst Turniere gemacht und die anderen eingeladen: Teams der türkischen Migranten, der albanischen, russischen, italienischen, kurdischen, auch deutsche respektive gemischte Mannschaften. Wir sind Letzter geworden, aber das spielt keine Rolle. Hauptsache, das Turnier ist gut verlaufen und die Leute haben gesehen, dass Roma keine zwei Köpfe und vier Arme haben.

Der Vorkämpfer

Sami Dzemailovski,  1963 im mazedonischen Kumanovo geboren, kam zweimal nach Deutschland: 1973 mit seinen Eltern und 1989, nachdem er dem deutschen Hauptschulabschluss das Abitur und einige Jahre des Germanistikstudiums in der Heimat hatte folgen lassen. Zu jener Zeit gründete er mit Bekannten Carmen e.V. in Düsseldorf, der erste von vielen Vereinen, Projekten, Einrichtungen, mit denen er sich seither für Menschenwürde und Gleichberechtigung von Roma eingesetzt hat – ehren- wie hauptamtlich, lokal wie national. Heute ist Dzemailovski etwa als pädagogischer Projektkoordinator der Otto Benecke Stiftung (seit 2012) tätig, als Vorstandsmitglied der nationalen Roma-Jugendorganisation Amaro Drom und als National Project Officer von RoMed, ein Programm von EU und Europarat. Es bildet Mediatoren aus, die Roma den Umgang mit Behörden erleichtern.

Einerseits werden Roma ausgegrenzt. Andererseits behalten viele ihre Identität für sich, aus Furcht vor dem Stigma. Eine Art Teufelskreis?

Ja. Viele Leute sprechen auch ihre Sprache nicht in der Öffentlichkeit, obwohl sie komplett als Roma sozialisiert sind; ihre Freunde, ihre Ehepartner, das sind immer Roma. Ich will das nicht Selbstverleugnung nennen, aber diese Menschen geben ihre Identität nicht preis, weil sie fürchten, damit in den Augen der Mehrheit automatisch auf der untersten sozialen Stufe zu stehen. Sie haben wenig Selbstbewusstsein, sie kämpfen nicht mehr. Das kann ich wie gesagt verstehen, aber es schwächt unsere Community, wenn die erfolgreichen, gut situierten und integrierten Roma sich nicht als solche zu erkennen geben.

Ist dieses Verhalten auch bei Roma in Deutschland verbreitet?

Oh ja. In Deutschland kann man sich ja besonders gut als Chamäleon bewegen. In den meisten südosteuropäischen Ländern hast Du fünf, sechs, höchstens sieben verschiedene Nationalitäten – in Deutschland hast Du 200! Da ist es viel leichter abzutauchen. Deshalb braucht es Leute, die sagen: „Ich bin Rom, und ich will als Rom angesprochen werden.“ Wir können nicht auf einen Martin Luther King warten. Wir müssen selbst vorangehen.

Manche einheimische Sportvereine entwickeln spezielle Angebote für Roma. Ist das im Sinne der Integration oder zementiert das die kulturell-soziale Trennung?

Dazu gibt es zwei Meinungen. Ich kann nur für mich sprechen: Ich finde das nicht schlecht, im Gegenteil. Aber der Verein muss einen Rahmen bieten, in dem sich die Leute outen können. Dann werden sie selbstbewusster und die anderen sehen, dass Roma Menschen sind wie alle anderen. Die Separation sollte sich auch nicht über Jahren hinziehen.   

Und wie erreiche ich die Zugewanderten? Die sind ja erstmal besonders weit weg von der Mehrheitsgesellschaft und dem organisierten Sport.

Das stimmt. Solche Sportangebote wie hier gab es in Rumänien und Bulgarien nicht. Wenn Sport, dann war das Leistungssport. So ein bisschen Fußballspielen wie hier, sozusagen „just for fun“, das gab es nicht.  Ich glaube aber, man kann sie schon erreichen. Man braucht jemanden von der eigenen Zielgruppe als Kontaktperson, denen sie vertrauen. Und man sollte früh anfangen: Wenn die Jungs als Bambini Fußball spielen oder drei-, vierjährigen Mädchen Gymnastik oder Leichtathletik machen, dann sind die Eltern sicher offener dafür als bei Teenagern.

(Quelle: DOSB / Das Interview führte Nicolas Richter)


  • Immer am Telefon, immer unterwegs in Sachen Roma: Sami Dzemailovski setzt sich in diversen Organisationen und Projekten für sein Volk ein, haupt- wie ehrenamtlich (Quelle: Dzemailovski)
    Immer am Telefon, immer unterwegs in Sachen Roma: Sami Dzemailovski setzt sich in diversen Organisationen und Projekten für sein Volk ein, haupt- wie ehrenamtlich (Quelle: Dzemailovski)