„Integrationspolitik kann vom Sport lernen“

Baden-Württemberg, Heimat für alle: Das ist das Ziel von Bilkay Öney, Integrationsministerin des Landes. Ein Interview über die Partnerschaft mit dem LSV, Synergie und Patriotismus.

Bilkay Öney, Ministerin für Integration in Baden Württemberg (Quelle: Ministerium für Integration)
Bilkay Öney, Ministerin für Integration in Baden Württemberg (Quelle: Ministerium für Integration)

Seit 2011 führen Sie Deutschlands einziges reines Integrationsministerium. Hat sich der Stellenwert des Themas Integration in der Öffentlichkeit Baden-Württembergs verändert seither?

Ja, denn Integration ist ein Zukunftsthema, vor allem für Baden-Württemberg. Hier hat jeder vierte Einwohner einen Migrationshintergrund, unter den Jugendlichen ist es jeder dritte. Hinzu kommt der demografische Wandel und der sich schon jetzt in manchen Berufen und Regionen abzeichnende Fachkräftemangel. Daraus ergibt sich zweierlei: Wir wollen die Teilhabe der hier lebenden Menschen verbessern und ein weltoffenes und attraktives Land sein. Als Ministerium für Integration schaffen wir einerseits ein Bewusstsein für das Thema Integration. Andererseits haben wir die Kompetenz, Gesetzesvorhaben einzubringen. Und diesen Spielraum nutzen wir aus.

Wie sieht das zum Beispiel aus?

Wir haben bislang drei wichtige Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht: ein von uns eingebrachtes Änderungsgesetz zum Staatsangehörigkeitsgesetz, um die Zulassung der doppelten Staatsangehörigkeit in Deutschland zu ermöglichen. Auf Landesebene haben wir ein neues Flüchtlingsaufnahmegesetz und das Landesanerkennungsgesetz eingebracht.

Auch eine Neuerung: Sie arbeiten mit dem LSV und der Landeskoordination von „Integration durch Sport“ zusammen. Was hat der Sport, was andere Integrationsmedien nicht haben?

So eine feste Zusammenarbeit mit dem LSV Baden-Württemberg gab es in der Tat noch nicht. Ich erhoffe mir davon unter anderem Synergieeffekte. Im Sport geht es um Leistung und nicht um Herkunft oder Aussehen. Deshalb denke ich, dass die Integrationspolitik viel vom Sport lernen kann, insbesondere was Teamarbeit und Fairplay angeht. Außerdem wollen wir die integrative Funktion des Sports nutzen, um die gesellschaftliche Teilhabe als Ganzes zu fördern: Wenn Sie in einen Verein gehen, können da soziale Kontakte und Freundschaften entstehen. Und noch etwas: Der Sport fördert gesellschaftliches Engagement, er unterstützt den Erwerb sozialer Kompetenzen und der deutschen Sprache.

 

Von Berlin nach Stuttgart

Bilkay Öney, SPD, führt seit Mai 2011 das von der grün-roten Landesregierung geschaffene Ministerium für Integration in Baden-Württemberg. Zuvor hatte die frühere TV-Moderatorin im Berliner Abgeordnetenhaus gesessen: zunächst für die Grünen, nach einem Parteiwechsel 2009 für die Sozialdemokraten, hier wie dort mit dem Thema Integration als Schwerpunkt ihrer Arbeit. Öney, 1970 im anatolischen Malatya geboren und als Dreijährige nach Berlin gekommen, fordert stets beide Seiten zu kultureller Öffnung auf: Einheimische wie Zugewanderte, und sie wählt dafür teils deutliche Worte. Als sie ihr Amt als Integrationsministerin antrat, machte ihr der Berliner „Tagesspiegel“ das ebenso grobe wie  große Kompliment, sie sei „keine Lobby-Migrantin“.

 

Soweit die Integration durch Sport. Was ist mit der Integration in den Sport?

Das geht ja Hand in Hand. Viele Vereine machen sich mit Blick auf die demografische Entwicklung Gedanken um ihren Nachwuchs. Auf der anderen Seite könnten noch mehr Migrantinnen und Migranten in den Vereinen Sport treiben und auch Übungsleiter werden. Wenn wir also die Vereine und die Menschen mit ausländischen Wurzeln zusammenbringen, haben beide Seiten etwas davon.

Fernziel: Interkulturelle Schulung für alle

Ein Inhalt der Kooperation ist die Projektörderung, wobei sie speziell die interkulturelle Öffnung von Vereinen und ihre Zusammenarbeit mit Migrantenvertretungen unterstützen wollen. Warum diese Schwerpunkte?

Die interkulturelle Öffnung der Vereine und Verbände soll bewirken, dass mehr Mitglieder, aber auch und gerade Übungsleiter und Funktionäre mit Migrationshintergrund in Vereinen aktiv werden. Die Zusammenarbeit mit Migrantenorganisationen ist dafür sehr wichtig, denn sie erreichen Menschen, die über herkömmliche „deutsche“ Vereine oft nicht erreicht werden. Im Übrigen sind das nicht unsere einzigen Schwerpunkte: Ein Fokus liegt auch auf der Förderung von Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund, die im organisierten Sport bekanntlich viel zu selten vertreten sind.

Jenseits der Projektarbeit geht es um interkulturelle Qualifikation: Sie soll Teil der regulären Übungsleiterausbildung werden, und zwar zunächst in vier Fachverbänden. Was ist das weitergehende Ziel an dieser Stelle?

Unsere Maßnahme hat eine Art Modellcharakter. Wir starten zunächst mit diesen vier Verbänden beziehungsweise Sportarten, die wir bis Jahresende gefunden haben wollen. Unser längerfristiges Ziel ist es, interkulturelle Module in den Ausbildungen von Vereinsmanagern, Übungsleitern und Trainern in allen Sportarten zu etablieren.

Ist die Projektunterstützung auf die Zielgruppe in Baden-Württemberg sesshafter Menschen begrenzt oder schließt sie Flüchtlinge respektive Asylsuchende ein? Politik macht da ja oft einen Unterschied.

Unsere Maßnahmen sind für alle Menschen mit Migrationshintergrund offen.

Sie haben eben ein ziemlich perfektes Bild vom interkulturellen Zusammenleben im Sport gezeichnet. Kann der Sport nicht auch etwas von der Politik und anderen Gesellschaftsbereichen lernen?

Ich glaube wirklich, dass eher umgekehrt ein Schuh daraus wird: Die Integrationspolitik kann vom Sport lernen. Ich will aber nicht verschweigen, dass es auch im Sport zu Diskriminierungen kommt. Gerade beim Fußball erleben wir das immer wieder. Wobei hier nicht allein Migranten beleidigt werden, das Problem ist ja größer. Nicht ohne Grund gibt es zum Beispiel bis heute die Diskussion, ob sich schwule Fußballspieler outen sollen oder nicht.

Eine Frage noch: Sie nennen sich eine „Patriotin“. Was wollen Sie damit ausdrücken?

Ich halte es da mit Heribert Prantl, Journalist der Süddeutschen Zeitung. Er sagte einmal: „Ein Patriot ist der, der dafür sorgt, dass Deutschland Heimat bleibt für alle Altbürger und Heimat wird für alle Neubürger. Das nennt man Integration und das ist das Gegenteil von Ausgrenzung.“

(Das Interview führte Nicolas Richter)


  • Bilkay Öney, Ministerin für Integration in Baden Württemberg (Quelle: Ministerium für Integration)
    Bilkay Öney, Ministerin für Integration in Baden Württemberg (Quelle: Ministerium für Integration)