THEMA DES MONATS (7) - PERSONENBEURTEILUNG, VORURTEILE UND STEREOTYPE IM SPORT

Frankfurt (ids) Vorurteile lassen sich in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen feststellen und treffen die unterschiedlichsten Menschengruppen. Gerade Migranten sehen sich jedoch sehr häufig Vorurteilen gegenübergestellt. In diesem Thema des Monats werden Hintergründe und praktische Ratschläge zum Umgang mit Vorurteilen und Stereotypen im Bereich „Integration durch Sport“ beschrieben.

Bei der zweiten Mannschaft des FC X hat es sich eingebürgert, den Abend nach dem Fußballtraining gemeinsam im „Nautilus“, einer nahegelegenen Kneipe, ausklingen zu lassen. Auch die Spieler Frank und Henning sind heute wieder mit dabei. Auf dem Weg fragt Frank: „Warum kommen eigentlich Sergei und Alexander nie mit in die Kneipe?“ Henning zögert nicht lange und entgegnet: “Ist mir doch egal. Die nerven mich sowieso, diese Aussiedler. Die nutzen hier alles für sich, zeigen aber gar kein Interesse, sich zu integrieren.“ Frank ist von der Aussage erst einmal schockiert, doch nach einer Weile antwortet er: „Das finde ich jetzt aber hart. O.k., die beiden reden fast nur miteinander und sind den anderen gegenüber ziemlich schweigsam. Aber vielleicht liegt das ja daran, dass sie nicht gut Deutsch können, oder dass sie von ihrer russischen Mentalität her einfach schweigsamer sind.“ Henning jedoch geht auf die Aussage gar nicht erst ein und beendet das Gespräch. „Interessiert mich nicht. Die sollen sich entweder integrieren oder wieder zurück nach Russland gehen“.

Sind Vorurteile und Stereotype grundsätzlich schlecht?

In dem geschilderten Beispiel äußert Henning das Vorurteil, dass Aussiedler grundsätzlich kein Interesse daran haben, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Ein Vorurteil ist, wie der Name schon sagt, ein voreiliges Urteil über Personen, Objekte oder Situationen, welches ohne angemessene Auseinandersetzung mit dem beurteilten Gegenstand getroffen wurde. In manchen Situationen ist es jedoch notwendig schnell zu entscheiden, so dass zwangsläufig Vorurteile verwendet werden müssen. Jeder Mensch gebraucht Vorurteile, sie werden aber zu einem Problem, wenn sie starr und nicht revidierbar sind.

Vorurteile basieren häufig auf der Verwendung von Stereotypen über bestimmte Menschen oder Gegenstände. Frank verwendet in der Unterhaltung beispielsweise ein Stereotyp über russische Aussiedler. Für Frank sind Russen „von ihrer Mentalität her einfach schweigsamer“. Stereotype sind vereinfachende Aussagen und Schemata über Aspekte der sozialen Welt, etwa über soziale Gruppen, über Berufe oder über Nationen.

Stereotype sind nicht grundsätzlich negativ, sie haben Vor- und Nachteile. Der Vorteil von Stereotypen ist, dass sie uns helfen, die verwirrende Vielfalt unserer sozialen Umwelt zu ordnen. Hierdurch sind wir in der Lage, Vorhersagen über soziale Ereignisse zu treffen und uns in sozialen Situationen angemessen zu verhalten. Der Nachteil von Stereotypen ist, dass sie die Realität oft zu stark vereinfachen oder verzerren. Eine weitere Eigenschaft von Stereotypen ist, dass sie oft Interpretationen und emotionale Wertungen beinhalten. Bei dem Nationalitätenstereotyp „Russen sind schweigsam“ etwa können sowohl positive als auch negative Emotionen mitschwingen, je nachdem, ob die „russische“ Schweigsamkeit gegenüber Fremden negativ als Ausdruck von Ethnozentrismus (das eigene Volk wird in den Mittelpunkt gestellt und als überlegen gegenüber anderen betrachtet) und mangelnder Offenheit oder positiv etwa im Sinne von „tiefer russischer Seele“ interpretiert wird.

Auf der anderen Seite interpretieren Russen und andere Osteuropäer Freundlichkeit und Kontaktfreudigkeit von Westdeutschen und anderen Westeuropäern zum einen positiv als „gute Umgangsformen“, zum anderen negativ als „oberflächlich“ und „gekünstelt“. Für Brasilianer wiederum ist der „typische“ Deutsche mindestens ebenso schweigsam wie der „typische Russe“ für die Deutschen. Hiermit wird auch deutlich , dass Stereotype sehr relativ sind und zum Teil mehr über den Betrachter aussagen als über den Betrachteten.

In den folgenden beiden Abschnitten wird speziell auf fremdenfeindliche Stereotype eingegangen. Zuerst werden theoretische Ansätze zur Entstehung von Fremdenfeindlichkeit dargestellt, danach folgen Hinweise, was man in der Praxis tun kann, um die Entstehung von negativen Vorurteilen, Stereotypen und  Fremdenfeindlichkeit zu vermeiden.

Wie entsteht Fremdenfeindlichkeit ?

Verschiedene psychologische und soziologische Forschungstraditionen stimmen grundsätzlich darin überein, dass Fremdenfeindlichkeit durch zwei Faktoren erklärt werden kann.

1. Der Einfluss eines wissens- und verstandesbetonten Elements (kognitive Komponente)

Der eher verstandesbetonte Einfluss auf die Fremdenfeindlichkeit zeigt sich oft durch Ethnozentrismus und Unwissenheit (Ignoranz). Der Ethnozentrismus bezeichnet eine Geisteshaltung, bei der das eigene Volk in den Mittelpunkt gestellt wird und als überlegen gegenüber anderen betrachtet wird.

Erst einmal ist es dabei ganz natürlich, dass die eigene Ethnie (Menschengruppe mit einheitlicher Kultur) als Bezugspunkt für die Definition und Bewertung von Fremden und Fremdgruppen gewählt wird. Problematisch ist nur die Einstellung, dass die Ansichten und Werte der eigenen Gruppe grundsätzlich wahrer oder besser sind  als die von anderen Gruppen. Eine solche Einstellung ist häufig auch  verbunden mit Unwissenheit über andere Gruppen und Kulturen. Viele Deutsche etwa werfen den U.S.-Amerikanern Ethnozentrismus und Ignoranz in Hinsicht auf die Bundesrepublik Deutschland vor.

Aber sind nicht auch viele Deutsche ziemlich ignorant in Bezug auf ihr unmittelbares Nachbarland Polen?

Witzig illustriert dies die polnische Studentin Mrosinska Aleksandra in ihrem Aufsatz „Dichtung und Wahrheit  oder Stereotype und Realität - aus den Briefen an meine deutsche Deutschlehrerin“, in denen sie ihre Erfahrungen in einem Dresdener Studentenwohnheim schildert: „Mein deutscher Nachbar war vor allem ein Ignorant. Der Student wusste nicht, wo Polen, freilich kein Zentrum der Welt, aber doch sein Nachbarland, auf der Karte zu finden ist. Er war sehr verwundert, als er erfuhr, dass mein Land ein Grundgesetz hat. Er dachte, dass ein Land, „in dem alle klauen“, keines besitzt. Ich lernte auch einige Familienmitglieder des Jungen kennen und es zeigte sich, dass er kein Einzelfall war. Seine Mutter beispielsweise wusste nicht, dass Polen die Zeit des Sozialismus schon hinter sich hat...“.

Dies ist zwar ein extremes Beispiel, aber hierdurch wird auch gezeigt, dass das Nichtwissen ums eigene Nichtwissen ein häufiges Merkmal der Unwissenheit ist.

2. Der Einfluss eines gefühlsbetonten Elements (emotionale Komponente) 

Ist der Fremde in der Ferne, geht von ihm keine Bedrohung aus. Erst die Annäherung kann den Fremden zur Bedrohung und zum Feind machen. Fremdenfeindlichkeit dient auch dazu, sich abzugrenzen und damit eine Verteidigungshaltung einzunehmen. Dabei werden die Fremden aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Diese Haltung steht somit im Gegensatz zu Offenheit und Aufnahmebereitschaft.

Die wahrgenommenen Bedrohungen, die von Fremden ausgehen, sind dabei zumeist nicht unmittelbar körperlich, sondern eher existentielle Bedrohungen anderer Art, etwa die des eigenen Arbeitsplatzes oder die von zentralen persönlichen und kulturellen Werten. Solche subjektiv wahrgenommenen Bedrohungen basieren oft auf einer selektiven (auswählenden) und verzerrten Wahrnehmung der sozialen Umwelt.

Eine weitere mögliche Ursache für Fremdenfeindlichkeit ist das Streben nach Macht und Überlegenheit. Macht erlaubt es der eigenen Gruppe beispielsweise, die Verwendung von knappen Gütern und anderen Ressourcen gegenüber fremden Gruppen zu sichern. Fremdenfeindliche Stereotype oder die Verstärkung von Vorurteilen helfen dabei, Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu rechtfertigen.

Ein Streben nach Überlegenheit kann aber auch Ausdruck eines Minderwertigkeitsgefühls sein. So lässt sich anhand der deutschen Geschichte argumentieren, dass übertriebener Nationalstolz unter Umständen in einem nationalen Minderwertigkeitsgefühl wurzelt.

Auch im Alltag werden Vorurteile genutzt, um von den eigenen Schwächen abzulenken und sich als überlegen gegenüber anderen zu fühlen. 

Gibt es Menschen, die zur Fremdenfeindlichkeit neigen?

Klassische Ansätze des deutschen Philosophen Theodor W. Adorno (1950) und des amerikanischen Sozialpsychologen Milton Rokeach (1960) beschäftigten sich mit der Frage, ob es bestimmte Typen  von Persönlichkeit gibt, die besonders zur Fremdenfeindlichkeit neigen. Adorno bezieht sich in seiner von Freuds Psychoanalyse beeinflussten Studie über die „autoritäre Persönlichkeit“ vor allem auf die emotionale (gefühlsmäßige) Komponente der Fremdenfeindlichkeit. Der autoritäre Charakter ist nach Adorno gekennzeichnet durch Eigenschaften wie Konformität, überdurchschnittliche Kontrolle von Gefühlen, Abhängigkeit von Autorität, Rigidität und Ethnozentrismus. Rokeach beschreibt in seiner Arbeit „The open and the closed mind“, durch welche mentalen Strukturen einerseits Menschen gekennzeichnet sind, die an starren stereotypen Wahrnehmungsmustern festhalten, und andererseits solche, die für neue Erfahrungen und Konzepte offen sind. Die genannten Arbeit haben teilweise fruchtbare Diskussionen angeregt, das Konzept einer fremdenfeindlichen Persönlichkeit ist aber wohl zu eng, um die universelle Verbreitung von Vorurteilen und Stereotypen verständlich zu machen.

Was kann man im Sport gegen Fremdenfeindlichkeit tun?

Der Sport kann dazu beitragen, Fremdenfeindlichkeit zu verringern. Im allgemeinen setzen  Maßnahmen, die dazu dienen die Fremdenfeindlichkeit zu vermindern, bei der Verbesserung des Wissensstandes und der Reduktion der Ignoranz an (indem beispielsweise Informationen über Fremde, ihre Kultur und ihre Motive zur Einwanderung vermittelt werden). Die emotionale Komponente der Fremdenfeindlichkeit findet oft zu wenig Berücksichtigung. Gerade in diesem Bereich bietet sich der Sport an, da hier ein direkter Kontakt von Einheimischen und Fremden in einem „geschützten Raum“ ermöglicht wird. Die Verringerung von Fremdenscheu und –feindlichkeit, besonders im emotionalen Bereich,  wird durch die unmittelbare Erfahrung ermöglicht.

Damit dieser Prozess in positiver Weise verlaufen kann, sollten folgende Punkte berücksichtigt werden

1. Auch im Sport sollten Informationen über Fremde und ihre Kultur vermittelt werden (und umgekehrt sollten auch die Fremden über Deutsche und ihre Kultur informiert werden). Somit wird eine negativ-stereotype Auslegung des Verhaltens verhindert und der Annäherungsprozess von Fremden und Einheimischen in positiver Weise gefördert.

2. Es sollte darauf geachtet werden, dass fremdenfeindliches Verhalten auf keinen Fall positiv sanktioniert wird und damit belohnt wird, gerade dann nicht, wenn es in „witziger“ oder „cooler“ Weise geschieht. Trainer oder andere verantwortliche Personen zeigen dadurch wahre Autorität und Stärke, dass sie bei Auftreten eines solchen Verhaltens den betreffenden Personen klare Grenzen setzen und den Sachverhalt bei Bedarf offen mit der Gruppe besprechen. Stillschweigendes Dulden von fremdenfeindlichem Verhalten ist fast genauso schlimm wie positive Sanktionierung. Den Tätern wird damit quasi die Erlaubnis erteilt, und die Opfer lernen, dass sie nicht mit Hilfe rechnen können.

3. Es ist darauf zu achten, dass durch kulturelle Unterschiede oder Stereotype bedingte Probleme und Konflikte in einer konstruktiven Weise ausgetragen werden. Hier können unter Umständen auch von Experten durchgeführte Konflikttrainings hilfreich sein.

4. Der Sport findet in einem „geschütztem Raum“ statt, in dem kulturelle, soziale und materielle Unterschiede eine geringere Rolle spielen als sonst im Alltag. Hierdurch wird der Kontakt zwischen Einheimischen und Fremden erleichtert. Damit aber die Übertragung der kulturellen Annäherung vom Sport in den Alltag gelingt, ist es förderlich, die Sporttreibenden auch in alltagsnäheren Situationen zusammenzuführen, etwa bei Freizeiten oder Festen.