Boxer trifft Tänzerin

Dirk Adams ist ein Protagonist von „Sport interkulturell“. Gespräch über ein Seminarkonzept, das den spielerischen Umgang mit einem grenzenlosen Thema trainiert.

Dirk Adams hat das Konzept von "Sport interkulturell" 2004 mitentwickelt. (Foto: privat)
Dirk Adams hat das Konzept von "Sport interkulturell" 2004 mitentwickelt. (Foto: privat)

Herr Adams, die schriftliche Konzeption von „Sport Interkulturell“ zählt 120 Seiten. Können Sie sie in drei bis fünf Sätzen zusammenfassen?

Ich will's versuchen. Das Kernziel liegt darin, Übungsleiter und Funktionäre interkulturell für den Sportalltag zu sensibilisieren. In der Praxis sind das Menschen zwischen 16 und 75 Jahren sämtlicher Sportarten, und nicht selten gibt es die angestrebte hälftige Mischung aus Personen mit und ohne Migrationshintergrund. Wir gehen von Wochendendseminaren mit 15 Lerneinheiten aus – auch wenn sich über die Jahre andere Formen wie Tages- und Halbtagesveranstaltungen entwickelt haben. Die Seminare werden durch zwei Personen geleitet, idealerweise ein Mann und eine Frau, wegen der Vielfalt der Perspektiven.

Interkulturell schaffend 

Dirk Adams gehört zum Gründungsteam des 2004 gestarteten Unternehmens context. Der Kölner Dienstleister für interkulturelle Kommunikation und Bildung hat gemeinsam mit der Sportjugend NRW das Seminarkonzept „Sport interkulturell“ entwickelt, das der DOSB seit 2005 im Programm IdS umsetzt. Adams, diplomierter Sozialpädagoge des Jahrgangs 1969, als Berater und Trainer für interkulturelle Fragen fortgebildet, hat etwa 15-jährige Berufserfahrung auf diesem Gebiet. Er ist einer von vier Mitarbeitern der Agentur, zu deren Kunden neben Non-Profit-Organisationen auch Wirtschaftsunternehmen zählen.


Inwiefern kann man Menschen an einem Wochenende interkulturell sensibilisieren?

Natürlich beschreibt interkulturelles Lernen einen komplexen Prozess, der im Grunde nie endet. Kulturen verändern sich ja ständig, das ist eine zentrale Theorie für unsere Arbeit, ebenso wie die, dass Kultur etwas überwiegend Unbewusstes ist – wie beim Eisberg, dessen weitaus größerer Teil unter Wasser liegt. Beim Stichwort interkulturelles Lernen schauen viele zunächst auf ihr Gegenüber, und nicht auf sich selbst. Im Seminar halten wir ihnen den Spiegel vor und versuchen, ihnen bewusst zu machen, dass ihre Wahrnehmung des Anderen mit ihnen selber und ihrer Prägung zu tun hat. So schauen sie bei sich und ihrem Gegenüber unter die ‚Wasseroberfläche’.  Das ist ein Grundstein für Sensibilisierung.

Und den kann man auch an einem Tag legen? Sie sprachen von verkürzten Seminarformen.

Da muss man differenzieren. Um die Qualität im Sinne von „Sport interkulturell“ zu gewährleisten, braucht es einen Umfang, wie ihn die Kernveranstaltung vorsieht; an einem Tag kommen normalerweise keine tieferen Prozesse und intensiven Begegnungen zustande. Aber so vielfältig, wie der Sport ist, kann es hier und da spezieller Antworten bedürfen, zum Beispiel als Appetitmacher.

Erreicht „Sport interkulturell“ nicht sowieso nur Menschen, die der Idee von Integration offen gegenüberstehen?

Dem würde ich nur eingeschränkt zustimmen. Viele Teilnehmer kommen aus Stützpunktvereinen des Programms „Integration durch Sport“ und auch von Netzwerkpartnern, sie haben also im Alltag mit interkultureller Verständigung zu tun. Einige beschäftigen sich zwar schon praktisch mit dem Thema, weil es finanzielle Unterstützung für den Verein oder den Verband gibt, der entsprechende Projekte startet und seine Leute dann zu uns schickt. Andere kommen, um ihre Übungsleiterlizenz zu verlängern. Aber diese Teilnehmer sehen erst im Seminar, welches integrative Potenzial der Sport und auch ihr Verein haben. Das ist kein Vorwurf, sie haben das vorher einfach unterschätzt.

Unterscheiden sich Menschen aus dem Sport da von anderen Zielgruppen, etwa aus dem Unternehmensumfeld?

Schwierige Frage... (überlegt). Einerseits ja, wegen der überwiegend ehrenamtlichen Strukturen. Auch wenn sich nicht alle im Sport gleichermaßen mit dem Thema identifizieren, besteht im Vergleich zum beruflichen Feld ein hohes Maß an Freiwilligkeit. Außerdem bildet der Sport die ganze gesellschaftliche Vielfalt ab und ermöglicht besondere interkulturelle Begegnungen. Wenn in dem Seminar zum Beispiel eine Tänzerin und ein Boxer zusammenkommen und wir sie auffordern, den jeweils anderen Sport zu machen, fühlen sie sich vielleicht am Anfang unwohl. Meist entsteht bei sowas dann aber ein Aha-Effekt und man sieht das Verbindende.

Und andererseits?

Andererseits erkenne ich im Sport wie in der Wirtschaft bereits erste Schritte zu einer interkulturellen Öffnung auf Organisationsebene. Hier wie da sind Migranten unterrepräsentiert, und auch der Sport will sich so ausrichten, dass er Menschen mit Zuwanderungsgeschichte und sozial benachteiligte Zielgruppen erreicht, weil er in der Vielfalt einen Gewinn sieht.

Ihre Zielgruppe stellen Sie sehr bunt dar: Menschen mit und ohne Migrationserfahrung, jeden Alters, vom Praktikanten beim Fachverband bis zur Vereinsvorsitzenden. Wie wird man der Vielfalt gerecht?

Eine Säule von „Sport interkulturell“ besteht darin, Prozess- und Teilnehmenden-orientiert zu arbeiten. Wir haben also keinen Standardablauf in der Schublade, sondern versuchen auf die Erfahrungen und die Interessen der jeweiligen Gruppe zu reagieren. Wenn wir im Seminarverlauf merken, wir befinden uns in ganz steilen Hängen, dann gehen wir darauf ein. Wir wollen bestimmte Fragen, Diskussionen, auch Konflikte im Sinne des Themas nutzen.

An welchen Stellen entstehen die?

Zum Beispiel anhand der Forderung, ausschließlich Deutsch zu sprechen. Andere überlegen, wie sie das Thema Integration in den Vorstand ihres Vereins transportieren können. Da setzen wir uns dann mit einer kleineren Gruppe des Seminars zusammen und erörtern die Erfahrungen, die andere Teilnehmer, aber auch wir selbst damit haben. Beim Thema interkulturelles Konfliktmanagement, das wir am Ende eines Seminars bearbeiten, wird sogar so oft Bedarf signalisiert, dass wir da über Vertiefungsseminare nachdenken.

Worin liegt jenseits der Flexibilität die Konstante ihres Ansatzes?

Unsere zweite Säule neben der Prozessorientierung ist das Erfahrungslernen. Das bezieht sich nicht nur darauf, dass sich in den Seminaren Menschen mit ganz unterschiedlichen Horizonten begegnen und austauschen. Es heißt auch, dass wir durch Spiele oder Simulationen neue Erfahrungen ermöglichen. Die Teilnehmer sollen ganzheitlich lernen, also sowohl kognitiv als auch hautnah, anhand der eigenen Empfindung in einer Situation der Fremdheit. Natürlich vermitteln wir Hintergrundwissen zu interkulturellem Lernen, das ist die dritte Säule unseres Konzepts. Aber das sind in der Regel kürzere, an die Übungen angedockte Inputs. Wir wollen die Leute ja interessieren.

Der DOSB beauftragt jährlich die HU Berlin mit der Evalution von „Sport interkulturell“. Wo sehen Sie selbst nach acht Jahren Möglichkeiten und Grenzen des Konzepts?

Wie gesagt: Interkulturelles Lernen beschreibt einen Prozess. Deshalb freue ich mich, wenn viele Teilnehmer nach dem Seminar sagen, sie wollten dranbleiben an dem Thema. Manche fragen auch gezielt nach einer Vertiefung des Basisseminars, vielleicht ist das irgendwann eine Option. Im Übrigen nehme ich die jüngere Entwicklung von „Integration durch Sport“ so wahr, dass der angesprochene Aspekt der interkulturellen Öffnung stärker in den Blick gerät.

Will sagen?

Die Tendenz geht ja zur Vernetzung mit anderen Akteuren der Integration, auf der Bundes- und Landes- ebenso wie auf Kreis-, Stadt- und Vereinsebene, und dazu in den Fachverbänden. Um die Wirkung dieser Initiativen auszuschöpfen und aufeinander abzustimmen, braucht es interkulturelle Sensibilität auf allen institutionellen Ebenen des Sports. Ich sehe da einigen Beratungsbedarf, allerdings auch eine Menge Bewegung.

(Quelle: DOSB / Das Interview führte Nicolas Richter)


  • Dirk Adams hat das Konzept von "Sport interkulturell" 2004 mitentwickelt. (Foto: privat)
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