„Integration durch Sport ist ein wichtiger Partner“ – Bundesgesundheitsmininsterin Ulla Schmidt im Interview

Kinder und Jugendliche mit einem Migrationshintergrund haben geringere Chancen auf eine gute Gesundheit. Was sind die Gründe dafür?

Ulla Schmidt: Obwohl Menschen mit Migrationshintergrund ein Fünftel unserer Gesellschaft ausmachen, war bislang nicht genug über ihre gesundheitliche Situation bekannt. In einer Studie des Robert-Koch-Institutes wurden Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund untersucht und zu ihrer gesundheitlichen Situation befragt. Eines der zentralen Ergebnisse der Untersuchung lautet: Es gibt nicht das Kind mit Migrationshintergrund. So vielfältig wie die multikulturelle Gesellschaft sind auch die Gesundheitsprobleme und -chancen dieser Kinder. Hier müssen wir uns vor Stereotypen hüten. Es gibt jedoch einige auffällige Befunde, die uns beschäftigen müssen. Kinder und Jugendliche aus Familien mit beidseitigem Migrationshintergrund sind mit fast 20 Prozent deutlich öfter übergewichtig, als ihre Altersgenossen. Außerdem haben 14 Prozent der Kinder nie eine Früherkennungsuntersuchung besucht (U3 – U9). Was mir vor allem Sorge macht, ist die Tatsache, dass Gesundheitsprobleme vor allem dann auftauchen, wenn der Migrationshintergrund einhergeht mit einem niedrigen sozialen Status. Und das ist leider noch sehr oft der Fall.

Was muss allgemein getan werden, um die Chancengleichheit der Kinder  und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu fördern?

Ulla Schmidt: Unsere Gesellschaft nimmt für sich selbst in Anspruch, keinen zurückzulassen und allen eine bestmögliche Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Gesundheit ist dafür eine unabdingbare Voraussetzung und darum dürfen wir die genannten Unterschiede nicht ignorieren. Für mich ist das Wohl aller Kinder stets eine ganz wesentliche Richtschnur bei der Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung in Deutschland. Dabei müssen wir besonders auf diejenigen zugehen, die offensichtlich nicht die gleichen Chancen haben wie ihre Altersgenossen. Im Falle von Migrantenfamilien bedeutet das vor allem: Sprachbarrieren und kulturelle Hindernisse in der Gesundheitsversorgung abbauen. Dazu gehören Broschüren in türkischer, russischer und in anderen Sprachen, wie sie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bereit hält. Oder der Einsatz von Gesundheitsdolmetschern, wie sie zum Beispiel hier in Berlin in den Krankenhäusern eingesetzt werden. Ganz aktuell habe ich die Schirmherrschaft für eine Gesundheitsoffensive der Türkisch-Deutschen Gesundheitsstiftung übernommen, die Migrantinnen und Migranten mit türkischem Migrationshintergrund über gesundheitlich bedeutsame Themen aufklären wird.

Bieten nicht gerade Bewegung und Sport eine gute Basis zur Verbesserung der Gesundheit Kinder und Jugendlichen?

Ulla Schmidt: Ohne Zweifel leisten Bewegung und Sport einen sehr großen Beitrag zur Verbesserung der Gesundheit. Im Rahmen der "primären Prävention" sind sie aber gleichzeitig auch die Grundlage für die Gesunderhaltung und Verhütung von Erkrankungen. Prävention durch Bewegung und Sport verbessert die Gesundheit, Lebensqualität, Mobilität und Leistungsfähigkeit nachhaltig. Wir haben eindrucksvolle Beispiele, die zeigen wie viel Bewegung bewirken kann. In einem Bielefelder Kindergarten konnte schon nach wenigen Monaten nachgewiesen werden, dass man mit relativ einfachen Maßnahmen – zum Beispiel täglichen Fang- und Hüpfspielen, Entspannungsübungen und Ernährungstipps – die motorischen Fähigkeiten von Kindern erheblich verbessern kann. Dadurch steigt auch die Konzentrationsfähigkeit, Kinder können besser lernen und Dinge aufnehmen.


Allerdings zeigt sich, dass der Zugang zu solchen Kindern schwierig ist. Wo sollte angesetzt werden?


Ulla Schmidt: Gesundheitsförderung muss im Lebensumfeld der Kinder verankert werden - z.B. in der Schule, in der Kindertagesstätte, in den Vereinen und im Stadtviertel. Wir müssen diejenigen unterstützen, die vor Ort mit Kindern und Eltern arbeiten und ihnen konkrete Angebote zur Gesundheitsförderung machen. Jeder und jede muss in unserer Gesellschaft Angebote erhalten, etwas für sich und seine Gesundheit zu tun. Und das Lebensumfeld muss so gestaltet sein, dass Kinder und Jugendliche die Möglichkeit haben, sich zu bewegen.


Das Programm „Integration durch Sport“ des DOSB hat durch seine Arbeit beständig Kontakt speziell zu Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Sollte dieser Zugang nicht verstärkt genutzt werden?

Ulla Schmidt: Mit dem Nationalen Aktionsplan Ernährung und Bewegung zeigen wir Wege auf und motivieren Menschen, etwas für die eigene Gesundheit zu tun. Wir machen konkrete Angebote für Menschen und Gruppen, die bisher kaum Zugang zu Gesundheitsförderung hatten. Ich freue mich sehr, dass der Deutsche Olympische Sportbund mit dem Programm "Integration durch Sport" ein wichtiger Partner in der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans Bewegung und Ernährung "IN FORM" ist. Alleine kann das Ziel, einen gesünderen Lebensstil für alle Menschen zu erreichen, nicht verwirklicht werden. Es geht nur, wenn alle gesellschaftlichen Kräfte zusammen wirken. Die Sportvereine sind dabei unverzichtbar, denn sie ermöglichen Millionen von Menschen Bewegung und Gesundheitsförderung. In Kooperation mit den Sportvereinen muss alles dafür getan werden, dass wir das Lebensumfeld z.B. Schulen und Kindertagesstätten aller Kinder und Jugendlichen erreichen.

zurück