Volunteers in Sotschi: „Was ist eine tollere Motivation?“

Michael Vesper, Generaldirektor des DOSB und Chef de Mission in Sotschi, erörtert das Volunteer-Projekt für die Winterspiele – und warum der Sport Ehrenamtliche mit Migrationsgeschichte braucht.

Michael Vesper ist Chef de Mission der Deutschen Olympiamannschaft in Sotschi. Foto: picture-alliance
Michael Vesper ist Chef de Mission der Deutschen Olympiamannschaft in Sotschi. Foto: picture-alliance

Junge Menschen mit Migrationshintergrund aus dem Programm „Integration durch Sport“ reisen als Volunteers mit zu den Olympischen und Paralympischen Spielen nach Sotschi. Was würden Sie als erfahrener Chef de Mission sagen: Wie nimmt man die Arbeit von Volunteers bei so einem Event wahr?

Man nimmt sie jedenfalls deutlich wahr, sehr deutlich. Ein Chef de Mission ist ja ständig unterwegs: vom Olympischen Dorf zum Deutschen Haus, zu den Wettkämpfen oder zu Medienterminen. Dabei begegne ich fast ständig Volunteers. Stets sind junge Menschen in meiner Nähe, die bei Bedarf dolmetschen, den Weg weisen, die Autos fahren oder Auskunft geben. Ohne Ehrenamtliche geht es nicht im Sport, das wissen wir in Deutschland sehr gut – bei Olympischen Spielen kann man das unmittelbar erleben. Als DOSB-General­direktor freue ich mich natürlich, wenn möglichst viele dieser Freiwilligen aus Deutschland kommen. Und umso mehr, wenn es Menschen mit Migrationshintergrund sind und ihr Einsatz der Integration dient.

Im Rahmen des Programms haben die Landessportverbände in Baden-Württemberg und Brandenburg 60 Männer und Frauen ausgebildet. Die meisten stammen aus der früheren Sowjetunion, sind aber sowohl in ihrer Muttersprache als auch in der deutschen Sprache sattelfest. Inwiefern muss man solche Menschen noch „integrieren“?

Spontan möchte ich zweierlei hervorheben. Erstens wollen wir Menschen für den Sport gewinnen bezie­hungsweise an den Sport binden, weil wir überzeugt sind, dass uns Vielfalt bereichert. Ich will das erläutern: Die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund in unserer Gesellschaft wächst tendenziell. Der Sport muss diese Entwicklung abbilden, um damit der Gesellschaft und sich selbst zu helfen. Wenn der organi­sierte Sport so stark bleiben soll, wie er ist, braucht er mehr Mitglieder und freiwillig Engagierte ebenso wie die speziellen Kompetenzen bikultureller Menschen. Sie bringen neue Sportarten und Trends ein. Und wenn wir diese Personen erreichen wollen, braucht es Vorbilder; Verantwortliche mit Zuwanderungsgeschichte.

Soweit erstens. Und zweitens?

Zweitens ist die Förderung von Ehrenamtlichen und freiwillig Engagierten eine der Aufgaben unseres Pro­gramms „Integration durch Sport“. Denn in einer verantwortlichen Position zu sein, ist ein überzeugendes Indiz für die Integration dieser Menschen in die Zivilgesellschaft. Der Sport hat hier eine Vorreiterfunktion, das betont ja auch die Politik immer wieder.

Wie bewerten Sie diesbezüglich den Ist-Zustand? Wird der Sport dieser Vorreiterfunktion schon gerecht?

Wir haben viel erreicht – wollen aber noch mehr erreichen. Es ist ein Ziel des DOSB für die kommenden Jahre, die anerkannt hohe integrative Kraft des Sports noch stärker zu nutzen. Denn es zeigt sich, dass durch gezielte Projektförderung und Maßnahmen vermehrt zugewanderte Menschen fürs Ehrenamt gewonnen werden können: Im Programm „Integration durch Sport“ haben nahezu die Hälfte aller Übungs­leiter/innen einen Migrationshintergrund. Dem organisierten Sport, insbesondere den beteiligten Sportver­einen im Programm, gelingt es offensichtlich, Personen mit Migrationshintergrund in die Vereinsarbeit einzubinden und sie darüber hinaus zur aktiven Mitwirkung und zum sozialen Engagement anzuregen. Deshalb ist es so wichtig, dass die Volunteers, die nach Sotschi fahren, sich nachhaltig im organisierten Sport engagieren, wie es dieses Projekt auch vorsieht. Wie ich schon sagte: Wir brauchen Vorbilder – als Brückenbauer, wenn Sie so wollen.

Olympische Spiele sind das Spitzensport-Event schlechthin, die Volunteers sind im Breitensport tätig. Was lernen Sie in Sotschi, das ihnen in der Arbeit zuhause hilft?

Zunächst: Zwischen Leistungs- und Breitensport besteht ja kein Widerspruch. Im Gegenteil, beide bedingen einander. Und was ist eine tollere Motivation für sportaffine Menschen, als bei Olympischen Spielen dabei zu sein? Es kann dem Breitensport nur gut tun, wenn Ehrenamtliche diese einzigartige olympische Atmosphäre hautnah erleben, vielleicht ihren Lieblingsathleten treffen und Menschen aus aller Welt. Wenn sie dabei viel über Eventorganisation lernen, kann ich nur sagen: Glückwunsch an die Vereine, in denen diese freiwillig Engagierten zukünftig tätig sind.

Unter den Volunteers in Sotschi sind junge Frauen in der Überzahl. Im organisierten Sport sind Migrantinnen deutlich weniger repräsentiert als Migranten, auch im Ehrenamt. Wie lässt sich das ändern?

Das Wichtigste ist: Es lässt sich ändern, wenn auch nicht von heute auf morgen. Davon bin ich überzeugt. Die gezielte Ansprache von Frauen mit Migrationshintergrund, aber auch die Qualifizierung ist seit Jahren ein Schwerpunkt unserer Integrationsarbeit. Wobei es auch da nicht nur um den Sport geht, sondern um gesellschaftliche Teilhabe allgemein. Gerade ältere Migrantinnen zum Beispiel leben oft zurückgezogen – ein Projekt wie „Zugewandert und Geblieben“ soll dazu beitragen, das zu ändern. Und gerade erst hat der DOSB mit seinem Partner Katjes-Fassin die Initiative „Katjes verbindet – Integration durch Sport“ gestartet. Mit den verschiedensten Angeboten der insgesamt 26 Projekte werden Mädchen und Frauen mit Migrationsgeschichte für unsere Vereine gewonnen – als Aktive ebenso wie als potenzielle Ehrenamtliche.

Da spricht der Generaldirektor des DOSB. Nochmal zum Chef de Mission: Wie ist es mit der „interkulturellen“ Vorbildwirkung der Deutschen Olympiamannschaft?Glauben Sie grundsätzlich an so eine Wirkung?

Daran glaube ich allerdings. In der Olympiamannschaft finden sich Athleten, die als sogenannte „Vorbilder“ für eine gelungene Integration stehen. Auch hier zeigt sich die Vielfalt unserer Gesellschaft – gerade auch in Verbindung mit der Paralympischen Mannschaft. Nicht umsonst treten in Sotschi beide Teams unter dem Motto „Wir für Deutschland“ an.

Im Wintersport sind diese Teams allerdings nicht so bunt besetzt wie im Sommersport.

Das stimmt, mit Nailya Zhiganshina, Alexej Baumgärtner, Aljona Savchena, Gianina Ernst und Stefano Caru­so haben fünf von 152 Olympioniken einen Migrationshintergrund. Die Wahl einer Sportart hat eben viel mit kulturellen Gewohnheiten zu tun – für Jungs mit türkischen Wurzeln zum Beispiel liegt es nun mal näher, Fußball zu spielen oder zu boxen als Langlauf oder Eisschnelllauf zu betreiben. Aber das Prinzip von Inte­gration durch Sport funktioniert im Wintersport genauso, das sieht man beim Eishockey oder Eiskunstlauf. Im Übrigen ist es vor diesem Hintergrund natürlich besonders wertvoll, wenn junge Menschen mit Migra­tionshintergrund nun zu den Winterspielen reisen und so die Kraft von Integration durch Sport demonstrie­ren.

(Interview: Nicolas Richter)


  • Michael Vesper ist Chef de Mission der Deutschen Olympiamannschaft in Sotschi. Foto: picture-alliance
    Michael Vesper ist Chef de Mission der Deutschen Olympiamannschaft in Sotschi. Foto: picture-alliance