„Wir hatten keine Ahnung, was der Deutsche von uns will“

Zirkus ist international – Von dieser Haltung ist Holger Leister, Gründungsmitglied, Übungsleiter und Verantwortungsbürger des Stützpunktvereins „Träumer, Tänzer und Artisten“ seit jeher überzeugt. 2019 ist der Verein aus Garbsen für sein Engagement vom Land Niedersachsen mit dem Integrationspreis ausgezeichnet worden. Denn in dem Stützpunktverein ist jeder – auch ohne Sprachkenntnisse und Zirkuserfahrung – herzlich willkommen. Was Holger in seinem Engagement antreibt und mit welchen Kniffen er selbst die größten Zirkusskeptiker verzaubert hat, berichtet der Vereinsvorsitzende im zweiten Teil der Interviewreihe mit Stützpunktvereinen.

 

Träumer, Tänzer und Artisten e.V.
Träumer, Tänzer und Artisten e.V.

LSB Niedersachsen: Wann seid Ihr als Verein zum ersten Mal mit dem Thema Integration in Berührung gekommen?

Holger Leister: Wir hatten bei uns im Verein von Anfang an Jugendliche verschiedener Nationalitäten. Das war also ganz also normal für uns. Als wir dann 2016 auf einer Veranstaltung vom Regionssportbund über Fördermöglichkeiten für Geflüchtete informiert wurden, haben wir einen Antrag gestellt und eine mobile Jonglierkiste beschafft, die wir in die nahegelegene Flüchtlingsunterkunft mitnahmen. Und so ging das Ganze dann los.

LSB Niedersachsen: Also lief direkt alles von Anfang an ohne Probleme?

Holger Leister: Nein, im Gegenteil. So richtig angenommen wurde unser Angebot erst 2017. Nachdem ich mit der Leiterin der Einrichtung für unser offenes Angebot geworben hatte, wurden einige neugierig und kamen vorbei. Rückblickend haben mir dann einige offenbart, dass sie zuerst überhaupt keine Ahnung hatten, „was der Deutsche von uns will.“ Dass da aber überhaupt jemand da war, mit dem man auch noch auf Deutsch sprechen konnte, war aber einfach interessant und ein gutes Lockmittel. Statt also 1,5 Stunden mit dem Geflüchteten zu jonglieren wie geplant, passte ich mein Angebot entsprechend an. Und aus 1,5 Stunden jonglieren wurde eine 4,5 stündige Gesprächsrunde.

LSB Niedersachsen: Und wann ist der Knoten dann geplatzt?

Holger Leister: Im selben Jahr fand in Garbsen eine Schülerconvention statt, an der wir als Verein teilnahmen und für die wir noch Helfer suchten. Einige Bewohner aus der Einrichtung kamen dann mit und waren von den Auftritten total begeistert. Und auf der Rückfahrt fragten sie mich direkt, ob ich nicht mal ein Einrad mitbringen könnte oder so ein Diabolo. Ich freute mich natürlich, betonte aber auch, dass ich das Diabolo doch die ganze Zeit in meiner Kiste dabei hatte. Jedenfalls ging es dann so richtig los und irgendwann sind meine Schützlinge dann auch mit in die Turnhalle gekommen und gehören seitdem ganz normal dazu.

LSB Niedersachsen: Und wie habt Ihr euch verständigt?

Holger Leister: Das lief anfangs alles über einen Dolmetscher. Einer der Jungs war schon länger hier und konnte entsprechend Deutsch. Er übersetzte dann immer für mich. Und natürlich hatte ich zunächst auch so meine Schwierigkeiten beim Lernen der Namen. Also gab es dann zwischenzeitlich lustige Spitznamen wie „Der, der so gut Deutsch sprechen kann“ oder „Der, der immer sagt, wie kalt es in Deutschland ist“, aber irgendwann hatte ich das dann auch drauf.

LSB Niedersachsen: Du steckst sehr viel Zeit in das Thema Integration. Was treibt Dich dabei an bzw. was gibt Dir das Ganze auch persönlich?

Holger Leister:  Es kommt einfach ganz viel zurück, so viel Dankbarkeit und so viel Herzlichkeit. Ich habe durch mein Engagement ganz viele tolle Menschen kennenlernen und viel über sie und das, was sie in jungen Jahren erlebt haben, lernen dürfen. Und wir haben auch einfach ganz viel zusammen gelacht und Spaß gehabt. Wir haben viele Ausflüge unternommen, ins Schwimmbad nach Wolfsburg und in den Heidepark. Und diese Zeit mit diesen Menschen hat auch mein Leben verändert und massiv entschleunigt. Denn es passiert einfach ganz viel, wenn man sich einfach zusammen hinsetzt, Karten spielt und sich echt mal die Zeit für jemanden nimmt. Und was hätte ich schon sonst gemacht? Zuhause gesessen oder irgendwas gearbeitet.

LSB Niedersachsen: Was hat euch das bedeutet, 2019 mit dem Niedersächsischen Integrationspreis ausgezeichnet zu werden?

Holger Leister: Wir waren schon mal überrascht, denn die Projekte, die da vorgeschlagen werden, machen alle gute Arbeit. Also haben wir uns einfach sehr geehrt gefühlt. Mir war dabei immer wichtig rauszustellen, dass wir alle zusammen gewonnen haben. Wir als Gruppe, nicht ich. Ich bin in manchen Dingen der Motor, aber wir haben das zusammen gemacht. Und das hat uns alle nochmal enorm zusammengeschweißt.

LSB Niedersachsen: Warum lohnt es sich Deiner Meinung nach, als Verein in Sachen Integration aktiv zu werden?

Holger Leister: Ich finde es einfach total wichtig, verschiedene Menschen zusammen zu holen. Und je interessanter die unterschiedlichen Menschen sind, desto besser finde ich es. Denn Sport heißt ja, was mit Menschen zusammen zu machen. Ich liebe Sommerfeste und wenn ich sage „bringt bitte einen Salat mit“ und ich habe dann Salate aus 10 Nationalitäten da, alleine das finde ich total cool. Oder bei unserer letzten Zirkusgala hatten wir erstmals einen kurdischen Tanz vorgeführt. Dass sowas bei uns mit ins Programm reinkommt, finde ich total spannend.

Nähere Infos zu den Vereinstätigkeiten gibt es unter www.traeumer-taenzer-artisten.de


  • Träumer, Tänzer und Artisten e.V.
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