„Jede Gesellschaft braucht Integration“

Dr. Markus Kerber, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), äußert sich im Interview mit DOSB-Autor Marcus Meyer zu zwei wichtigen Anliegen: Integration und ehrenamtliches Engagement im Sport.

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Staatssekretär im BMI, Dr. Markus Kerber

Aktiv hat Markus Kerber dem Sport schon länger den Rücken zugekehrt, inhaltlich ist er ihm näher denn je. Als Staatssekretär im BMI ist er unter anderem verantwortlich für Sport und Heimat. Zwei Themen, die aus seiner Sicht nicht allein politisch zusammengehören:

Herr Staatssekretär Kerber, in vielen Gesellschaftsbereichen wird Integrationsarbeit geleistet. Wie ordnen Sie in diesem Zusammenhang die Leistungen des Sports ein?

Jede Gesellschaft muss sich ständig um den inneren Zusammenhalt bemühen und das ist nichts anderes als Integration. Im Sport kommt diesem Begriff eine doppelte Bedeutung zu. Zum einen, weil er durch Hooligans, Ultras und andere Gruppen selbst Tendenzen hat, desintegrativ zu sein und man hier deshalb sportpolitische Integrations- und Präventionsarbeit leisten muss ...

Und zum anderen?

Zum anderen hat der Sport in alle Gesellschaftsbereiche hinein eine enorme integrative Funktion, etwas ungemein Verbindendes, auch abseits großer Sportereignisse wie Olympische Spiele oder Welt- und Europameisterschaften. Die 90.000 Vereine in Deutschland bieten eine Bühne für alltägliche Integration. Menschen treffen sich freiwillig und ohne Zwang, verbringen spielend gemeinsam Zeit. Das ist eine Kraft, die wird unterschätzt, zum Beispiel in der Politik, aber auch in den Medien.

Das klingt überraschend: Sie müssen im eigenen Ministerium für den Sport werben?

Ich glaube, dass man immer Überzeugungsarbeit für den Sport leisten muss, weil er durch Übertreibungen im Bereich des Profisports - also Millionengehälter, unsaubere Vergabeverfahren und Doping - zu Unrecht in Verruf geraten ist. Der ganz überwiegende Teil des Sports in Deutschland, ob in der Spitze oder in der Breite, kennt diese Auswüchse aber gar nicht. Diese Unterschiede müssen wir in der Politik immer wieder herausstellen.

Sie sind für den Sport verantwortlich, aber auch für so etwas wie Heimat. Wie sehen Sie den Zusammenhang zwischen beidem? Jérôme Boateng zum Beispiel sagt, er sei Berliner, nicht Deutscher.

Die beiden Hanli-Brüder, mit denen ich auf dem Bürgerfest zum Tag der deutschen Einheit gesprochen habe, haben unabhängig voneinander gesagt, dass sie in ihrem Verein (KSV Reinickendorf-Ringen Berlin e.V.) Kiezsport betreiben. Und Kiez steht hier als Berliner Begriff für Nachbarschaft und Wohnviertel. Sportvereine sind also Teil der Heimatstruktur in Deutschland, weil sie einen Bezug zu einem übersichtlichen Raum mit einer überschaubaren Anzahl von Menschen herstellen. Vereine haben stets eine regionale oder lokale Bedeutung. Man spielt für eine Stadt oder einen Stadtteil. Zugleich können diese Vereine eine Brücke schlagen zwischen lokaler Verwurzelung und überregionaler Bekanntheit, wie beispielsweise in München die drei Fußballklubs Bayern München, Unterhaching und 1860 München.   

Die Ringer Sinan und Semsi Hanli leisten ist wie viele tausend andere Engagierte in Deutschland ehrenamtliche Vereinsarbeit. Gibt es politische Bestrebungen, durch gesetzliche, steuerliche und andere Veränderungen für eine bessere Anerkennung dieser Leistungen zu sorgen?

Wir sind gerade in einem schwierigen Abstimmungsprozess mit unserem Koalitionspartner von der SPD zu dem im Koalitionsvertrag als Hausaufgabe mitgegebenem Politikvorhaben „Förderung des Ehrenamts und des bürgerschaftlichen Engagements“. Dazu haben wir einen Entwurf erarbeitet, in dem alle Aspekte und Probleme festgehalten sind und mit dem die Tätigkeiten geregelt werden sollen: von der Aufwandspauschale über versicherungs- und haftungsrechtlichen Fragen bis zu Freistellungen vom Arbeitgeber. Um einen wichtigen Impuls dafür zu geben, dass das ehrenamtliche und bürgerschaftliche Engagement noch intensiver betrieben wird. Zu dieser Gesetzesinitiative gehört, dass wir eine Ehrenamtsstiftung oder eine Serviceagentur schaffen werden, bei der sich Menschen informieren können und Hilfe erhalten, wenn sie einen Verein gründen wollen.

Sehen Sie Chancen, das Gesetz innerhalb dieser großen Koalition auf den Weg zu bringen?

Ich bin sehr optimistisch, dass wir mit dem Familien- und Finanzministerium zu guten Lösungen kommen werden.

Dem Spitzensport wird eine Vorbildfunktion bei der Integration zugesprochen. Wird diese Rolle überschätzt?

Ich glaube nicht, dass man diese Bedeutung überschätzen kann. Sehen Sie sich nur die vielen unterschiedlichen Wurzeln der Medaillengewinnerinnen und -gewinner bei der Leichtathletik-Europameisterschaft in diesem Sommer in Berlin an. Schon diese Vielfalt zeigt die magnetische Wirkung des Spitzensports, sich zusammenzufinden und sich zu integrieren. Wenn man auf dem Podest steht, merkt man: Es lohnt, sich in eine Gesellschaft einzubringen.

Was haben Sie aus der Diskussion über Mesut Özil und Ilkay Gündoğan mitgenommen?

Ich habe das schon mal gesagt: In Russland hat eine ganze Mannschaft verloren. Vielleicht stimmte die ganze Aufstellung nicht. Mitgenommen habe ich insofern, dass eine Diskussion um zwei Spieler entfacht wurde, die dem Gesamtproblem der WM-Mannschaft nicht gerecht wurde.

Glauben Sie, dass diese Debatte negative Auswirkungen auf die Integration im Sport haben wird?

Ich bin guter Dinge, was den Zusammenhalt in der Nationalmannschaft anbelangt, das Nachrücken anderer Spieler mit Migrationshintergrund. Ich sehe keine negativen Folgen. Die Spitzenteams im deutschen Sport bleiben attraktiv für Sportlerinnen und Sportler mit Migrationsgeschichte. 

Interview: Marcus Meyer


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